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Neo-Intendant Herheim: "Sollten uns der Oper nicht schämen!"

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Stefan Herheim startet in eine neue Ära - für sich persönlich wie für das Theater an der Wien. Schließlich wird der 52-jährige Opernregisseur am 15. Oktober mit dem "Schlauen Füchslein" die Auftaktinszenierung seiner ersten Intendanz selbst gestalten - allerdings in der Halle E des Museumsquartiers und nicht in der Großbaustelle an der Linken Wienzeile. Das Ausweichquartier wird bis zumindest 2024 bespielt.

Aus diesem Anlass sprach der gebürtige Norweger mit der APA über die Fehler vieler Repertoirehäuser, die Baufälligkeit der Kammeroper und andere Budgetsorgen sowie die Frage, weshalb er derzeit der glücklichste Mensch der Welt ist.

APA: Sie waren als Regisseur international etabliert, nun folgt der Kurswechsel hin zum Intendanten. Was hat Sie zu diesem harten Cut bewogen?

Stefan Herheim: Es ist tatsächlich eine große Umstellung für mich, denn ich hatte nie den Ehrgeiz, Intendant zu werden. Der Schritt ist aber eine klare Konsequenz aus meinen Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre. Die Zeiten haben sich geändert. Vor allem die großen Repertoirebetriebe orientieren sich mittlerweile an marktwirtschaftlichen Mechanismen, die eine große Gefahr für die Kunst darstellen. Zum Teil werden die Häuser inkonsequent geführt und die Verhältnisse nicht mehr gewährleistet, die diese Kunstform braucht, um zu funktionieren. Mein Bedürfnis ist deshalb immer größer geworden, selbst Verantwortung zu übernehmen, damit mir die Freude an der Arbeit als Regisseur erhalten bleibt.

APA: Es wird Inszenierungen schlicht nicht mehr genügend Zeit gelassen, um zu wachsen?

Herheim: Ich erlebe, dass Kunst auch unabhängig von den finanziellen Herausforderungen zusehends kleiner geschrieben wird. Dürftige Kommunikation und Koordination von künstlerischen Abläufen sind meist auf eine Inkongruenz zwischen Vision und Planung auf der Leitungsebene zurückzuführen. Am Ende wird ein sündteures Bühnenbild gebaut, aber man bekommt nur wenige Stunden, um es auszuleuchten. Und wenn man ausnahmsweise einmal sieben Probenwochen bekommt, fehlen die Sänger die Hälfte der Zeit. Durch solche Unverhältnismäßigkeiten wird das, was das Gesamtkunstwerk Oper ausmacht, ausgehöhlt.

APA: Und Sie sind zuversichtlich, dass Sie das in Ihrer neuen Rolle ändern können und nicht auch den Zwängen des Betriebes ausgeliefert sind?

Herheim: Ich hätte nicht jedes Haus übernommen. Und da das Theater an der Wien ganz auf Stagione ausgerichtet ist, habe ich weit bessere Voraussetzungen hier als an einem Repertoirehaus, den Spagat zwischen Organisation und Kunst zu bewältigen. Als subventionierter Kulturbetrieb haben wir einen kulturpolitischen Auftrag zu erfüllen und dürfen Erfolg nicht allein an Verkaufszahlen messen. Zwar wollen wir das Publikum unterhalten, aber gute Unterhaltung zeigt Haltung und gibt Halt, und hierfür müssen wir mehr wagen, als ein Privatbetrieb riskieren kann. Unser Auftrag ist, Menschen auf die Art und Weise zu sensibilisieren und zu bereichern, sodass die Welt ein Stück besser wird.

APA: Wenn man auf Ihre Regieriege blickt fällt auf, dass anders als an anderen Häusern Schauspiel- oder Filmregiekräfte fehlen. Werden diese bei Ihnen eher seltener verpflichtet werden?

