APA/ImPulsTanz/Danny Willems

"Traces" zeigt beim ImPulsTanz Mensch und Natur im Kampf

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Was tut der Mensch der Natur an? Und was die Natur dem Menschen? Der belgische Starchoreograf Wim Vandekeybus ist in seiner Arbeit "Traces" dieser Frage nachgegangen. Entstanden ist ein atemloses Spektakel an der schmalen Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, das Vandekeybus' Compagnie Ultima Vez am Dienstagabend beim ImPulsTanz-Festival erstmals in Österreich zeigte. Physisch beeindruckend, mit großem Schauwert - Bären auf der Bühne! - und heftig bejubelt.

Es beginnt unheimlich: Im Hintergrund zeigt sich ein düsterer Wald. Davor ist mit weißer Farbe der Mittelstreifen einer Fahrbahn am Boden aufgepinselt. Aus dem Off plötzlich schrille Schreie einer Frau, die auf die Bühne hastet, wild um sich schlägt und blind vor Panik von einem Fahrzeug angefahren wird. Ein schwarzer Bär - dank der großartigen Imitation der Bewegungsabläufe im Ganzkörperkostüm denkt man kurz an einen echten - erschnüffelt die Blutspur und rollt den reglosen Frauenkörper davon.

Bären werden an diesem Abend noch öfter auftauchen. Wesentliche Inspirationsquelle für "Traces" sei eine Reise durch die Wildnis Rumäniens mit ihren letzten, auf diesem Kontinent noch existierenden Urwäldern gewesen, schreibt der Choreograf im Programmheft. Doch auch hier hat der Mensch schon Spuren hinterlassen, Bäume geschlägert, Straßen gebaut und den Lebensraum der zahlreichen dort heimischen Tiere - Wölfe, Luchse und eben Bären - zurückgedrängt. Und man ahnt es: Das geht am Ende, auch auf der Bühne des Wiener Volkstheaters, nicht gut aus.

Dabei steckt im Menschen selbst eine gehörige Portion Animalisches. Vandekeybus lässt seine zehn Tänzerinnen und Tänzer an diesem mit einem Berg ausrangierter Autoreifen leicht prä- oder postapokalyptisch anmutenden Nichtort kaum zu Atem kommen. Anders als vorangegangene Arbeiten mit ihren multimedialen Spielereien setzt "Traces" nämlich ganz auf die Kraft des Körpers.

Das macht sich bezahlt: Man kann nur erahnen, welch physische Beherrschung es braucht, um in scheinbarer Leichtigkeit einzelne Gliedmaßen wie leblose, von unsichtbaren Fäden bewegte Körperteile schlackern lassen zu können. Unglaubliche Balanceakte, ungestümes Herumwirbeln, brachiales Chaos, rudelhafte Formationstänze, ein sich ständiges Verdrehen, Verrenken, sich Aufbäumen und wieder zu Boden sacken - auch als Zuseher kommt man fast ein wenig ins Schnaufen.

Auch wenn es keine klassische Storyline gibt, gesteht der belgische Choreograf und Regisseur - seit Jahren ein ImPulsTanz-Stammgast - den Mitgliedern seiner Truppe doch gewisse Rollenbilder zu, die allerdings nicht klar definiert sind. Sie scheinen einmal Holzfäller zu sein, dann wieder verwahrloste Vagabunden, jedenfalls Heimatlose im unheimlichen Niemandsland.

Der mit dem US-Avantgarde-Gitarristen Marc Ribot eingespielte Soundtrack, der wild-ruppig dahinbrettert, dann wieder aus suspenceartigen Soundscapes besteht, trägt die Performance atmosphärisch. Und bei aller Rohheit gibt es zwischendurch auch Platz für Gemeinschaft, Sinnlichkeit, Hilfsbereitschaft und Hoffnung auf eine Art Versöhnung zwischen Mensch und Natur.

Schließlich wird eine neue Straße gebaut. Sie führt direkt in den Wald hinein. Fast orgiastisch wird gefeiert, dass man der Natur einmal mehr gezeigt, wer der Herr im Haus bzw. auf diesem Planeten ist. Am Ende dieses 100-minütigen Abends steht kein Baum mehr. Aber auch kein Mensch regt sich mehr. Die Bühne gehört allein den Bären.

(S E R V I C E - Ultima Vez / Wim Vandekeybus: "Traces". Weitere Vorstellungen: 4. und 5. August, 21 Uhr, Volkstheater Wien; www.impulstanz.com/performances/2021/id1373/)

ribbon Zusammenfassung
  • Der belgische Starchoreograf Wim Vandekeybus ist in seiner Arbeit "Traces" dieser Frage nachgegangen.
  • Entstanden ist ein atemloses Spektakel an der schmalen Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, das Vandekeybus' Compagnie Ultima Vez am Dienstagabend beim ImPulsTanz-Festival erstmals in Österreich zeigte.
  • Es beginnt unheimlich: Im Hintergrund zeigt sich ein düsterer Wald.
  • Dabei steckt im Menschen selbst eine gehörige Portion Animalisches.

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