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Guy Maddin über seinen "Sommernachtstraum für Politiker"

11. Mai 2025 · Lesedauer 6 min

Nach Jahrzehnten im experimentellen Untergrund wagt sich Filmemacher Guy Maddin in breitenwirksamere Gefilde vor. Für sein neues Werk "Tanz der Titanen" ("Rumours") ist nicht nur Cate Blanchett für ein G7-Treffen an Bord, sondern verzichtet er auch auf eine Ästhetik des frühen Kinos und üppige Bearbeitung des Filmmaterials. Im APA-Interview spricht der Kanadier über seinen "Sommernachtstraum für Politiker", schlafende Kinogänger und den Look seiner Filme.

Bis vor kurzem waren die verträumt-verworrenen Filme Maddins ("The Forbidden Room", "The Saddest Music in the World") wohl nur einem kleinen Kreis an Kinoenthusiasten ein Begriff. Mit "Tanz der Titanen" (ab 16. Mai im Kino) könnte sich das ändern. Blanchett, Charles Dance, Roy Dupuis, Denis Ménochet oder Nikki Amuka-Bird verkörpern Regierungschefs, die an einer gemeinsamen Erklärung für eine nicht näher beschriebene Gefahr arbeiten und sich dabei nicht nur mit Moorleichen, sondern auch einem riesigen Hirn im Wald und einem KI-Chatbot konfrontiert sehen.

Der Ausgangspunkt für die Filmidee waren Youtube-Clips von G7-Gipfeln, über die Maddin und die beiden Brüder Galen und Evan Johnson zufällig stolperten. "Sie sind wie Stummfilme. Die Kamera ist nie in der Nähe der Staats- und Regierungschefs, während sie miteinander sprechen", erinnert sich Maddin an die "seltsamsten Kunstwerke im Internet". Die Auftrittsgesten - Lächeln und viel sanftes Lachen - hätten etwas sonderbar Choreografiertes an sich. "Wir konnten nicht anders, als Handlungen und Dialoge auf sie zu projizieren. Und da dachten wir: Was wäre, wenn wir einen Film machen würden?", so der Autodidakt.

"Wir wollten so was wie 'Dazed and Confused', 'American Graffiti' oder 'Ein Sommernachtstraum' machen, wo alles in einer einzigen verzauberten Nacht passiert. Aber die Kinder der Nacht sind in Wirklichkeit die Anführer der Welt." Auf eine an Donald Trump angelehnte Figur habe man dabei bewusst verzichtet. "Ich denke, Trumps Präsenz hätte 'Tanz der Titanen' zu einem anderen Film gemacht. Er würde seinen Charme verlieren. Es wäre so ablenkend wie die Nachrichten zu sehen. Außerdem geben die Figuren ihre Ideologie nie preis. Sie sind durchaus annehmbare Menschen."

Ein Brite als US-Präsident

Maddin und die Johnson-Brüder entschieden sich aber nicht nur gegen Trump, sondern überhaupt gegen einen Amerikaner als US-Präsidenten. "Hollywood hat schon immer großartige, diverse Besetzungen gehabt, wenn es um den amerikanischen Präsidenten ging. Wir wollten uns nicht auf einen Vielfaltswettbewerb einlassen. Uns allen gefiel die Idee, dass der Präsident ein Brite sein soll."

Ein Stummfilm zum Loswerden von Spinnweben

Mit "Tanz der Titanen" wurde Maddin zu den Filmfestspielen in Cannes und damit einem der wichtigsten Festivals der Welt eingeladen. Seinen Aufstieg nimmt er mit "gemischten Gefühlen" hin. "Weil Cate Blanchett dort war, sind meine zwei Enkelinnen endlich zu einer Vorführung eines meiner Filme gekommen. Ich glaube nicht, dass sie bis dahin wussten, was ich beruflich mache", schmunzelt Maddin. Aber es ärgere ihn, wie man bei großen Produktionen "nur 14 statt 100 Aufnahmen pro Tag" schaffe. "Deshalb drehe ich in etwa einem Monat einen Stummfilm. Ich hoffe, dass ich damit alle Spinnweben loswerde, die sich auf mir angesammelt haben, während ich gezwungen war, die Langsamkeit des Hollywood-Filmemachens zu ertragen." Er dreht den Film alleine, um sich "wieder an all das zu erinnern, was in einen Film hineinläuft".