Herheim: Null. Denn für mich ist Handwerk ein wesentliches Kriterium und schließlich auch eine Frage des Respekts. Opernregisseure und -regisseurinnen haben zu wissen, was es für einen Sänger bedeutet, eine Partie vokal zu stemmen. Die von mir engagierten haben höchst unterschiedliche Ansätze und Handschriften, aber eines gemeinsam: Sie gehen bedacht mit Musik um und setzen nicht auf Provokation um der Provokation willen. Ich möchte nicht, dass bei uns mit einer Bildersprache operiert wird, welche die Komplexität der Partitur ignoriert. Wir sollten uns der Oper nicht schämen! Sie ist nicht überholt, sondern war und bleibt eine kunstvolle Weise, Dinge zu kommunizieren, die sonst in unserer Gesellschaft nicht zur Sprache kommen.

APA: Haben Sie keine Bedenken, dass die Menschen in Krisenzeiten eher in Richtung Ablenkung denn Reflexion tendieren?

Herheim: Selbst möchte ich als Zuschauer beansprucht und aus meiner Komfortzone geholt werden. Diesbezüglich fühle ich mich oft eher unterfordert in der Oper. Jede Bemühung, die Oper zu "retten" durch Maßnahmen, die wesentliche Merkmale und den Anspruch negieren, die diese Kunstform an uns stellt, sind in sich ein Widerspruch und zum Scheitern verurteilt.

APA: Als Intendant inszenieren Sie in Ihrer ersten Spielzeit zwei Mal am Haus. Bleibt es künftig bei dieser Schlagzahl?

Herheim: Man hat mich ja nicht ans Haus geholt, weil ich so ein erfahrener Manager bin, sondern weil ich als Regisseur vom Ganzen etwas verstehe und etwas auf dem Herzen habe. Meine internationale Regiekarriere stelle ich jetzt zurück und inszeniere nur mehr am eigenen Haus. Mehr als zwei Inszenierungen pro Saison gehen sich zeitlich nicht aus, denn als Intendant sind mir natürlich alle unsere Produktionen gleich wichtig.

APA: Ihr Vorgänger Roland Geyer konzipierte das Theater an der Wien einst als Haus mit Schwerpunkt auf Barock und Zeitgenössisches. Wie wird das Profil des Hauses nach fünf Jahren Stefan Herheim aussehen?

Herheim: Das mit mir neu aufgestellte MusikTheater an der Wien ist sowohl Name als auch Programm des Hauses. Es geht nicht nur darum, was wir spielen, sondern wie wir spielen. Mit stilbildenden Produktionen wollen wir die unendlichen Aspekte des Musiktheaters feiern. Dafür erweitern wir den Spielplan um das Genre der Operette, tangieren sogar die Sparte Musical und werden des öfteren Projekte mit Werkstattcharakter machen. Aber Werke des Barock und der Klassik werden neben jenen der Moderne weiterhin unseren Programmschwerpunkt bilden. Wir haben auch neue Opern in Auftrag gegeben, doch für mich ist Musiktheater per se zeitgenössisch, weil es immer im Hier und Jetzt stattfindet.

APA: Sie haben ein gut positioniertes Haus als Chef übernommen. Was sind da die größten Herausforderungen für Sie?

Herheim: Zwar schlafe ich gut, seit geraumer Zeit aber wenig. Denn wir betreuen nicht nur die große Baustelle in der Linken Wienzeile, sondern müssen uns in Halle E und auf sehr vielen Ebenen gleichzeitig neu aufstellen. Als ein Theater der Vereinigten Bühnen Wien (VBW) haben wir mit Musical Vienna eine gemeinsame Geschäftsführung, die somit auf zwei recht unterschiedliche Betriebe zugeschnitten ist. Diese Koexistenz zu optimieren und alle Berührungsängste aus dem Weg zu räumen, kostet auch Zeit.

APA: Es geht Ihnen also nicht um mehr Eigenständigkeit?

