Fotoschau im Jüdischen Museum Wien zu umkämpfter Erinnerung
Der Ausstellungstitel "Sag mir, wo die Blumen sind..." erinnert an das (in Übersetzung) gleichnamige Antikriegslied von Pete Seeger (1955) und dessen zentrale Fragen: Was ist geschehen und wann wird man je versteh'n? Diese Fragen ziehen sich auch durch die Schau, die am Donnerstag, 8. Mai, und damit 80 Jahre nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht eröffnet wird. "Wenn man eine Ausstellung über das Gedenken macht, dann immer auch über das Verdrängen", sagte Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums, bei einer Presseführung. Das wird an mehreren Stellen deutlich.
Ein Foto zeigt ein historisches Umspannwerk auf dem ehemaligen NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Über dem Eingang ist noch der Umriss eines entfernten "Reichsadlers" zu sehen. Die Burger-King-Filiale, die sich mittlerweile dort findet, wird umgangssprachlich "Reichs-Burger-King" genannt. Ein weiteres Foto schoss der Niederländer auf dem ehemaligen Lagergelände des Konzentrationslagers Gusen in Langenstein. Darin waren 71.000 Menschen inhaftiert, mehr als die Hälfte davon starb in Haft. Heute steht dort eine Wohnsiedlung. An die Wand eines Memorials beim ehemaligen Krematorium errichtete sich ein Anrainer, dessen Haus direkt angrenzt, ein "Fake-Hütten-Idyll", wie es Kuratorin Adina Seeger bezeichnete. Eine Fake-Holztür, ein Fake-Fenster und ein Herz-Traumfänger sind an der Wand des Memorials angebracht und sollen wohl für Heimeligkeit sorgen. "Ein sehr österreichischer Zugang", so Kuratorin Andrea Winklbauer.
Cremers, der seit vielen Jahren "historisch kontaminierte Landschaften", ehemalige Kriegsschauplätze und Gedenkstätten in Europa dokumentiert, war im Vorjahr im Auftrag des Jüdischen Museums aber auch an anderen Orten in Österreich unterwegs - etwa im Wiener Augarten. Ein dort entstandenes Foto zeigt spielende Kinder vor dem bedrohlich aufragenden Flakturm. "Jetzt spielen hier Kinder, im Zweiten Weltkrieg wurden sie auf dem Turm als Flakhelfer eingesetzt", erinnerte Winklbauer, die dazu anhielt, auf Details in den Fotografien zu achten. Denn Cremers' großes Talent sei, wie alltäglich wirkende, in Wahrheit jedoch aberwitzige Konstellationen und Handlungen wahrzunehmen, die im Kleinen große Zusammenhänge sichtbar machten.
"World Press Photo Award" für Reihe zu Auschwitz-Birkenau
Der Fotograf wurde 2009 mit einer Foto-Reportage über das Verhalten von Touristen in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau mit einem "World Press Photo Award" ausgezeichnet. Mehrere jener Fotos finden sich auch unter den ca. 60 gehängten Arbeiten. Die Millionen Besucherinnen und Besucher würden die Frage aufwerfen, wie wir mit diesen Orten umgehen und wie die schiere Besucherzahl die Orte verändere, so Seeger.
Die Arbeiten an den Wänden werden von zwei Slideshows in der Mitte der Räume komplettiert. Sie zeigen zahlreiche Fotos von Reenactments - Nachstellungen von historischen Ereignissen, in diesen Fällen Schlachten -, aber auch dem "Ulrichsbergtreffen" in Kärnten aus dem Jahr 2012. Dabei handelt es sich um ein Vernetzungstreffen ehemaliger Angehöriger der Wehrmacht und der SS sowie jüngerer Sympathisanten. In einer Mischung aus "revisionistischer Gedenkkultur und Täter-Opfer-Umkehr" werde gefallener Kameraden gedacht, heißt es im Begleittext zu den Fotos. Jahrzehntelang nahmen daran auch Vertreter von FPÖ, ÖVP und SPÖ teil. Seit einiger Zeit finde das Treffen nur noch in kleinem neonazistischen Kreise statt, so Seeger.
Geduld und ein bisschen Glück gefragt
Cremers erinnerte sich, dass die Organisatoren anfangs noch sagten, es sei in Ordnung, dass er bei dem "Ulrichsbergtreffen" Fotos mache. Während der Zeremonie hätten manche der Teilnehmer aber offenbar verstanden, warum er damals dort war. "Sie gaben mir sehr deutlich zu verstehen, dass ich gehen muss", so der Mittfünfziger, der noch nicht so schnell mit seiner Fotoserie aufhören möchte. "Wer weiß, was ich noch hinzufügen kann?", sagte er im Gespräch mit der APA. In der Vorwoche war er in Tschechien unterwegs, kommende Woche fährt er nach Ungarn. Oft verbringt er den ganzen Tag an einer bestimmten Location und wartet auf den perfekten Moment. "Ich muss geduldig sein und ein bisschen Glück haben. Aber mit Geduld kommt auch das Glück", sagte der Niederländer.
(S E R V I C E - "Sag mir, wo die Blumen sind... 80 Jahre nach dem Krieg - Fotografien von Roger Cremers" im Jüdischen Museum Wien, Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien. 8. Mai 2025 bis 18. Jänner 2026. Sonntag bis Donnerstag 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 17 Uhr (Sommerzeit) bzw. 14 Uhr (Winterzeit), Katalog zur Ausstellung: 148 Seiten, 27,90 Euro, ISBN: 978-3-903419-14-8; www.jmw.at)
Zusammenfassung
- Im Jüdischen Museum Wien eröffnet am 8. Mai 2025 eine Fotoausstellung, die 80 Jahre nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht an den Umgang mit Spuren des Zweiten Weltkriegs erinnert.
- Gezeigt werden ca. 60 Fotografien von Roger Cremers, der 2009 mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet wurde.
- Ein Foto zeigt ein Fast-Food-Restaurant im ehemaligen NS-Bau in Nürnberg, das umgangssprachlich 'Reichs-Burger-King' genannt wird.
- Im Konzentrationslager Gusen waren 71.000 Menschen inhaftiert, mehr als die Hälfte starb; heute steht dort eine Wohnsiedlung.
- Die Ausstellung thematisiert auch das Ulrichsbergtreffen, ein umstrittenes Vernetzungstreffen mit revisionistischer Gedenkkultur.