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Neuer Volksopern-"Figaro": 4 zum Preis von 1

Heute, 05:00 · Lesedauer 4 min

An der Wiener Volksoper lautet das Motto aktuell: 4 zum Preis von 1. Zahle eine "Nozze di Figaro" und bekomme von Regisseurin Lotte de Beer vier Stücke. Die Hausherrin inszeniert Mozarts Commedia dell'arte-Spiel in vier höchst unterschiedlichen Akten. Ein bunter, variantenreicher Abend zwischen Psyche, Psychedelischem und tanzenden Riesenpimmeln, der bei der Premiere am Samstagabend mit Applaus, wenn vielleicht auch nicht Euphorie bedacht wurde.

De Beer stellte mit der bereits 2022 in Aix-en-Provence aufgeführten Arbeit ihre Fähigkeit unter Beweis, neue Blicke auf altbekannte Werke zu werfen - wenn gewünscht auch vier verschiedene. Gleich am Beginn vollzieht das Ensemble zur Ouvertüre eine pantomimische Commedia dell'arte-Zusammenfassung des folgenden Abends. Dessen vier Akte widmet die Regisseurin dann je einer Figur, wobei es sich weniger um deren jeweilige Perspektive als die Tonalität des Aktes handelt.

Der 1. Akt ist in der Perspektive des Grafen gehalten und kommt mit zwei Spielräumen und einer Waschküche als US-Sitcom der 1970er daher, Lachen- und Applausschilder inklusive. Der 2. Akt hingegen gehört der Zofe Susanna, dreht die Schraube noch eine Drehung weiter in Richtung Slapstick. Der unter pubertären Aufwallungen leidende Cherubino dreht sich da schon mal in der Waschmaschine und kommt dank Dauererektion nicht mehr in sein Gewand. Die Gräfin versucht sich unterdessen mittels diverser Utensilien ins Jenseits zu befördern, worauf sich Susanna am Föhn einen Stromschlag samt zu Berge stehender Haare holt. Das Ganze kulminiert in einer Tanzorgie samt munter schäkernder Riesenpenisse und Sexpuppen.

Bruch zur Gräfin hin

Der 3. Akt stellt dann den harten Bruch hin zur Gräfin dar, die nicht im Glashaus, sondern im Bett im Glashaus sitzt und die leer geräumte Bühne als minimalistisches Spielfeld ihres Leids begreift - ein Wechsel der Emotionalität, der von Mozart nicht zuletzt mit der klassischen "Dove sono i bei momenti"-Arie angelegt ist und durch die Einbettung in den Gesamtakt stimmiger, weniger brutal daherkommt. Im finalen Akt kippt das Geschehen schließlich in Richtung psychedelischer Blumenkinderfantasien à la "Lucy in the sky", was zwar optisch in floraler Pracht, narrativ aber noch am wenigsten zwingend erscheint.

Der einstige Volksopern-Musikdirektor Omer Meir Wellber rast indes geradezu durch die berühmte "Figaro"-Ouvertüre, legt den gesamten Abend in beinahe atemlosem Tempo an, ist teils frech, teils rumpelig unterwegs, immer jedoch im Dialog mit der Bühne. Am Hammerklavier stimmt er in den Rezitativbegleitungen mal Claydermans "Ballade pour Adeline" an, mal die "Marseillaise", mal Ragtime. Es ist vielleicht nicht der wohlklingendste Mozart, aber der wohl beste für diese Inszenierung.

Sängerschauspieler sind gefragt

Diese lebt vor allem von Sängerschauspielenden, weniger von Prachtstimmen. Die Susanna von Lauren Urquhart ist von Beginn weg charmant, von Beginn weg aber auch noch etwas schwachbrüstig angesichts des aus dem Graben tönenden Furors. Über den Abend hinweg groovt sich die junge Amerikanerin jedoch ein. Die Gräfin von Matilda Sterby harmoniert in der Mittellage berührend mit dem Graf von Daniel Schmutzhard, weist in der Höhe jedoch eine verengte Schärfe auf.

Der Figaro von Michael Arivony hingegen präsentiert sich satt, angenehm leicht für diesen luftig-leichten Mozart-Abend, der gleich im September bei der ersten Premiere der neuen Saison seine Fortsetzung feiern könnte. Schließlich hat sich Lotte de Beer als nächstes Mozarts "Zauberflöte" vorgenommen, wobei derzeit noch unklar ist, wie phallisch diese Flöte ausfallen wird.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Le nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart in der Volksoper, Währinger Gürtel 78, 1090 Wien. Regie: Lotte de Beer, Bühnenbild: Rae Smith, Kostüme: Jorine van Beek, Licht: Alex Brok, Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber. Mit Conte d'Almaviva - Daniel Schmutzhard, Contessa d'Almaviva - Matilda Sterby, Susanna - Lauren Urquhart, Figaro - Michael Arivony, Cherubino - Annelie Sophie Müller, Marcellina - Ulrike Steinsky, Bartolo - Stefan Cerny, Basilio/Don Curzio - Timothy Fallon, Antonio - Daniel Ohlenschläger, Barbarina - Jaye Simmons. Weitere Aufführungen am 24. und 30. Mai, am 4., 8., 11., 18., 21. und 28. Juni, am 12., 18., 21. und 28. März 2026 sowie am 1., 9. und 12. April 20206. www.volksoper.at/produktion/le-nozze-di-figaro-2025.1004624441.de.html)

Zusammenfassung
  • Die Wiener Volksoper zeigt Mozarts 'Le nozze di Figaro' in einer Inszenierung von Lotte de Beer, die jeden der vier Akte mit einer eigenen Tonalität und Stilistik gestaltet und damit das Motto '4 zum Preis von 1' umsetzt.
  • Musikalisch sorgt Omer Meir Wellber für ein atemloses Tempo und überrascht mit Einlagen am Hammerklavier, darunter etwa 'Ballade pour Adeline', die 'Marseillaise' und Ragtime.
  • Die Premiere am Samstagabend wurde von einem Ensemble getragen, das mehr durch szenisches Spiel als durch stimmliche Brillanz überzeugte, und wird an zahlreichen Terminen bis April 2026 erneut aufgeführt.