APA/Reiner Riedler

Gedanken eines Holocaust-Opfers als Musical in Gmunden

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Beim Lesen der Schriften der im KZ ermordeten "norwegischen Anne Frank" Ruth Maier ist bisher wohl kaum jemandem der Gedanke gekommen: "Das müsste endlich als Musical auf die Bühne." Die Uraufführung der "Briefe von Ruth" Freitagabend im Stadttheater Gmunden zeigt: doch, es musste. Komponist Gisle Kverndokk und Librettist Aksel-Otto Bull haben ein melancholisches Musiktheater geschaffen, sensibel umgesetzt vom Musical Frühling Gmunden mit exzellenten sängerischen Leistungen.

Die Jüdin Ruth Maier floh 1939 mit 19 Jahren vor den Nazis aus Wien nach Norwegen, wo sie auch ihre große Liebe, die Dichterin Gunvor Hofmo, kennenlernte. Einige Jahre konnte die kunst- und politikinteressierte junge Frau im Norden einigermaßen glücklich und frei leben, bis schließlich auch ihre neue Heimat von den Nationalsozialisten besetzt wurde. Ruth starb mit 22 Jahren im KZ Auschwitz. Sie hinterließ zahlreiche Briefe, Tagebücher und Zeichnungen, in denen sie ihre Gedanken zu vielen Themen festhielt und die heute Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes sind.

Ruths Briefe zeigen bei allem Leid, das sie erfährt und auch schildert, dennoch eher eine Coming-of-Age-Geschichte - der Tod des Vaters und die neue Liebe der Mutter, Hänseleien in der Schule, erste Flirts, die Schwärmerei für einen Schauspieler, ihre lesbische Liebe in Norwegen, Liebeskummer und Lebenshunger, Glück und Depressionen, Überlegungen zu Literatur und Politik, die Sehnsucht nach der in Europa zerstreuten Familie und zuletzt im Angesicht der drohenden Deportation die Hinwendung der bisher Ungläubigen zum Judentum. All das verpackt Kverndokk in melancholische Musik, teils aufgelockert mit Swing-Elementen, zum Schluss werden auch herzzerreißend schöne jüdische Klänge eingestreut.

Im ersten Teil machen die Texte das Stück da und dort noch ein klein wenig sperrig, man wünscht sich, dass der Musik erlaubt würde, die Melodien länger zu entfalten. Im zweiten Teil gelingt das deutlich besser und das Musical wird (noch) einnehmender. Unter der behutsamen Regie des Intendanten-Duos Markus Olzinger und Elisabeth Sikora und unter der musikalischen Leitung von Jürgen Goriup entsteht auf der schlichten, teils mit historischen Fotos bestrahlten Bühne ein gleichzeitig bedrückendes wie herzerwärmendes Stück, das der furchtbaren Realität ebenso gerecht wird wie dem Unterhaltungsanspruch des Genres.

Jasmina Sakr als Ruth ist nahezu durchgehend auf der Bühne und brilliert stimmlich, Tamara Pascual als ihre Geliebte Gunvor Hofmo steht ihr um nichts nach. Die gesanglichen Leistungen des restlichen, jeweils mehrere Rollen spielenden Ensembles sind ebenfalls solide bis beeindruckend, besonders sticht Previn Moore heraus, dessen Stimmumfang das Publikum aufhorchen lässt.

Sie wolle einmal "ein schönes, großes Werk" hinterlassen, hatte Ruth Maier selbst über ihre Ambitionen, Künstlerin zu werden, geschrieben. Die erträumte Karriere als "Poetin" war ihr nicht mehr vergönnt, aber das aus den von ihr hinterlassenen Schriften entstandene Stück kommt dem Anspruch nahe. Das daraus entstandene Musical ist auch ein Referenzprojekt der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024.

(S E R V I C E - "Briefe von Ruth" von Gisle Kverndokk (Musik und Libretto) und Aksel-Otto Bull (Libretto). Musikalische Leitung: Jürgen Goriup, Regie und Bühnenbild: Markus Olzinger, Co-Regie und Dramaturgie: Elisabeth Sikora, Kostüm: Angelika Pichler, Maske: Renate Harter, mit Jasmina Sakr (Ruth Maier), Tamara Pascual (Gunvor Hofmo), Yngve Gasoy-Romdal, Michaela Thurner, Kudra Owens, Lukas Müller, Previn Moore, Kun Jing, Konstantin Zander. Weitere Aufführungen am 1., 2., 10. 14., 15., 16., 21., 22. und 23. April im Stadttheater Gmunden. https://musical-gmunden.com)

ribbon Zusammenfassung
  • Beim Lesen der Schriften der im KZ ermordeten "norwegischen Anne Frank" Ruth Maier ist bisher wohl kaum jemandem der Gedanke gekommen: "Das müsste endlich als Musical auf die Bühne."
  • Die Uraufführung der "Briefe von Ruth" Freitagabend im Stadttheater Gmunden zeigt: doch, es musste.
  • Ruth starb mit 22 Jahren im KZ Auschwitz.
  • Im zweiten Teil gelingt das deutlich besser und das Musical wird (noch) einnehmender.

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