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Filmfestspiele Cannes: Morettis Auftritt und Bergmans Insel

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Ingmar Bergman und Nanni Moretti: zwei Größen des europäischen Films. Sie prägten das Rennen um die Goldene Palme knapp vor Halbzeit der 74. Filmfestspiele von Cannes. "Bergman Island" heißt der siebente Film der Französin Mia Hansen-Løve (40), der erste, den sie im Wettbewerb vorstellen konnte, 14 Jahre nachdem sie hier in der Quinzaine des réalisateurs ihr Debüt "Tout est pardonné" präsentierte. "Tre piani" ist dagegen bereits der 13. Film des Italieners Nanni Moretti.

Morettis Filmtitel bezieht sich auf drei Etagen eines Wohnhauses in Rom: Hier leben Familien des gehobenen weißen Mittelstandes, die aber trotz ihres Wohlstandes jede Menge Sorgen zu bewältigen haben. Nichts Neues also von Nanni Moretti, der diesmal in eine Richterrobe schlüpft und mit einem rebellischen Sohn zu kämpfen hat, der gleich zu Beginn des Films vor dem Haus betrunken eine Frau überfährt und tötet. In der letzten von drei, jeweils fünf Jahre auseinanderliegenden Episoden, ist der Regisseur als Schauspieler nicht mehr dabei und hinterlässt eine trauernde Witwe, die aber zu dem mittlerweile aus dem Gefängnis entlassenen verlorenen, verstoßenen Sohn wieder Kontakt findet.

Ein Nachbar und Familienvater kommt dagegen zwar vor Gericht, aber ohne Strafe davon: Er lässt sich von der 16-jährigen Tochter einer Nachbarin verführen. Das kann nur böse enden. Der ihn verstörende Verdacht, seine eigene kleine Tochter sei vom alten, halb senilen Nachbar missbraucht worden, bestätigt sich dagegen nicht. In dieser Verfilmung eines Romans des Israelis Eshkol Nevo sind viele Handlungsstränge miteinander verknüpft. Der Verdacht, es gebe jedoch Wichtigeres als die hier gezeigten Probleme, vertieft sich jedoch im Verlauf des Films immer mehr.

Dasselbe kann man Mia Hansen-Løve vorwerfen, doch in "Bergman Island" kommt wenigstens eine mehrfach eingearbeitete filmhistorische Referenz noch dazu. Ein Cineasten-Paar - Tim Roth als prominenter Filmregisseur, Vicky Krieps als Drehbuchautorin - kommt zu einem von der Bergmann-Stiftung geförderten Arbeitsaufenthalt auf die Insel Farö, wo, jedenfalls für Kinointeressierte, alles vom berühmten Regisseur Ingmar Bergman geprägt ist. Es gibt sogar "Bergman Safaris", die zu seinen Arbeits- und Wohnorten sowie zu den Schauplätzen seiner auf der Insel gedrehten Filme führen.

Naturgemäß wird auf "Bergman Island" vor allem geredet, und ebenso naturgemäß legt sich wie in seinen Filmen auch über die Beziehung dieses Paares ein Schatten. Wirklich interessant wird der Film erst, als die Drehbuchautorin ihrem Mann von dem Skript erzählt, an dem sie gerade arbeitet, und sich die Handlung vor den Augen der Zuschauer sofort realisiert: Hier ist es ein junges Paar, das sich vor längerer Zeit getrennt hat und einander bei einer Hochzeit von Freunden auf Farö wieder begegnet. Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie (heuer nach "Verdens Verste Menneske" von Joachim Trier bereits sein zweiter Wettbewerbsauftritt) spielen die Beiden mit deutlich größerer Intensität: Sie will die Beziehung unbedingt wieder aufnehmen, er nicht. Die Sache endet dennoch im Bett. Und mit Tränen, ohne die es bei Bergman selten abgeht.

Bei aller Liebe zu den feinfühligen Charakterzeichnungen und den gefinkelten dramaturgischen Entwicklungen kann man sich jedoch des Gefühls nicht erwehren, dass das Weltkino Substanzielleres zu bieten hat, als das, was Moretti und Hansen-Løve uns zeigen. Bekanntlich hält sich Cannes in den zwei Wochen des Festivals ja für den Nabel der Kinowelt. Dass dabei die eine oder andere Nabelschau nicht ausbleiben kann, ist verständlich. Ob das aber für eine der am Samstag von einer Jury mit der Österreicherin Jessica Hausner vergebenen Palmen reichen kann, ist mehr als fraglich.

Um die Gunst der Un Certain Regard Jury unter dem Vorsitz der Britin Andrea Arnold rittern dagegen heuer zwei österreichische Filme. Nach "Die große Freiheit" von Sebastian Meise feiert heute "Moneyboys" von C.B. Yi seine Premiere. Die Gewinner in dieser Sektion werden am Freitag bekanntgegeben.

(S E R V I C E - https://www.festival-cannes.com)

ribbon Zusammenfassung
  • Ingmar Bergman und Nanni Moretti: zwei Größen des europäischen Films.
  • Sie prägten das Rennen um die Goldene Palme knapp vor Halbzeit der 74. Filmfestspiele von Cannes.
  • "Bergman Island" heißt der siebente Film der Französin Mia Hansen-Løve (40), der erste, den sie im Wettbewerb vorstellen konnte, 14 Jahre nachdem sie hier in der Quinzaine des réalisateurs ihr Debüt "Tout est pardonné" präsentierte.
  • Die Sache endet dennoch im Bett.

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