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Eine trübe Ursuppe: "Verborgene Moderne" im Leopold Museum

Heute, 10:24 · Lesedauer 3 min

Eigentlich widmet sich das Leopold Museum in seiner neuen Ausstellung einer historischen Epoche. Und doch wirkt dieser spezifische Blick auf die Jahre um 1900 seltsam vertraut, als Entdeckung eines mit leichter Patina überzogenen Zwillings unserer Zeit. In "Verborgene Moderne" geht es um jene esoterischen Ideologien und Strömungen, die in extrem polarisierten Jahren den neuen Menschen schaffen wollten und sich damit gegen die dominierende, rationale Haltung der Ära stellten.

Dabei betreibt die große Herbstschau weniger historische Stilanalyse denn dezidierte Kulturgeschichte, versammelt die Strömungen einer Zeit des Umbruchs zum vielstimmigen ideologischen Gesamtbild. Es ist die Parade jener, die sich gegen den dominanten Materialismus, das Vertrauen in die Wissenschaft und den Fortschrittsglauben um 1900 wenden. Von den Okkultisten über die Lebensreformer, von den Spiritistinnen bis zu protorassistischen Gurus reicht die Reihe jener Ideologen und Denker, die sich in der Ausstellung die Klinke in die Hand geben.

Die beiden Kuratoren Matthias Dusini und Ivan Ristić möchten dabei durchaus den Umstand herausstreichen, dass zahlreiche Ideologien des neuen Menschen als Gegenentwurf zum Hyperrationalismus letztlich die Grundlage zum Faschismus bildeten. "Diese Ausstellung versucht, diese Ambivalenz sichtbar zu machen", umriss Dusini deren Charakter. Einer der Roten Fäden, der die verschiedenen Bewegungen verband, ist etwa die Philosophie Friedrich Nietzsches oder Richard Wagner als esoterischer Visionär des Pazifismus mit dem "Parsifal" und Vorreiter des Vegetarismus. Subkutane Inspirationswurzeln finden sich da in den Séancen des Spiritismus, okkultistischen Texten oder der Theosophie.

Bühne für die Off-Bewegung

Das Kuratorenduo schlägt sich dabei nicht auf die eine oder andere Seite, sondern will die ganze Vielgestaltigkeit des Zeitmosaiks unter Beweis stellen. "Wir geben einer Off-Bewegung die große Bühne", umriss Dusini die Idee, die Lebensreformer aus der Ecke des Vergessens zu holen. Unter diesem Label werden so verschiedene Stränge wie die Frauenbewegung, der Antikolonialismus, Tierschutzgruppierungen oder die antisemitischen, völkischen Vordenker subsumiert.

Zu den markantesten Proponenten der Zeit zählte zweifelsohne Karl Wilhelm Diefenbach als Künstler, der nicht nur in seinem Werk auf der Suche nach dem neuen Menschen war, sondern auch als Kommunengründer alltagspraktisch an dieser Verwirklichung arbeitete. "Die Kommune Diefenbach ist so etwas wie die Ursuppe der Moderne", so Dusini. In dieser Ursuppe schwimmen auch Hellseher und Auramaler, Sozialreformer wie Marie Lang oder spiritistische Zeichnerinnen wie Gertrude Honzatko-Mediz, August Strindberg, der auch düstere Landschaften malte, oder Richard Teschner mit seinen Anklängen an die asiatische Kunst.

Extremer Stilpluralismus

Markant ist entsprechend auch der Stilpluralismus der Ausstellung, wenn Erich Mallinas minimalistische, abstrakte Arbeiten neben den bunten Farbexplosionen von Georg Jung oder den dunklen Visionen Diefenbachs stehen. Hans Makarts Wagner-inspirierte Bilder hängen in Eintracht nahe den Secessionisten als Gesamtkunstwerksapologeten. Aber auch die "Hausheiligen" wie Richard Gerstl oder Egon Schiele finden ihren Platz in der Schau, wie Leopold-Direktor Hans Peter Wipplinger unterstrich.

"Es geht um die Erkenntnis, wie die einzelnen Phänomene ineinandergreifen", skizzierte Kurator Ivan Ristić den Ansatz, der dafür allerdings etwas mehr Unterbau benötigen würde. Zu vielgesichtig sind die einzelnen Richtungen, zu wenig stand bisweilen selbst im Eigenverständnis das Kunstwerk in deren Fokus, sondern war lediglich Derivat einer Ideologie.

Keine klare Brühe

Für die umfassende kulturhistorische Perspektive bedürfte es weiter ausgreifender Aufarbeitungen, Exponate und Erklärungen. Diese Ursuppe ist keine klare Brühe, sondern fischt ein wenig im Trüben. Was bleibt, sind vielstimmige Nachrichten aus einer Zeit, der die eine konkrete Zielrichtung abhanden gekommen war. Und somit ist "Verborgene Moderne" ja gleichsam ein Spiegel der Zeit - auch der unsrigen.

(S E R V I C E - www.leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/146/verborgene-moderne)

Zusammenfassung
  • Die Ausstellung 'Verborgene Moderne' im Leopold Museum beleuchtet die esoterischen und ideologischen Bewegungen rund um 1900, die sich gegen den damaligen Materialismus und Rationalismus richteten.
  • Kuratoren Matthias Dusini und Ivan Ristić zeigen, wie Strömungen von Okkultisten, Lebensreformern bis zu völkischen Denkern den 'neuen Menschen' schaffen wollten und damit auch den Boden für spätere faschistische Ideologien bereiteten.