APA/APA / Volkstheater/Marcella Ruiz Cruz

Intelligent und spannend: Hanekes "Caché" im Volkstheater

Heute, 03:20 · Lesedauer 4 min

Ein Theaterabend, an dem man von der ersten bis zur letzten Minute zugleich gefesselt wie beglückt ist - so eine Sternstunde erlebt man nicht gerade häufig. Die Uraufführung der Bühnenfassung des Haneke-Films "Caché" durch Felicitas Brucker am Volkstheater Wien am Sonntag war so ein Glücksfall: intelligent, spannend, rätselhaft, hoch aktuell und glänzend gespielt. Ein perfekter Abschluss des Eröffnungswochenendes der neuen Direktion von Jan Philipp Gloger.

Der Film, der Michael Haneke 2005 in Cannes den Regiepreis und gleich mehrere Europäische Filmpreise einbrachte, wirkt heute so modern wie damals: Eine gut situierte Familie des gehobenen Bürgertums wird durch geheimnisvolle Überwachungsvideos und irritierende Andeutungen über Ereignisse der Vergangenheit aus der Bahn geworfen. Haneke wählte damals die Arroganz des französischen Mittelstands und das 1961 in Paris verübte Polizeimassaker an Algeriern als konkrete Angriffsfläche, die jedoch universal zu verstehen ist. Das funktioniert auch zwei Jahrzehnte danach problemlos. Und dass heutzutage der Psychoterror wohl über Soziale Medien als mittels in Plastiksäcken vor der Türe deponierter Videokassetten ausgeübt würde, sind reine Äußerlichkeiten, die in keiner Sekunde ins Gewicht fallen.

Das liegt auch daran, dass Ausstatterin Viva Schudt eine Bühnenlösung ersonnen hat, mit der wahre Zauberkunststücke vollbracht werden können. Die immer wieder angesprochenen Videos sind in dem modernen Vorstadt-Einfamilienhaus mehrfach präsent, vom in die Wohnwand integrierten Screen bis zu mehreren Schichten Gaze-Vorhang vor der Bühne. Raffiniert erweisen sich die Seitenwände als hochgeklappte Böden, die auf der einen Seite eine Swimmingpool-Bahn, auf der anderen Seite ein gezeichnetes Parkett darstellen, dessen Kräutertöpfe auch als Kletterwand benützt werden können. Auf die Horizontale und die Vertikale ist hier so wenig Verlass wie auf die Wahrheit. Alles ist aus dem Lot geraten und eine Frage der Perspektive. Dass hier auch eine Substandard-Wohnung aus der Unterbühne hochgefahren und das perfekte Eigenheim mittels Drehung auch seine Kehrseite zeigen kann, ist nur eine Draufgabe.

Felicitas Brucker, von 2006 bis 2013 Hausregisseurin am Schauspielhaus Wien und nun eine in der ganzen deutschsprachigen Theaterszene gefragte Regiekraft, nutzt diesen Raum perfekt - inklusive Überraschungsmomente wie das "Zurückspulen" von Szenen oder das Einbeziehen von Außen- und Zuschauerraum. Vor allem aber hat sie das Drehbuch radikal gestrafft und auf vier Darsteller konzentriert. Der junge Tänzer Moritz Grossmann spielt überzeugend den bockigen Teenager-Sohn und darf zudem mit Perücke eine Freundin des Ehepaares verkörpern und in einer schönen Szene sein Tanz-Talent beweisen. Bernardo Arias Porras, von den Münchner Kammerspielen nach Wien gewechselt, bringt zunächst als geheimnisvolle und ungesehen durch das Haus kletternde und schleichende Figur Irritation in das saturierte Ambiente und glänzt danach neben weiteren Nebenfiguren als Majid, das personifizierte schlechte Gewissen Europas, und dessen Sohn.

Sebastian Rudolph und Johanna Wokalek bravourös

Das im Film von Daniel Auteuil und Juliette Binoche verkörperte Ehepaar Georges und Anne Laurent, er populärer Moderator einer TV-Büchersendung, sie Verlagsangestellte, wird von Sebastian Rudolph und Johanna Wokalek dargestellt - zwei weiteren Volkstheater-Neuzugängen, von denen anzunehmen ist, dass sie die Direktion Gloger entscheidend mitprägen werden. Ihr so emotionales wie intelligentes Spiel steht im Zentrum des rund 105-minütigen Abends, von dem man keine Sekunde missen möchte. Wie die Selbstgefälligkeit des Intellektuellen zunehmend bröckelt und aus Unsicherheit langsam Emotion und Aggression werden, spielt Rudolph in einem faszinierenden Bogen, in dem er auch das Vertrauen seiner Gattin verspielt. Wokaleks Zerrissenheit zwischen Loyalität und Sorge ist überaus nachvollziehbar. Je mehr sie aus der Familiengeschichte ihres Mannes erfährt, je mehr dieser im Alleingang alles wieder geradebiegen möchte, desto weniger Gemeinsamkeit bleibt über.

Wokalek gehört mit dem Verlesen einer Drehbuchpassage der Schlusspunkt des Abends. Es ist ein anderes Ende als der Film und blickt in die Vergangenheit statt in eine Zukunft, in der noch mehr Fragen und Gefahren lauern. "Schwarzfilm. Darauf der Abspann", sind die letzten Worte an diesem außergewöhnlichen Abend. Es folgte langer, herzlicher Schlussapplaus. Dieses "Caché" braucht sich nicht zu verstecken. Es ist die erste rundum gelungene Vorzeige-Produktion der neuen Direktion.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "Caché" nach dem Film von Michael Haneke, in einer Fassung von Felicitas Brucker und Tobias Schuster. Uraufführung, Regie: Felicitas Brucker, Bühne und Kostüm: Viva Schudt, Musik: Markus Steinkellner, Video: Florian Seufert. Mit Bernardo Arias Porras, Sebastian Rudolph, Johanna Wokalek und Moritz Grossmann, Volkstheater Wien, Nächste Aufführungen: 18., 21.9., 10., 25.10., www.volkstheater.at)

Zusammenfassung
  • Die Bühnenfassung von Michael Hanekes 'Caché' wurde am Sonntag im Volkstheater Wien uraufgeführt und als intelligent, spannend und hochaktuell gefeiert.
  • Regisseurin Felicitas Brucker straffte das Drehbuch und konzentrierte die Inszenierung auf vier Darsteller:innen, darunter Sebastian Rudolph und Johanna Wokalek als zentrales Ehepaar.
  • Das Bühnenbild von Viva Schudt überzeugte mit modernen Elementen wie integrierten Screens, Gaze-Vorhängen und beweglichen Wänden, die überraschende Perspektiven schaffen.
  • Mit einer Dauer von rund 105 Minuten wurde das Stück als perfekter Abschluss des Eröffnungswochenendes der neuen Direktion von Jan Philipp Gloger gelobt.
  • Die nächsten Aufführungen finden am 18. und 21. September sowie am 10. und 25. Oktober im Volkstheater Wien statt.