Gent cancelt Konzert wegen israelischem Maestro
Das Flanders Festival Ghent hatte die kurzfristige Absage des für den 18. September geplanten Konzertes damit begründet, dass der in Tel Aviv geborene Shani auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist. "Im Lichte seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestras sind wir nicht in der Lage, für die nötige Klarheit über seine Haltung dem genozidalen Regime in Tel Aviv gegenüber zu sorgen", heißt es in einer Erklärung auf der Homepage des Festivals.
Die rechtsreligiöse Regierung um Benjamin Netanyahu wird zwar auch im eigenen Land teilweise scharf kritisiert. Sie ist aber vor drei Jahren demokratisch gewählt worden. Außerdem sitzt die israelische Regierung nicht in der Küstenstadt und Wirtschaftsmetropole Tel Aviv, sondern in Jerusalem.
Shani habe sich zwar in der Vergangenheit mehrfach "für Frieden und Versöhnung" ausgesprochen, hieß es weiter in der Erklärung. Dennoch habe man entschieden, nicht mit Partnern zusammenzuarbeiten, die sich nicht eindeutig von "diesem Regime" distanziert haben.
Der Fall sei eine "Schande für Europa", reagierte Deutschlands Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. "Unter dem Deckmantel vermeintlicher Israel-Kritik wird hier ein Kultur-Boykott betrieben. Das ist blanker Antisemitismus und ein Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur."
Der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Felix Klein, sah einen "ganz und gar unsäglichen und zutiefst antisemitischen Vorgang". Denn es sei antisemitisch, Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen, sagte Klein.
PEN Berlin kritisiert die Ausladung ebenfalls, insbesondere die Begründung. Meinungsfreiheit sei nicht nur das Recht, sich frei und ohne Furcht vor Repressalien zu äußern, sie beinhalte auch das Recht, sich nicht äußern zu müssen, hieß es in einer Aussendung. "Bekenntniszwang ist ein Merkmal autoritärer und erst recht totalitärer Regime", so PEN Berlin.
Der Genter Festivalleiter Jan van den Bossche wies den Vorwurf des Antisemitismus zurück, verteidigte die Absage aber ausdrücklich. Lahav Shani sei ein fantastischer Künstler. Aber: "Wir wissen nicht, wo er in diesem Konflikt steht, und Völkermord lässt unserer Ansicht nach keinen Raum für Unklarheit", erklärte Van den Bossche nach den heftigen Reaktionen aus Deutschland.
Boykottaufrufe und Proteste
Doch ist das alles kein Einzelfall. "Mir wurde in Gesprächen von israelischen Künstlerinnen und Künstlern berichtet, dass Kolleginnen und Kollegen von ihnen oft erwarten, dass sie sich von der Regierung distanzieren", sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann. "Das ist in meinen Augen ein nicht hinnehmbarer Übergriff."
Kürzlich forderten Hunderte Schauspieler und Mitarbeiter der Filmbranche, darunter die Hollywood-Stars Tilda Swinton und Mark Ruffalo, einen Boykott israelischer Filminstitutionen. Denn diese seien am "Völkermord" an den Palästinensern beteiligt, heißt es in dem Aufruf.
Die israelischen Kampfhandlungen sind in öffentlichen Debatten der Kulturbranche zu Gaza deutlich präsenter als das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel, das den Gaza-Krieg auslöste. Bei den Filmfestspielen in Venedig gewann jüngst ein Film über ein getötetes palästinensisches Mädchen im Gazastreifen den zweitwichtigsten Preis. Das Massaker der Hamas und anderer Terroristen in Israel am 7. Oktober 2023 spielt im Film keine Rolle.
"Differenzierte Positionen eine Herausforderung"
Der in Tel Aviv geborene Publizist Meron Mendel, Leiter des Bildungszentrums Anne Frank in Frankfurt, ist selbst Kritiker der israelischen Regierung unter Netanyahu und deren Kriegsführung im Gazastreifen. Aber die Absage an Shani aus Gent nennt auch er einen Skandal. "Wenn man die Regierung Netanyahus mit allen jüdischen Israelis - unabhängig ihrer politischen Haltung - praktisch gleichsetzt, ist man schon sehr nah an Antisemitismus."
In Israel gebe es massiven Widerstand gegen Netanyahus Politik. "Die Mehrheit stellt sich gegen den Krieg und die Vertreibung der Palästinenser in Gaza", sagte Mendel. "Auch Lahav Shani stellt sich gegen dieses Vorgehen. Diese Leute zu bestrafen ist, ungeachtet der Frage des Antisemitismus, einfach moralisch falsch."
Für den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, geht es um mehr als die aktuelle Gaza-Debatte. "Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, tritt die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit Füßen", sagte er. "Jüdische oder israelische Künstler müssen sich offenbar erst politisch rechtfertigen, um am kulturellen Leben teilhaben zu dürfen." Doch dürfe künstlerische Freiheit nicht selektiv gewährt werden, betonte Schuster.
Mehr Differenzierung gefordert
Der 36 Jahre alte Shani soll im September 2026 bei den Münchner Philharmonikern Nachfolger des Russen Waleri Gergijew werden. Dieser war rausgeworfen worden, weil er sich aus Sicht des Münchner Stadtrats nach dem russischen Angriff die Ukraine nicht hinreichend von Russlands Präsidenten Wladimir Putin distanziert hatte. "Wenn es nicht so traurig wäre, könnte der ganzen Situation eine gewisse Ironie abgewonnen werden", sagte Zimmermann. "Ich denke, der aktuelle Fall zeigt ganz klar, dass mehr Differenzierung zwischen Kunst und Politik erforderlich ist."
(S E R V I C E - www.gentfestival.be/en; https://musikverein.at/konzert/?id=00059dfe)
Zusammenfassung
- Das Flanders Festival Ghent hat das für den 18. September geplante Konzert der Münchner Philharmoniker mit dem israelischen Dirigenten Lahav Shani kurzfristig abgesagt.
- Die Festivalleitung begründete die Absage mit Shanis Rolle als Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra und forderte mehr Klarheit über seine Haltung zur israelischen Regierung.
- Die Entscheidung stieß in Deutschland auf heftige Kritik, unter anderem von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, dem Antisemitismusbeauftragten Felix Klein und PEN Berlin, die Antisemitismus und einen Angriff auf die Kunstfreiheit beklagen.
- Der Fall steht im Kontext vermehrter Boykottaufrufe und politischer Forderungen an israelische Künstler, während Shani 2026 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wird, nachdem sein Vorgänger wegen mangelnder Distanzierung zu Putin entlassen wurde.