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Strottern und JazzWerkstatt servieren "Sieben Zwetschken"

Heute, 03:01 · Lesedauer 5 min

Die Strottern verpassen dem Wienerlied seit drei Jahrzehnten einen modernen Zuschnitt. Jetzt gönnt sich das aus Klemens Lendl und David Müller bestehende Duo wieder einmal einen Ausflug ins Großformat und hat sich erneut mit der JazzWerkstatt Wien zusammengetan. "Sieben Zwetschken" eröffnet einen reichhaltigen Klangkosmos mit deutungsoffenen Texten - "sehr erwachsen", wie Müller im APA-Gespräch meint, und doch eine bunte Spielwiese.

Die neue Platte ist das bereits dritte Album, das die Strottern mit dem personell auf Durchlässigkeit bedachten Kollektiv aufgenommen haben. Mit "Elegant" ging das gemeinsame Abenteuer 2009 los, 2015 folgte "Wo fangts an". Und jetzt, weitere zehn Jahre später, mit "Sieben Zwetschken" also der am Freitag erscheinende Streich Nr. 3. Wo Lendl und Müller normalerweise mit Violine und Gitarre ihre instrumentalen Möglichkeiten mehr oder weniger ausgereizt haben, kommen durch die sieben Mannen der JazzWerkstatt jetzt u.a. Klavier, diverse Blasinstrumente, Bass und natürlich Schlagzeug dazu - und zwar in diversen Schattierungen. Treibende Grooves, ein Mischmasch aus Walzer, Blues und Marsch, Swing oder Freejazz sind nur ein Ausschnitt der stilistischen Ebenen, die in Summe aber doch irgendwie kohärent sind. Komplexe Songstrukturen und eine hörbare Grundleichtigkeit sind hier keine Gegensätze.

Aber wie passen Wienerlied und Jazz überhaupt zusammen? "Das Wienerische ist eine sehr musikalische Sprache. Und Jazz ist die größte musikalische Spielwiese überhaupt. Da passiert Vielfalt, Improvisation, Freiheit, ein Ausfransen-Dürfen in alle Richtungen. Ähnlich ist das auch bei den Texten, mit denen wir uns beschäftigen", erklärt Lendl. "Es ging uns auch ums Großformat. Zu zweit sind wir immer nur in der Andeutung und im Skizzieren unterwegs. Aber plötzlich kannst du einen Jazzausbruch einbauen oder ein Bläserset, das wie ein ganzer Film klingt." In der JazzWerkstatt habe man damals sofort "Verbündete" gefunden: "Zusammengepasst hat es gleich." Vorbilder habe es freilich auch gegeben. Lendl nennt etwa die gemeinsamen Songs von Qualtinger und Fatty George oder die 70er-Jahre-Platten von Kurt Sowinetz, für die selbiger "leiwande Texter und leiwande Musiker" um sich versammelt habe.

Die Jazzer, die normalerweise nicht mit Texten arbeiten, sehen das ähnlich. "Die Andeutungen, die Atmosphäre des Wienerischen kommen dem, was wir machen wollen - verschiedene Stimmungen kreieren und Dinge offen lassen - sehr entgegen. Man muss aber mit jedem Stück wieder neu beweisen, dass es zusammenpasst", sagt Gitarrist Peter Rom von der JazzWerkstatt. Am Album sind u.a. Percussionist Lukas König, der auch bei Liveauftritten von Bilderbuch die Drums bearbeitet, oder Clemens Wenger von 5/8erl in Ehr'n mit an Bord. "Das sind alles Kapazunder, das sind lauter Weltmeister, und trotzdem wird so uneitel gearbeitet", erzählt Lendl. "Der Clemens Salesny kann auch drei Stunden am Stück durchsolieren und du schaust nur mit offenem Mund zu. Er spielt dann aber die Bläsersets, die es braucht und nicht mehr. Du musst niemanden einfangen und keine Egos betreuen."

