APA/David Friedmann

Fleischloser Protest: Schleef inszeniert "Die Vegetarierin"

Heute, 03:00 · Lesedauer 4 min

Man könnte es als seltenen Glücksfall bezeichnen: Bei der Suche nach einem Text, in dem eine Frau eine surreale Metamorphose durchläuft, stieß die deutsche Regisseurin Marie Schleef vor einigen Jahren auf Han Kangs Roman "Die Vegetarierin". Beharrlich versuchte sie, die Rechte für eine Bühnenversion zu bekommen. Ein Jahr vor dem Nobelpreis für die südkoreanische Autorin war es schließlich so weit. Am Freitag feiert das Stück am Akademietheater Deutschsprachige Erstaufführung.

Wien kennt die 34-Jährige, die als Kind und Jugendliche fast zehn Jahre in Graz gelebt hat, bereits von ihrer Inszenierung von Kate Chopins "Die Geschichte einer Stunde" im Kosmos Theater. "Wien ist für mich ein kleines Stück weit wieder wie Zuhause sein", so die weit gereiste Regisseurin, die mit 17 für zwei Jahre nach Swaziland und anschließend nach New York ging, Südkorea bereist hat und demnächst nach Japan gehen wird, "um drei Monate lang mit einem Roboter zu leben", wie sie sagt. Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann kennt sie von dessen Zeit am Schauspiel Köln, wo Schleef mehrfach inszeniert hat. Ihm habe sie die Dramatisierung des Romans rund um eine Frau, die eines Tages nach einem verstörenden Traum beschließt, kein Fleisch mehr zu essen, nun für Wien vorgeschlagen.

Die koreanische Literatur hat es Schleef angetan, wie sie im APA-Interview erzählt: "Sie ist als Literaturform extrem queerfeministisch", so die Regisseurin, die bedauert, dass es immer noch zu wenige Übersetzungen ins Deutsche gebe. "Dabei gäbe es Unmengen an Texten, die mich interessieren würden." Als Übersetzerin der "Vegetarierin" fungierte Ki-Hyang Lee, die fast alle deutschen Übertragungen koreanischer Romane verantwortet.

Die größte Herausforderung sei es, die extremen Bilder des Romans auf die Bühne zu bringen: "Es ist sehr explizit. Es gibt explizite Nacktheit, extreme Gewalt, die im Roman aber immer sehr unterschwellig erzählt wird." So habe sie ihre Fassung ausschließlich auf die direkte Rede reduziert, "die Prosa hat die Bühnenbildnerin in ihren Entwürfen verwurstet". Die brutale Traumebene wurde überhaupt auf die Video-Ebene ausgelagert.

Slow-Motion gibt Luft zum Atmen

"Und alles ist in Slow-Motion", so Schleef, die diesbezüglich in den vergangenen Jahren eine eigene Formsprache entwickelt hat. "Wenn es Zeit und Luft zum Atmen gibt, haben die Zuschauer viel mehr die Möglichkeit, ihre eigene Geschichte hineinzuinterpretieren. Im Zuge der Nobelpreisverkündung kamen ganz viele Interviews mit Han Kang im Englischen heraus, und so habe ich erfahren, dass sie sich auch sehr für das Langsame, die Zeitlupe interessiert."

Über den Einwand mancher, dass der Roman eigentlich "Die Veganerin" heißen müsste, ärgert sich Schleef. Im Koreanischen werde da kein Unterschied gemacht, zudem äße man in Korea generell weniger Milchprodukte. "Der Titel ist nicht wörtlich zu nehmen, es geht viel mehr um eine Frau, die sich in einen Widerstand begibt, die nicht mehr Teil eines gewaltvollen Systems und einer patriarchalen Gesellschaft sein will", erklärt Schleef. "Sie widersetzt sich dem System, ohne dabei jemanden zu verletzen. Sie isst einfach kein Fleisch mehr, und das reicht schon, damit ihre ganze Familie ausrastet." Der Roman handle von Kontrolle, Zwang und körperlicher Selbstbestimmung. "Es geht um das Normative, das in Korea ganz stark vertreten ist, das sie potenziell aufbricht, indem sie sich einfach nur entzieht."

Neue Form der Selbstbestimmung

Han Kang breche das in der feministischen Literatur des 19. Jahrhunderts tradierte Bild auf, dass die Frau am Ende nur Selbstmord begehen könne, um zu Freiheit zu gelangen. "Ich denke, dass Han Kang das auf eine buddhistische Weise weiter denkt, indem die Frau in einen anderen Zustand übergeht. Dass sie ein Leben nach dem Tod vielleicht als Pflanze befreiend erleben könnte. Ich glaube, wir müssen hier über eine andere Form der Selbstbestimmung reden."

An ihrer Seite hat Schleef, die am Bard College in New York sowie an der Ernst Busch Hochschule in Berlin studiert hat, ein bewährtes Team. Die koreadeutsche Schauspielerin Kotti Yun spielte bereits vor zwei Jahren in Schleefs Kölner Inszenierung von Cho Nam-Joos "Kim Jiyoung, geboren 1982", in Wien ist sie in der Hauptrolle als Yong-Hye zu erleben. Auch mit der Kostümbildnerin Ji Hyung Nam hat Schleef schon gearbeitet. Das Team, dem auch Bühnenbildnerin Lina Oanh Nguyễn angehört, habe ihr auch diesmal wieder geholfen, Spezifika in der koreanischen Sprache und Gesellschaft besser zu verstehen.

(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Die Vegetarierin" nach dem Roman von Han Kang im Akademietheater. Premiere am 9. Mai, 19.30 Uhr, Regie: Marie Schleef, Bühne: Lina Oanh Nguyễn, Kostüme: Ji Hyung Nam. Mit Kotti Yun, Ernest Allan Hausmann, Alexandra Henkel, Philipp Hauß, Jonas Hackmann, Hans Dieter Knebel und Dunja Sowinetz. Weitere Termine: 14. Mai, 2., 14. und 30. Juni. www.burgtheater.at)

Zusammenfassung
  • Marie Schleef inszeniert Han Kangs Roman 'Die Vegetarierin' als Bühnenstück, das am 9. Mai im Akademietheater Premiere feiert.
  • Die 34-jährige Regisseurin setzt auf Slow-Motion-Techniken, um dem Publikum Raum für eigene Interpretationen zu geben.
  • Schleef beschreibt die koreanische Literatur als extrem queerfeministisch und bedauert den Mangel an deutschen Übersetzungen.
  • Kotti Yun spielt die Hauptrolle der Yong-Hye, die sich gegen patriarchale Strukturen wehrt, indem sie kein Fleisch mehr isst.
  • Die Inszenierung verlagert extreme Traumelemente auf eine Video-Ebene, um die visuellen Herausforderungen des Romans zu bewältigen.