APA/APA/ImPulsTanz/Marc Coudrais

Mathilde Monnier lässt in "Records" den Lockdown tanzen

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Gar nicht lange ist es her, dass ein Lockdown nach dem nächsten beschlossen wurde. Wer dennoch vergessen hat, wie sich der pandemiebedingte kollektive Rückzug in die eigenen vier Wände angefühlt hat, ist bei Mathilde Monniers Choreografie "Records" bestens aufgehoben. Im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals rief sie am Mittwoch dem Publikum der Österreichpremiere im Wiener Akademietheater alle Facetten in Erinnerung - seien sie noch so lähmend.

Das Geschehen auf der Bühne ist rasch überblickt. Ein leerer Raum trifft auf eine weiße, etwa zwei Meter hohe Wand, über der noch eine große Videowall mit Impressionen eines wolkenverhangenen Himmels installiert ist. Davor stehen, sitzen, liegen sechs Tänzerinnen in Sneakers, langen blauen Hosen und ohne Oberteil. Zu sphärischen Klängen wirken sie zunächst gefasst, beinahe stoisch und erkunden zögerlich den Raum. Schon bald geben aber sie den Ton an.

So entdecken sie die Wand für sich und lernen auf erstaunlich vielfältige Weise darauf einzutreten. Mal alleine, mal gemeinsam, mal synchron, mal wild durcheinander entsteht ein fesselnder Sog, der entfernt an das gemeinsame Klatschen für Krankenhauspersonal erinnert. Solidarität kennt allerdings bekanntlich ihre Grenzen, wenn eigene elementare Bedürfnisse nicht befriedigt werden.

Das Erproben neuer Formen der Interaktion schlägt in Irrsinn um - und dieser hat viele Gesichter. Jede der sechs Performerinnen stellt eines davon vor. Da wird sich gewunden, gequietscht, miaut und auch mit einem imaginären Reißverschluss in den Hals gezwickt. Garniert ist das mit viel Körperkomik und einer Prise Selbstironie. Gerade noch rechtzeitig scheint das Ende des Lockdowns zu nahen und der Wahnsinn schlägt in ein reinigendes Gänsehautfinale um.

Dass dieses recht kurz ausfällt, ist schade, hat aber wohl seine Logik. Monnier wollte mit der rund einstündigen Choreografie, deren erste Bewegungen im Mai 2020, am Ende des ersten Lockdowns in Frankreich entstanden, die Emotionen festhalten, mit denen uns diese Zeit konfrontiert hat. Großteils waren diese bei den meisten wohl wenig erfreulich.

Es gelang der Französin jedenfalls, ihr Publikum zu lähmen, ihre Geduld auf die Probe zu stellen, aber auch Kreativität und Erleichterung fühlen zu lassen. Großes Fragezeichen bleibt, ob man einen künstlichen Lockdown freiwillig durchleben will, wenn die nächsten Einschränkungen schon um die Ecke lauern könnten. Das Publikum wollte. Es spendete lange Applaus.

(S E R V I C E - "Records" im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Akademietheater, Lisztstraße 1, 1030 Wien. Choreografie: Mathilde Monnier, Bühne/Videos: Jocelyn Cottencin, Dramaturgie: Stéphane Bouquet, Kostüme: Laurence Alquier. Mit Sophie Demeyer, Lucia Garcia Pulles, Lisanne Goodhue, I-Fang Lin, Carolina Passos Sousa, Ashley Wright. Weitere Aufführung am 15. Juli um 21 Uhr im Akademietheater. www.impulstanz.com/performances/pid1472/)

ribbon Zusammenfassung
  • Gar nicht lange ist es her, dass ein Lockdown nach dem nächsten beschlossen wurde. Wer dennoch vergessen hat, wie sich der pandemiebedingte kollektive Rückzug in die eigenen vier Wände angefühlt hat, ist bei Mathilde Monniers Choreografie "Records" bestens aufgehoben. Im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals rief sie am Mittwoch dem Publikum der Österreichpremiere im Wiener Akademietheater alle Facetten in Erinnerung - seien sie noch so lähmend.