Kein Muh und kein Mäh

Kommt es bei so vielen Mitwirkenden aber nicht doch auch zu Reibereien? Nein, wird versichert. Denn die Zuständigkeiten sind von vornherein geklärt. "Bestimmen tut immer nur der jeweilige Komponist, da gibt's kein Muh und kein Mäh", schwärmt Strottern-Hälfte Müller. Ein gesunder Abstand hilft wohl auch in Sachen Harmonie. Aber selbst wenn man sich nur ungefähr einmal im Jahr trifft - nicht zuletzt aufgrund der vollen Terminkalender aller Beteiligten -, hat man sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten perfekt aufeinander eingegroovt. "Es ist gleich wieder alles da - und es geht immer schneller." In nur drei Tagen habe man das Album eingespielt. "Ich find die Platte so erwachsen, ich halt's gar nicht aus", strahlt Müller. "Jeder macht das ernsthaft, da gibt's kein Hinrotzen. Sorgfältigst wird da musiziert."

Texte von Nestroy bis Präauer

Die Texte der einzelnen Nummern spiegeln ebenfalls Diversität wider. Neben Karl Stirner, einer der Hausdichter der Strottern, bedient man sich bei Johann Nestroy - sein Couplet "Wenn ka Teufel nicht wär" aus "Höllenangst" passt erschreckend gut in eine Zeit der Fake-News-Hölle ("Ich lass mir meinen Aberglauben / Durch ka Aufklärung rauben") - genauso wie bei der Schriftstellerin Teresa Präauer, die für das Projekt das Liebespoem "Dahlien und ein Gedicht" beigesteuert hat. Textlich sieht Lendl als Klammer des Albums "ein Plädoyer für das Zulassen verschiedener Perspektiven". Humor und Sprachspielereien ziehen sich durch, inhaltlich erlaubt man sich einen großen Interpretationsspielraum. "Manche Texte sind auch mir ein Rätsel, aber ein schönes Sprungbrett, um sich wohin zu denken", sagt Sänger Lendl.

Die Strottern waren mit ihrer Gründung vor drei Jahrzehnten Wegbereiter in Sachen Neudeutung des Wienerlieds. Das Genre floriert inzwischen in diversen Spielarten - von Kollegium Kalksburg über 5/8erl in Ehr'n bis zu Nino aus Wien und Ernst Molden. "Das hat sich potenziert. Als wir angefangen haben, war das cool für 70-, 80-, 90-Jährige", erinnert sich Lendl. Für das klassische Wienerlied mit seiner süßlich-schmalzigen Nostalgie hat er übrigens nicht allzu viel übrig. "In 30 Jahren haben wir 30 alte Wienerlieder gefunden, die wir singen wollen. Ich würde gerne mehr singen, aber ich finde keine Texte, die ich über die Lippen bring'. Die alte Zahnrad? Was soll ich mit der."

(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)

(S E R V I C E - Albumpräsentation "Sieben Zwetschken" am 23. September im Porgy & Bess, Riemergasse 11, 1010 Wien; http://diestrottern.at/)

Zusammenfassung
  • Die Strottern veröffentlichen gemeinsam mit der JazzWerkstatt Wien am Freitag ihr drittes Album „Sieben Zwetschken“, das nach „Elegant“ (2009) und „Wo fangts an“ (2015) erscheint.
  • Das Großformat mit sieben Musikern erweitert das Klangspektrum um Klavier, Bläser, Bass und Schlagzeug neben Violine und Gitarre.
  • Stilistisch vereint das Album Walzer, Blues, Marsch, Swing und Freejazz, bleibt dabei aber kohärent und zugänglich.
  • Die Texte stammen von Autoren wie Karl Stirner, Johann Nestroy und Teresa Präauer und ermöglichen vielfältige Interpretationen.
  • Das Album wurde in nur drei Tagen eingespielt und wird am 23. September im Porgy & Bess in Wien präsentiert.