Herheim: Nein, sondern um Brücken und Abkürzungen, die uns helfen, die Synergien innerhalb unseres ungewöhnlichen Vereinsmodells freizulegen.

APA: Sie legen in der Auftaktsaison inklusive der Kammeroper 13 Premieren vor. Wird diese Zahl angesichts der Weltlage künftig finanziell zu halten sein?

Herheim: Das ist die Frage schlechthin. Auch wenn ich keine Zahlen nennen möchte, ist jetzt bereits klar, dass wir mit den steigenden Lohn-, Energie-, Bau- und Betriebskosten unser Budget in dieser Spielzeit kaum werden einhalten können. Diesbezüglich sitzen momentan aber alle im selben Boot, schauen täglich besorgt auf die Inflationsrate und warten gespannt auf die Reaktion der Politik.

APA: Stichwort Baukosten: Sind Sie zuversichtlich, dass Sie wie geplant 2024 ins renovierte Theater an der Wien zurückkehren können?

Herheim: Ich bin Optimist, aber auch Realist. Und deshalb auch ein Störenfried, der fast täglich bei den Zuständigen anklopft und nach dem Stand der Dinge fragt.

APA: Haben Sie Angst, dass die Pläne aus Budgetgründen zusammengestrichen werden?

Herheim: Es gibt kein Zurück mehr, denn die Arbeiten sind schon weit vorangeschritten. Und das Ausmaß der Sanierung ist für die Sicherung dieses historischen Hauses unumgänglich.

APA: Ist der Zustand der Kammeroper hier eigentlich ein anderer?

Herheim: Auch die Kammeroper ist baufällig, auch hier steht das Wasser im Keller, und irgendwann wird die Behörde uns das Haus aus Sicherheitsgründen sperren. Wir haben diesen Sommer kosmetische Verschönerungen vorgenommen und hoffen, in absehbarer Zeit den Erhalt unserer zweiten Spielstätte klären zu können.

APA: Das Haus abzustoßen wäre keine Option?

Herheim: Wir wollen es nicht aufgeben - es ist ein wunderbares Haus mit einer traditionsreichen Geschichte, die ich unbedingt fortführen möchte. Aber wir brauchen auch eine neue Probebühne für das große Haus und hoffen, im selben Gebäude dann auch eine Studiobühne einrichten zu können, die mit 280 Plätzen als Ausweichstandort für die Kammeroper dienen könnte.

APA: Was Sie hingegen fix aufgegeben haben, ist das in der Kammeroper beheimatete Junge Ensemble. Weshalb?

Herheim: Mit dem Jungen Ensemble konnte mein Vorgänger der Politik 40 zusätzliche Spieltage pro Saison ganz ohne Subventionserhöhungen zusagen. Das war geschickt und hat gut funktioniert, doch lässt sich die Kammeroper nicht länger auf finanzieller Sparflamme bespielen. Zudem ist es mein Ziel, sie mit demselben künstlerischen Anspruch zu programmieren wie das große Haus. Deswegen haben wir viel Zeit in ein weitreichendes Netzwerk aus Hochschulen und Akademien investiert, um Studierenden und dem Nachwuchs die Chance zu geben, mit renommierten Künstlerinnen und Künstlern zusammen in der Kammeroper aufzutreten. Die Resonanz ist immens und ich bin sehr zuversichtlich, dass wunderbare Projekte hier entstehen werden.

APA: Wie ist angesichts all dieser Herausforderungen Ihre persönliche Stimmungslage?

Herheim: Wie gesagt haben wir gerade mehr Baustellen um die Ohren als uns lieb ist. Und natürlich machen wir uns Sorgen angesichts der andauernden Krise. Doch die Zusammenarbeit mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Zusammenhalt im Haus sind so erfüllend, dass ich derzeit der glücklichste Mensch der Welt bin!

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

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  • Stefan Herheim startet in eine neue Ära - für sich persönlich wie für das Theater an der Wien.

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