Hochmair bewährte sich in Salzburg als Jedermann
In ihrem zweiten Jahr hat Carsens Inszenierung an Dynamik wie an Charakter gewonnen: Philipp Hochmair als Jedermann zeigte sich weniger manieriert, Deleila Piasko legte als selbstbestimmte Buhlschaft noch an Eigenständigkeit zu. Ansonsten blieb die Inszenierung das, was sie bereits im Vorjahr war: eine große Party ohne allegorischen Schnickschnack. Dominik Dos-Reis gab erneut als Tod einen fanatischen Geistlichen, der Glaube blieb eine Putzfrau und Jedermann streamte seine Ankunft auf seinem Anwesen live im Internet. Hugo von Hofmannsthals "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" wurde diesmal vom Publikum allerdings deutlich reservierter entgegengenommen, Jubel und Standing Ovations gab es jedenfalls für das Ensemble.
Als Klammer dienen erneut an Pathos grenzende Massenszenen, beginnend mit den aus dem Dom strömenden Gläubigen als Spielansager, die sich flugs in eine bunte, queere Partygesellschaft verwandeln und am Ende in weißen Gewändern Jedermanns Begräbnis beiwohnen. Hatte Michael Sturminger vor zwei Jahren in seiner nach nur einer Saison abgesetzten Neuinszenierung mit Michael Maertens noch auf dystopisches Klimakrisenspiel gesetzt, steht hier weiterhin eine Gesellschaft im Fokus, die nach wie vor feiert, als gäbe es kein Morgen.
Piasko als erwachsen gewordene Buhlschaft
Gemeinsam mit Co-Bühnenbildner Luis F. Carvalho setzt Carsen erneut auf reduzierte Bühnenelemente wie einen riesigen Rollrasen, Traverse mit Discokugeln oder eine Gartenbank samt Sonnenschirm, unter dem Jedermanns Mutter (diesmal deutlich weniger präsent: Andrea Jonasson) ihrem Sohn folgenlos ins Gewissen redet. All das geschieht vor der beeindruckenden Kulisse des Doms, den Hochmair sein Haus nennt und aus dem allerlei in Tracht, Gastro-Bekleidung oder Gärtner-Outfit gewandetes Hauspersonal auftritt.
Deleila Piasko, die ihre Buhlschaft im Vorjahr als selbstbewusstes It-Girl gab, ist deutlich erwachsen geworden und rückt früher als bisher von ihrer Schwärmerei für den älteren Mann ab. Sie ist eine kritische Co-Hausherrin, die in dieser sanft gestrafften Version der Inszenierung stets den Überblick behält - bis ihr Jedermann dem Tod ins Auge blickt. Nach wie vor ein Blickfang (mit Auftrittsapplaus) ist das goldene Elektro-Cabrio, mit dem Hochmair seinen ersten Auftritt absolviert.
Breakdance, Koks und Karaoke
Die rund 90 Partygäste setzen auf Breakdance, Koks und Karaoke. Wie viel in der ersten Stunde getanzt und gesungen wird (ein Highlight: Lukas Vogelsang als Dicker Vetter mit einer Coverversion von Clay Walkers Country-Song "Live until I die"), ist nach wie vor etwas befremdlich. Dass sich hier die Reichsten der Reichen in einem heutigen Paralleluniversum begegnen, wird besonders deutlich, wenn Arthur Klemt als von Polizisten eskortierter und von Journalisten umringter Schuldknecht in Anzug und Sonnenbrille vor Jedermann tritt, dem er bis vor kurzem in einer Welt der spekulierenden Immobilien-Haie wohl noch ebenbürtig gewesen war. Aktuelle Bezüge zu einer berühmten Mega-Pleite lassen immer noch grüßen. Als seine am vergangenen Reichtum festhaltende und den tiefen Fall noch nicht ganz realisierende Ehefrau steht erneut Nicole Beutler auf der Bühne.
Hochmair unterhält die Meute auf seiner exklusiven Gartenparty via Mikrofon und tanzt mit seiner Geliebten Tango auf dem Tisch. Im zweiten Teil des auf 100 Minuten gekürzten Abends kann Hochmair jenen Wahnsinn ausspielen, der ihm am besten liegt, fährt ihn jedoch im Vergleich zu Vorjahr deutlich zurück. Kathleen Morgeneyer ersetzt heuer Dörte Lyssewski als Armer Nachbar und Werke und man freut sich auf das Wiedersehen mit der Burgschauspielerin bei der Premiere von "Die letzten Tage der Menschheit" am kommenden Freitag.
Der Teufel steckt in jedem von uns
Geblieben ist auch die an Jesus erinnernde Szene, in der der Jedermann die Füße der Statisten wäscht und küsst, nachdem der Glaube als Putzfrau Jedermann einen Lappen in die Hand drückt. Juliette Larat füllt die im Vorjahr von Regine Zimmermann gespielte Rolle hervorragend aus. Dass der Teufel in jedem von uns steckt, verdeutlicht einmal mehr Christoph Luser, der für seine Doppelrolle als Guter Gesell und Teufel im Vorjahr einen Nestroy-Preis erhielt. Erneut stark ist Kristof Van Boven als Mammon, der als modetechnischer Klon Jedermanns aus dem Kofferraum des goldenen Cabrios springt und nicht nur mit Jedermanns Geldkoffern, sondern auch mit dessen absurd teurer Kunstsammlung - von der "Goldenen Adele" über "Salvator mundi" bis zu Munchs "Schrei" - das Weite sucht.
Carsen hat in seinem zweiten Jahr auf den Erfolg seines Debüts gesetzt. Leichte Abnutzungserscheinungen hat er durch sanfte Striche abgemildert, aber es bleibt dennoch zu hoffen, dass der "Jedermann" im kommenden Jahr eine deutlichere Frischzellenkur erfährt.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal, Regie: Robert Carsen, Bühne: Robert Carsen, Luis F. Carvalho, Kostüme: Luis F. Carvalho, Musik: Ensemble 013. Mit u.a. Philipp Hochmair als Jedermann, Deleila Piasko als Buhlschaft, Dominik Dos-Reis als Tod, Andrea Jonasson als Jedermanns Mutter, Christoph Luser als Jedermanns guter Gesell / Teufel, Arthur Klemt als Schuldknecht, Nicole Beutler als Des Schuldknechts Weib, Lukas Vogelsang als Dicker Vetter, Kristof Van Boven als Mammon und Juliette Larat als Glaube. Salzburger Festspiele. Am Domplatz bzw. bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus. www.salzburgerfestspiele.at
Zusammenfassung
- Die Jedermann-Premiere der Salzburger Festspiele fand am Samstagabend auf dem Domplatz statt und blieb trotz stürmischem Wetter trocken.
- Philipp Hochmair überzeugte in seiner zweiten Saison als Jedermann mit weniger Manierismus, während Deleila Piasko als Buhlschaft an Eigenständigkeit gewann.
- Robert Carsens Inszenierung setzte erneut auf eine moderne, partyartige Atmosphäre mit rund 90 Partygästen, Breakdance, Koks und Karaoke.
- Die Aufführung wurde auf 100 Minuten gekürzt und das Publikum reagierte zurückhaltender, dennoch gab es Jubel und Standing Ovations für das Ensemble.
- Aktuelle Bezüge zur Immobilienkrise wurden durch die Figur des Schuldknechts hergestellt, während markante Bühnenelemente wie ein goldfarbenes Elektro-Cabrio für visuelle Akzente sorgten.