donaufestival-Start mit Filmen im Kopf und leuchtendem Metal
Es war eine gedankliche Versuchsanordnung über die Liebe in unterschiedlichen Ausprägungen, die El Conde de Torrefiel in der Halle 1 des Messegeländes bot: Während drei Performer verschiebbare Wände in immer neue Anordnungen brachten, schallten aus den Boxen dröhnende Klänge ebenso wie einnehmende Popsongs. "Gezeigt" wurden dabei vier Filme, die man sich aber selbst vorstellen musste. Teils gesprochen, dann wieder nur mittels Text auf die Wände projiziert, ging es vom Manchester im Jahr 1996 bis nach Venedig in der nahen Zukunft.
Ein Konzert der Band Massive Attack, dann die griechische Finanzkrise von 2008 oder aber die Transition einer Meeresbiologin in Paris dienten als Hintergründe für Geschichten über Anziehung und Abstoßung, wobei sich jede Handlung wie eine kleine Schachtel in die nächste übertrug. Die Figuren seien "wie Wassertropfen im Meer", erfuhr man zu Beginn. Insofern passend, als sie sich sukzessive ineinander aufzulösen begannen. Die bildlichen Übersetzungen, die die Gruppe dafür fand, waren mal mehr, mal weniger gelungen. Allen voran das behutsame Übermalen von zwei weißen Wänden mit schwarzer Farbe, das über Minuten hinweg geradezu meditative Wirkung erzeugte, schien für manche dann doch zu viel des Guten.
Allerdings gelang mit "La luz de un lago" auch das Erkenntlichmachen von kreativen Abläufen im Kunstgeschehen und die Hinterfragung derselben. Was ist tatsächlich Kunst, und wann geht es nur um den schönen Schein ohne Substanz? Themen, die nicht zuletzt beim Festival selbst immer wieder aufgeworfen werden. Wie stark etwa Klang und Bild Hand in Hand gehen können, bewies kurz zuvor die heimische Schlagzeugerin Katharina Ernst, die in der Minoritenkirche zu den Visuals von Michael Breyer ihre vielgestaltigen Rhythmen servierte. Dieses "Polylog", wie das Konzert betitelt war, brachte indirekt auch die KI ins Spiel, griff diese doch als vermittelnde Instanz zwischen den beiden Gattungen ein. Anspruchsvoll, und doch galt hier wie an vielen anderen Stellen: Es ist auch in Ordnung, sich ganz ohne Hintergedanken dem Dargebotenen hinzugeben.
Sommerliche Vibes am Messegelände
So etwa bei Derya Yıldırım & Grup Şimşek, die den sommerlichen Vibe des Mittelmeers ins Messegelände brachten. Die deutsche Musikerin mit türkischen Wurzeln und ihre international zusammengestellte Band beziehen sich auf traditionelle anatolische Folkmusik und kombinieren sie mit zeitgenössischen Elementen. Das Ergebnis war ein von feiner Melancholie durchzogener, psychedelischer Rocksound, der die Beine ebenso ansprach wie den Kopf, wobei allen voran das aktuelle Album "Yarin Yoksa" zu Ehren kam.
"Diese Platte ist ein Spiegel meiner Generation", betonte Yıldırım vor dem Auftritt gegenüber der APA. Für die Bağlama-Spielerin, eine Langhalslaute, ist die musikalische Tradition "unglaublich reichhaltig. Du kannst darin eintauchen wie in einen Ozean, es gibt immer neue Dinge zu entdecken." Heutzutage werde damit wieder sehr bewusst umgegangen. "Dieses Erbe hat einen großen Stellenwert, auch für jüngere Leute. Es ist nicht mehr uncool, sich damit zu beschäftigen. Die Menschen eignen sich dieses Erbe wieder an und sind stolz darauf. Das wollte ich mit diesem Album ausdrücken."
