APA/APA/Theater in der Josefstadt/Philine Hofmann

Tristesse mit Fliehkraft: "Sommergäste" in der Josefstadt

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Kommt da noch was? Oder war's das schon? Diese Fragen, die sich die bürgerliche Intelligenzija in Maxim Gorkis "Sommergäste" stellt, sind auch mehr als 100 Jahre später noch aktuell, wenn sich eine Gruppe von Emporkömmlingen zwischen Freizeitstress und Beziehungskrisen zu Tode langweilt. Im Theater in der Josefstadt ist Elmar Goerden eine in ihrer sprachlichen wie inhaltlichen Aktualisierung bitterböse Analyse der Generation vor der "letzten Generation" gelungen.

Die Luft ist gleich am Anfang draußen: Eng aufgereiht sitzen die 15 Darstellerinnen und Darsteller an der mit einem aufgeblasenen abstrakten Gemälde verzierten Bühnenrückwand und singen im Chor lustlos "Close to you" von den Carpenters. Näher werden sie sich im Laufe des Abends - zumindest emotional - nicht mehr kommen. Vor ihnen liegen ein paar Kanus, doch der aus dem Schnürboden prasselnde Regen macht den geplanten Sommersporttag zunichte. Überhaupt haben Silvia Merlo und Ulf Stengl für diese mehr als dreistündige Inszenierung ein Bühnenbild geschaffen, das die versammelte Gesellschaft in die vom Menschen zugerichtete Natur zwingt: Ein gefällter Birkenwald, ein felsiges Ufer, in dessen Fluss bald einer ertrinken wird, und schließlich die unbequemen Designerliegen auf der Wiese bilden den Rahmen für das immer rasendere Auseinanderfallen einer Zweckgemeinschaft von Menschen, die bis auf das Geld, das sie auf der Bank horten, wenig gemeinsam haben. Schon gar keine Ideale.

Als fahriger, in seinen Trainingsanzügen und Kappe grotesk deplatziert wirkender Rechtsanwalt Bassow gibt Michael Dangl einen Hausherren, der nicht viel zu sagen hat und wenn er es doch versucht, nur unvollständiges, manieriertes Gestammel hervorbringt. Als von ihm entfremdeter Ruhepol bildet Alexandra Krismer sein invertiertes Spiegelbild. Während in dieser Ehe das Schweigen dominiert, bilden Günter Franzmeier und Silvia Meisterle als Ingenieur Pjotr und dessen Frau Julija ein bitterböses, sich stets verletzendes Paar, das es sogar zu aufwendig findet, den jeweils anderen einfach umzubringen. Unglücklich sind schließlich auch der Arzt Dudakow (Roman Schmelzer) und seine etwas tollpatschige Frau (Susa Meyer), die vor allem unter der Anzahl ihrer Kinder und der männlichen Ignoranz gegenüber weiblicher Care-Arbeit leidet. Doch ausgerechnet sie können offenbar nicht ohneeinander: Kurz nachdem sie in Erwägung ziehen, die Kinder einfach zu verkaufen, kopulieren sie zwischen den dicken Baumstämmen unter dem heimeligen Licht einer Brutlampe.

Es sind diese kleinen Einfälle, die den sich stellenweise doch in die Länge ziehenden Abend auflockern und für viel Gelächter im Publikum sorgen. Fast schon zu viel ist da Claudius von Stolzmanns latent verblödeter, clownesker Auftritt als Wlas, der ausgerechnet um die viel ältere Ärztin Marja wirbt, der Martina Stilp eine beeindruckende Selbstdisziplin in der Verweigerung von Gefühlen verleiht. Zu allem Überdruss hat die rationale Ärztin mit ihrer genderfluiden Tochter Sonja zu kämpfen, die gefälligst Alex genannt und mit männlichen Pronomen angesprochen werden will und sehnlich darauf wartet, aus dieser Hölle "nach oben gebeamt" zu werden (stark im Anklang an eine reflektierende junge Generation: Katharina Klar). Das Gruselkabinett komplett machen schließlich Ulrich Reinthaller als dunkel gewandeter, in einer kreativen Krise steckender Schriftsteller und Michaela Klamminger als Bassows Schwester Kalerija, die ihre ebenfalls schriftstellerischen Ambitionen mit exzessivem Rauchen und dem Tragen von schwarz Ausdruck verleiht. Als Running Gag watet schließlich Joseph Lorenz klatschnass und Wasser spuckend als Pjotrs ertrunkener Onkel durch die Szenerie.

Er ist es, der einen Haufen Geld hinterlassen hat, das er laut Testament aber in den Bau eines Behindertenheims stecken will, was Pjotr mithilfe des Anwalts Bassow verhindern will. Wie sehr sich diese Gesellschaft um soziale Projekte schert, kommt in kurzen Momenten zum Ausdruck, wenn man sich über "die Behindis" oder die "Waisis" (nach dem Einsturz des Daches eines von Pjotr als Ingenieur verantworteten Waisenhauses) lustig macht. Mit zunehmendem Fortschreiten der desaströsen Sommerfrische geraten die Männer immer weiter in den Hintergrund, während die Frauen - jede auf ihre eigene Weise und unterschiedlich erfolgreich - nach Emanzipation streben. Verändert haben sie am Ende schließlich aber auch nur wieder sich selbst und weder die Gesellschaft noch deren Zukunft. Lang anhaltender Jubel beendete den Abend.

(S E R V I C E- "Sommergäste" von Maxim Gorkij in einer Fassung von Elmar Goerden (auch Regie) im Theater in der Josefstadt. Bühne: Silvia Merlo und Ulf Stengl, Kostüme: Lydia Kirchleitner. Mit u.a. Michael Dangl, Alexandra Krismer, Silvia Meisterle, Susa Meyer, Martina Stilp, Katharina Klar und Günter Franzmeier. Weitere Termine: 30. und 31. März sowie am 15., 16., 24. und 25. April sowie im Mai und Juni. www.josefstadt.org)

ribbon Zusammenfassung
  • Im Theater in der Josefstadt ist Elmar Goerden eine in ihrer sprachlichen wie inhaltlichen Aktualisierung bitterböse Analyse der Generation vor der "letzten Generation" gelungen.

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