"Oh no, not again!": Selbstbespiegelung im Kasino
In fragmentarischen Schlaglichtern reflektieren Ensemblemitglieder und Laien, die unter dem von Rimini Protokoll entlehnten Begriff der "Expert:innen des Alltags" firmieren, über die Theaterwelt und ihre Selbstbeweihräucherung. Über die Empfindlichkeit von Weißen, sollte das Gegenüber doch nicht den eigenen Stereotypen entsprechen. Über das dank der eigenen Bewegtheit Enthusiasmiert-Von-Sich-Selbst-Sein.
Sabine Haupt lässt niemanden zu Wort kommen in ihrer Begeisterung, anderen eine Stimme zu sein. Daniel Jesch leidet an der gefühlten Abstempelung als alter, weißer Cis-Mann, der doch nicht einmal wählen darf in Österreich als Deutscher. Und Dunja Sowinetz erinnert sich champagnerbefeuert an 2015, als man den Geflüchteten Blumen, Chips und die Altkleider aus dem Keller brachte. Und nun will keiner die Hilfe - die doch die eigene Hauptkompetenz ist!
Man wünscht sich selbst Migrations- oder noch besser Fluchterfahrungen. Schließlich seien dies die besseren Menschen. Und man teilt auch damit beständig in ein Wir und Ihr, das in sich immer schon den Ausschluss trägt. Ob da das Gegenüber Zeynep heißt oder Ayşe - wurscht. Soweit geht die Beschäftigung dann doch nicht.
Warum ein Wiener nicht Franz Joseph spielen darf
Die so euphorisch aufs verbale Schild Gehobenen kommen im Vergleich nur begrenzt zu Wort. Zählt dazu auch Ensemblemitglied Paul Basogna? Der hat immerhin kongolesische Wurzeln und beklagt sich, dass er nie Franz Joseph spielen darf - die deutschen Kollegen hingegen schon. Dabei ist doch er der Wiener!
Letztlich wirft Kışlal, designierte Chefin des Theaters der Jugend, mit "Oh no, not again!" Schlaglichter auf Attitüden, die gerade im linken, sich progressiv verstehenden Milieu grassieren und auf Debatten, die nur selten geführt werden. Zugleich betreibt man in der steten Reflexion des Formats der Community-Produktionen auch Bauchnabelschau und Selbstbespiegelung. Heraus kommt ein Mosaik im positiven, ein Fragment im negativen Sinne, das mit zu viel Humor manche Schärfe unnötig mildert.
Am stärksten fällt am Ende die Brandrede der Autorin Luna Al-Mousli, die als Epilog Österreich wirklich den Spiegel vorhält. Ihre Conclusio: Man muss sich am Ende einfach gegenseitig aushalten. Ein witzfreies Statement. Und eines, das sitzt.
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - "Oh no, not again!" von Aslı Kışlal & Ensemble im Kasino, Schwarzenbergplatz 1, 1010 Wien. Regie: Aslı Kışlal, Bühnenbild: Birgit Kellner, Kostüme: Nadine Abena Cobbina, Musik: Uwe Felchle, Licht: Martin Schwab. Weitere Aufführungen am 29. November, am 13. und 18. Dezember sowie am 3. und 9. Jänner. www.burgtheater.at/produktionen/oh-no-not-again)
Zusammenfassung
- Das Stück "Oh no, not again!" von Aslı Kışlal feierte am Donnerstag im Kasino Uraufführung und nimmt die Diversitätsrhetorik von Kulturinstitutionen humorvoll und kritisch ins Visier.
- Ensemblemitglieder und Laien reflektieren als "Expert:innen des Alltags" über Selbstbeweihräucherung, Stereotype und Ausschlussmechanismen im progressiven Milieu, wobei auch persönliche Erfahrungen wie jene von Paul Basogna thematisiert werden.
- Im Epilog fordert Autorin Luna Al-Mousli in einer pointierten Brandrede, dass man sich gegenseitig aushalten müsse – eine Schlusspointe, die ohne Humor auskommt und nachhaltig wirkt.
