Festspieldirigent Manacorda will "weg vom Klischee Belcanto"
APA: Momentan reiht sich bei Ihnen ein großes Pultdebüt an das nächste. Es läuft gerade, oder?
Antonello Manacorda: Ich habe sehr intensive Jahre hinter mir, das stimmt. Eine Karriere ist ja immer eine komische Sache - und es ist immer ein Rätsel, wie sie funktioniert. Man spricht natürlich über die Debüts, aber als Künstler ist immer das zweite Mal wichtiger, also die Frage, ob man von einem Haus oder Orchester nochmals eingeladen wird. In jedem Falle war mein Leben als Künstler immer sehr vielfältig - schon in meiner Zeit als Geiger. Ich habe immer verschiedene Wege gesucht, mich auszudrücken - sei es in der Oper, sei es in der Symphonik. Ich bin deshalb eine atypische Figur im Klassikgeschäft. Ich habe erst im Alter von 30 Jahren begonnen zu dirigieren. Deshalb bin ich für viele Institutionen zwar ein junger Dirigent, aber kein junger Mann. (lacht) Ich bin jedenfalls ein sehr glücklicher Mensch.
APA: Dieser Karriereweg ist mittlerweile ja eher ein ungewöhnlicher. Sie haben tatsächlich einen Stein auf den anderen gesetzt, anstatt als 25-Jähriger hochgejazzt zu werden und entsprechend früh auch wieder zu verbrennen ...
Manacorda: Da habe ich viel von Claudio Abbado oder Bernard Haitink gelernt: lieber einen Tag später, als einen Tag zu früh. Es gibt nie genügend Vorbereitungszeit. Aber das ist heutzutage fast ein altmodischer Ansatz. In der Welt von Social Media und dem Gefühl eines Dauersprints ist meine Philosophie fast schon ein bisschen ungewöhnlich. Das Seltsame ist nur: Man würde meinen, dass man sich immer sicherer fühlt, je mehr Zeit man sich nimmt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich bin vielleicht unsicherer als die Kollegen, die immer im Dauerstress sind und keine Zeit haben, nach rechts oder links zu schauen.
Belcanto-Debüt überraschend
APA: Dass Sie nun Ihr Salzburg-Debüt mit der "Maria Stuarda", also einer Belcanto-Oper feiern, ist eigentlich überraschend, wenn man Ihre sonstigen Schwerpunkte betrachtet ...
Manacorda: Als Markus Hinterhäuser mich angerufen und mir das Angebot zu "Maria Stuarda" unterbreitet hat, meinte ich: Das ist eigentlich nicht wirklich meine Sprache. Ich bin ein deutscher Repertoiredirigent, auch wenn mein Name italienisch ist. "Genau deswegen", war seine Antwort. Auch Ulrich Rasche ist wohl nicht der erste Regisseur, der einem einfällt, wenn man eine neue "Maria Stuarda" macht. Aber Markus Hinterhäuser interessiert dieser Blick von außen. Es geht wohl darum, weg vom Klischee Belcanto zu kommen.
APA: Dabei ist Ulrich Rasche ja ein Regisseur, der für seine Bühnenspektakel bekannt ist. Haben Sie keine Angst, dass da die Musik bisweilen nur die zweite Geige spielt?
Manacorda: Ich kenne Uli Rasche schon lange und habe seine Arbeit immer sehr gemocht. Ich würde seine Bühnen nicht Spektakel nennen. Es sind Übersetzungen des Seins, des Universums. Ich lese das als eine Dimension, wie sich der Mensch auf der Welt findet - und da sind wir eben nur ein sehr kleiner Teil. Das geht gut mit der Musik zusammen. Aber die Sprache von Uli ist eine besondere. Alles bewegt sich, alle laufen permanent, gemäß der Philosophie "Panta Rhei". So sind wir in unserem Hamsterrad. Es ist allerdings schwierig, in der permanenten Bewegung zu singen. Insofern ist wichtig, dass wir für diese Produktion mit Kate Lindsey und Lisette Oropesa zwei herausragende Künstlerinnen haben, auch wenn sie nicht jeden Tag Belcanto singen. Sie sind zwei unglaubliche Darstellerinnen.
"Musiktheater pur"
APA: Ist die "Stuarda" für Sie ein Stück, das über das reine Stimmenfeuerwerk hinausgeht?
Manacorda: Diese Partitur war eine Entdeckung für mich. Man denkt ja immer, dass beim Belcanto alles dem Gesang untergeordnet wird. Aber dann wählt Donizetti dieses Thema zweier Königinnen, die sich in der Realität nie getroffen haben. Aber Donizetti bringt ihre Konfrontation auf die Bühne, um die menschliche Spannung zwischen diesen beiden Figuren zu zeigen. Es ist ein unglaublich interessanter Stoff, nicht nur ein Vehikel für den Gesang. Man entdeckt in winzigsten Kleinigkeiten der Begleitung die dramaturgische Arbeit von Donizetti. Es ist Musiktheater pur. Es ist nicht extrem schwierig zu spielen für ein Orchester - aber umso besser kann man dann nuancieren.
APA: Das bedeutet, Sie mausern sich künftig zum Belcantoexperten, oder bleibt die "Maria Stuarda" ein einmaliger Ausritt?
Manacorda: Ich bleibe offen. Ich bin unglaublich privilegiert, weil ich immer nicht nur die Möglichkeit Ja zu sagen habe - sondern auch Nein. Am Ende muss das Projekt stimmig sein und der richtige Ort mit den richtigen Menschen zusammenkommen. In diesem Fall ist es der absolut richtige Ort: Es ist Salzburg.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
(ZUR PERSON - Geboren wurde Antonello Manacorda 1970 in Turin, begann seine Laufbahn als Geiger aber in Amsterdam. 1994 holte ihn Claudio Abbado als Konzertmeister zum Gustav Mahler Jugendorchester, bevor er 1997 zum Mitbegründer des Mahler Chamber Orchestras wurde. Nach der Jahrtausendwende wandelte sich Manacordas Schwerpunkt dann zum Dirigat, wobei er nach Engagements in Estland, Bamberg oder Aix-en-Provence 2010 an die Spitze der Kammerakademie Potsdam wechselte. Im Opernbereich hat er etwa mit Damiano Michieletto in La Fenice und 2016 im Theater an der Wien an Rossinis "Otello" gearbeitet und war auch bereits an der Wiener Staatsoper zu erleben.)
Zusammenfassung
- Antonello Manacorda, 1970 in Turin geboren, gibt am 1. August sein Operndebüt bei den Salzburger Festspielen mit Donizettis "Maria Stuarda".
- Der Dirigent begann seine Laufbahn als Geiger und wechselte erst mit 30 Jahren zum Dirigieren, was ihn zu einer atypischen Figur im Klassikbetrieb macht.
- Das Angebot, eine Belcanto-Oper zu leiten, kam für Manacorda überraschend, da sein Schwerpunkt im deutschen Repertoire liegt und er kein ausgewiesener Belcanto-Experte ist.
- Intendant Markus Hinterhäuser wählte ihn bewusst, um einen neuen Zugang zu Donizettis Werk und einen Blick abseits des "Klischee Belcanto" zu ermöglichen.
- Für die Produktion stehen mit Kate Lindsey und Lisette Oropesa zwei international renommierte Sängerinnen auf der Bühne, die laut Manacorda herausragende Darstellerinnen sind.