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Literaturstar Franzen vergleicht Trump mit "Sechsjährigem"

Heute, 08:53 · Lesedauer 3 min

Mit "Die Korrekturen" und "Freiheit" schrieb Jonathan Franzen US-Literaturgeschichte. Am Donnerstagabend ließ sich der studierte Germanist im Wiener Gartenbaukino von dem englischen Journalisten Neil Young in ein Gespräch über den "sechsjährigen" US-Präsidenten, den Wiener Polemiker Karl Kraus und die "Sprachlosigkeit der US-Gesellschaft" verwickeln und stellte sich Fragen des Publikums.

Als scharfer Gesellschaftschronist hat Jonathan Franzen es geschafft, Umweltschützer, Feministinnen, und scheinbar jeden unter 40 in Rage zu bringen, indem er schon in den 1990ern den sozialkritischen Roman für tot erklärte. Den Klimawandel hält er inzwischen für nicht mehr aufhaltbar ("Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?" lautet der Titel eines Essays). Er ist auch ein entschiedener Gegner von Sozialen Medien.

Davon war gestern Abend keine Spur. Fast schon schüchtern saß der sympathische Literaturstar auf der Bühne des fast ausverkauften Kinos. Sein letzter Wienbesuch ist fast 20 Jahre her - im Rabenhof war das. Aber natürlich ließ er es sich nicht nehmen, von der Schieflage in seinem Heimatland zu sprechen. "Wir haben einen Präsidenten, der wie ein Sechsjähriger gerne die Flügel von Insekten abschneidet", meinte er. "Was machen wir damit? Er wurde von einem Witz zu einem grimmigen Witz. Dieses Zeug ist so flammend korrupt, wo fängt man da an?"

Dass er etwas verändern könne, glaubt der inzwischen 65-Jährige nicht - hat er den Ehrgeiz einen großen Gesellschaftsroman zu schreiben, der die Menschen irgendwie zur Vernunft bringen könnte, schließlich schon in den Neunzigern aufgegeben. "Es ist schwer, auf so etwas intellektuell zu reagieren", meinte der Autor fast schon resignierend. "In Amerika interessiert sich niemand dafür, was ein Schriftsteller denkt." Aber er verstehe auch den Unmut und die Ressentiments der Menschen gegen die Elite - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Er liebe sein Heimatland, aber es sei auch immer schon in einer Schieflage gewesen: "Es ist wirklich schwer, Amerika zu lieben", so Franzen.

Meryl Streep im Gespräch für Adaption

Franzens Romane handeln von "unglücklichen Familien", wie er selbst es ausdrückt, angespannten Beziehungen, enttäuschten Eltern und ebenso enttäuschten Kindern, Minderwertigkeitsgefühlen und Nervenzusammenbrüchen. Der Erscheinungstag seines letzten großen Romans "Crossroads", aus dem er gestern Abend auf Deutsch vorlas, ist schon eine Weile her - das war im Jahr 2021.

Einen dringenden Anlass für seinen Besuch gab es nicht. Für seinen nächsten Roman betreibe er "Bergbau an sich selbst", meinte er lachend. Er suche noch nach einer Idee. Drei Verfilmungen seiner Werke seien in Arbeit. Meryl Streep sei im Gespräch für eine Adaption von "Die Korrekturen". Ein Regisseur werde noch gesucht. "Vielleicht Michael Haneke?", witzelte er, "er ist verfügbar, oder?"

Karl Kraus wie eine unbekannte "Rockband"

In dem Roman besucht die Protagonistin Denise auf einer Europareise auch Wien, aber das Bild, das sie während ihres Besuchs gewinnt, ist kein sehr positives. Da heißt es etwa: "Die Idee, die sie von Österreich hatte, war lebendiger als Österreich selbst."

Dabei ist der US-Autor der österreichischen Hauptstadt sehr zugetan. Mit seinem "Kraus-Projekt" versammelte Franzen im Jahr 2014 die aus seiner Sicht bedeutsamsten zwei Aufsätze des Wiener Polemikers Karl Kraus und hat sie - unterstützt von Daniel Kehlmann und dem Kraus-Experten Paul Reitter - sehr persönlich kommentiert. "Er ist ein bisschen wie die Rockband, von der nicht viele Leute gehört haben", so der Schriftsteller.

(Von Marietta Steinhart/APA)

Zusammenfassung
  • Jonathan Franzen verglich im Wiener Gartenbaukino den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump mit einem "Sechsjährigen, der gerne die Flügel von Insekten abschneidet" und kritisierte dessen Amtszeit als "flammend korrupt".
  • Der 65-jährige Autor glaubt nicht an die gesellschaftliche Wirkkraft von Literatur und sieht die US-Gesellschaft als sprachlos und desillusioniert, äußerte aber Verständnis für den Unmut gegenüber Eliten in den USA und Europa.
  • Franzens letzter großer Roman "Crossroads" erschien 2021, drei Verfilmungen seiner Werke sind in Planung und Meryl Streep ist für eine Adaption von "Die Korrekturen" im Gespräch.