Ein Autounfall als gesellschaftliche Offenbarung
Ebenfalls einen türkischen Konnex gab es bei Göksu Kunak: Die multimediale Präsentation "Bygone Innocence" thematisiert einen Autounfall in Susurluk im Jahr 1996, der erst auf den zweiten Blick seine Tragweite offenbarte. In dem Gefährt befanden sich nämlich nicht nur Waffen, sondern eine höchst eigenwillige Zusammensetzung an Personen - vom ehemaligen Polizeipräsidenten Istanbuls bis zu einem Mitglied der Grauen Wölfe. In der Folge gab es eine große gesellschaftliche Diskussion über die Verknüpfung von offiziellem Staat und krimineller Ebene.
Für das donaufestival "aktivierte" Kunak gemeinsam mit drei weiteren Performern die aus mehreren Bildschirmen, Bildern und einer Skulptur bestehende Ausstellung. In knapp 40 Minuten wurde dabei körperlicher Fetisch mit medialer Inszenierung in Verbindung gesetzt, wobei in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder Posen von Macht, Abhängigkeit und Traumata eingenommen wurden. Als musikalische Untermalung gab es Hildegard Knef ebenso zu vernehmen wie pulsierende Technobeats.
Alte Qualität bei Liturgy, neue Klänge bei Von Hausswolff
Und wenn wir schon beim Stichwort Härte sind: Die New Yorker Avantgarde-Metal-Formation Liturgy um Haela Hunt-Hendrix war wieder in Krems zu Gast und untermauerte ein weiteres Mal die eigene Ausnahmestellung. Eindrucksvoll fanden mit den Mitteln des Black Metal kathartische Momente, erleuchtende Sequenzen und die schiere Brutalität des Genres zusammen. Was da etwa beim Großen "Generation" an Ekstase freigesetzt wurde, ist nicht zu verachten.
Einer Neudefinition im kleinen Rahmen wohnte das donaufestival-Publikum schließlich bei Anna von Hausswolff bei. Die Schwedin hat sich in den vergangenen Jahren als Komponistin von schwerer Orgelmusik einen Namen gemacht, dabei mit der Charakteristika des Doom Metal liebäugelnd. Doch nun hat eine Eingängigkeit Einzug gehalten, die mit der Tanz-Kooperation mit Imre und Marne van Opstal zusammenhängt. Gemeinsam brachte man im Vorjahr die Performance "Atlas Song" zur Uraufführung, und auch Von Hausswolffs aktuelle Tour speist sich in erster Linie aus dafür entstandenem Material, das noch heuer als Album erscheinen soll.
Wo früher also Finsternis und bedrohliche Atmosphäre regierten, ist es jetzt ihre oft glockenhelle Stimme gepaart mit einem Popanspruch, den ihre sechsköpfige Begleitband mit viel Intensität noch versucht, Richtung Alternative zu drücken. Das gelingt nicht immer, andererseits scheint Von Hausswolff mit ihrer neuen Ausrichtung auch einen positiveren Zugang entdeckt zu haben. Ein wenig von der alten Direktheit versprühte etwa "Ugly and Vengeful", doch es wirkte eher wie ein Gruß aus vergangenen Tagen. Aber das donaufestival ist schließlich nicht der schlechteste Ort, um einer Metamorphose beizuwohnen - ob nun gelungen oder nicht.
(Von Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - www.donaufestival.at)
Zusammenfassung
- Das spanische Kollektiv El Conde de Torrefiel präsentierte beim donaufestival die Performance 'La luz de un lago', bei der das Publikum imaginäre Filme erlebte.
- Katharina Ernst kombinierte in der Minoritenkirche Klang und Bild in ihrem Konzert 'Polylog', das auch die Rolle der KI thematisierte.
- Derya Yıldırım & Grup Şimşek brachten anatolische Folkmusik und psychedelischen Rock mit ihrem Album 'Yarin Yoksa' auf die Bühne.
- Göksu Kunaks multimediale Präsentation 'Bygone Innocence' thematisierte den Autounfall von Susurluk 1996 und seine gesellschaftlichen Folgen.
- Die New Yorker Band Liturgy beeindruckte mit ihrer avantgardistischen Metal-Performance beim donaufestival.