Damit kehrt der Kanadier praktisch zu seinen Anfängen zurück, als er selbst sein einziges Crew-Mitglied war. "Ich war der Kameramann, der Regisseur und der Beleuchter", erinnert sich der 69-Jährige. Damals habe er keinen visuellen Stil verfolgt. "Ich habe einfach Licht auf ein paar Leute gerichtet und gedreht." Erst später, als er den Film aus dem Labor zurückbekam, habe er festgestellt, dass dem Material sehr wohl - durch Zufall - eine spezielle Ästhetik innewohnte. "Ich habe nur ein Licht verwendet, und deshalb waren die Schatten tiefschwarz. Die Leute, die sich die Filme ansahen, meinten, sie sähen aus wie deutsche expressionistische Filme." Maddin beschloss: "Das ist meine Chance, Aufmerksamkeit zu erregen. Rückblickend betrachtet war das wahrscheinlich kein guter Karriereschritt, aber ich habe es trotzdem gemacht."

Tribut an altes Kino und "Vertigo"-Nachbau

In "The Forbidden Room" (2015) sieht er den Höhepunkt seines Tributs an altes Kino erreicht. Mit den Johnson-Brüdern perfektionierte er dafür die Bearbeitung des Materials, "wie alte Filmemulsion zerfällt, wie die Chemikalien korrodieren, oxidieren und miteinander schwimmen". Danach widmete er sich für "The Green Fog" (2017) einer weiteren ausgefallenen Idee. Aus Schnipseln aus 100 Filmen, die allesamt in San Francisco gedreht wurden, stellte er Hitchcocks "Vertigo" nach. "Es ist der einzige Film, bei dem ich keine einzige Einstellung bereue, weil viele großartige Filmemacher und Schauspielstars daran gearbeitet haben", grinst Maddin.

Ist "Tanz der Titanen" nun eine Art sanfter Einstieg in sein Werk? "Wenn man eine forensische Analyse von 'Tanz der Titanen' machen müsste, würde man dieselbe DNA darin finden wie in 'The Forbidden Room', 'The Green Fog', 'My Winnipeg' oder anderen Filmen, die ich früher gemacht habe. Aber es ist definitiv einer unserer seltenen Filme, der in der Gegenwart spielt und in Farbe und voller Schärfe gedreht ist."

Eine optimale Lesart seiner Filme nennt Maddin nicht. Doch: "Ich möchte nicht als jemand wahrgenommen werden, der sich selbst ernst nimmt. Ich, Evan und Galen haben das Bedürfnis, die Hälfte der Zeit wirklich dumm zu sein; schön und dumm."

Verständnis für schwere Augenlider

Und ist er böse auf Kinogänger, die angesichts der traumähnlichen Anmutung vieler seiner Film einschlafen? "Ich wünschte, sie würden nicht einschlafen! Ich wünschte, meine Filme wären so fesselnd, dass sie wach bleiben. Aber ich kann es verstehen. Ich selbst bin bei meinem Lieblingsfilm 'Vertigo' eingeschlafen, und auch bei 'Eraserhead'. Und trotzdem habe ich beide genossen", äußert Maddin Verständnis für schwere Augenlider. "In den letzten Jahrzehnten haben mir vielleicht um die 100 Leute gesagt, dass sie bei meinen Filmen einschlafen. Aber sie sagen, das sei ein Kompliment! Ich empfinde es trotzdem als Versagen. Aber ich lerne noch", übt sich der Regisseur in Selbstkritik. Mit "Tanz der Titanen" hat Maddin jedenfalls erneut ein Stück verträumtes Kino in die Welt gesetzt. "Ein Sommernachtstraum für Politiker", lächelt der experimentierfreudige Filmemacher.

(Das Interview führte Lukas Wodicka/APA)

Zusammenfassung
  • Guy Maddin bringt mit "Tanz der Titanen" ab 16. Mai einen Film in die Kinos, der erstmals ein breiteres Publikum ansprechen soll und bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wird.
  • Der Film zeigt Regierungschefs, gespielt unter anderem von Cate Blanchett und Charles Dance, die während eines G7-Treffens mit absurden Situationen wie Moorleichen und einem KI-Chatbot konfrontiert werden.
  • Maddin verzichtet in seinem neuen Werk auf die Ästhetik des frühen Kinos und setzt erstmals auf Farbe und Schärfe.
  • Die Inspiration für das Drehbuch lieferten Youtube-Clips von G7-Gipfeln, die Maddin und seine Co-Autoren als "seltsam choreografiert" empfanden.
  • Nach den Erfahrungen mit großen Produktionen plant der 69-jährige Maddin als nächstes einen Stummfilm, um sich kreativ zu regenerieren.