APA/APA/Anne Van Aerschot

De Keersmaeker tanzt mit Gen Z: "Brel" bei ImPulsTanz

29. Juli 2025 · Lesedauer 4 min

Sie tanzt bellende Hunde, sie dreht sich rechts, links, tanzt vorwärts und rückwärts, mal in Hosen, mal in Unterwäsche und manchmal ohne. Anne Teresa De Keersmaeker ist 65 Jahre alt. Egal. "Flämische Frauen lassen sich nicht so leicht entmutigen", hört man, Jacques Brel singen. Dem Chansonnier haben die flämische Choreografin und der französische Tänzer Solal Mariotte ihr gleichnamiges Stück gewidmet. Ein konträres, fantastisches Duo sah man Montagabend im Akademietheater.

In einem Kegel aus Licht steht zu Beginn ein verlassenes Mikrofon auf der dunklen Bühne. "Le Diable (Ça Va)" erklingt. Die Liedtexte des verstorbenen Sängers Jacques Brel werden auf eine Leinwand projiziert - später auch seine schlaksige Silhouette und sein charismatisches Gesicht. Die Lieder des flämischen Dichters sind voller Melancholie und Verzweiflung. Er singt vom Teufel, der mit Genugtuung feststellt, dass es um die Welt sehr schlecht bestellt ist.

Erst dann tritt De Keersmaeker in einem übergroßen, grauen Anzug auf die Bühne. Sie bewegt sich zu "Sur La Place", ein Lied über ein Mädchen, das auf einem Platz tanzt. Aber die Leute in den Häusern wollen nichts davon sehen und verschließen ihre Fenster vor dem Leben auf der Straße. Die zarten Bewegungen der belgischen Tanzmeisterin sind fast unsichtbar. Wiederholungen und weite Kreise sind typisch für die Künstlerin und davon wird es viele an diesem Abend geben. Sie ist kein junges Mädchen mehr, sie weiß es. Zunächst beschränkt sie sich auf zaghafte Schritte und ein repetitives Achselzucken.

Da donnert es von hinter der Bühne. Brels Lieder hallen in den Zuschauerraum, dann wiederholt sie eine zweite Stimme. Solal Mariotte verdoppelt den belgischen Dichter, irgendwo im Dunkeln. Zuerst ist er nirgends zu sehen, später gesellt er sich in grauem Anzug zu ihr und der Kontrast könnte nicht offensichtlicher sein. Hier die Vergangenheit und dort die Zukunft. Hier ein weiblicher alter Körper, der sich in Spiralen formt und wie ein Kegel dreht, und ein fast 40 Jahre jüngerer männlicher, der im Zickzack Breakdance tanzt, und mit einer Leidenschaft brennt, die nur ein junges Herz kennt.

De Keersmaeker entblößt und blödelnd

Zu den bekanntesten Liedern von Brel tanzen, drehen und verschmelzen die beiden mit den Worten des belgischen Sängers. Lieder wie "Ne me quitte pas", "Les vieux" oder "Voir un ami pleurer" lassen niemanden kalt. Zunächst scheint jeder für sich selbst zu tanzen. Dann reagieren ihre Gesten nach und nach aufeinander, streifen sich, suchen einander. Bald werden sie ihre Jacken ausziehen, sie umstülpen und auf den Boden hauen.

De Keersmaeker hat normalerweise eine zurückhaltende, ernste Erscheinung, lächelt aber an mehreren Stellen und schneidet Grimassen. Sie bellt wie ein Hund und lässt sich von ihrem viel jüngeren Partner wie ein Baby tragen. In "Ne Me Quitte Pas", einem Trennungslied aus dem Jahr 1959, zeigt die Tanzvisionärin eine seltene Verletzlichkeit: Sie zieht sich nackt aus, während über ihren Körper ein Video von Brel projiziert wird, in dem er singt. Es ist ein atemberaubender Moment.

Große Schatten im Lauf der Zeit

Das Lichtdesign von Minna Tiikkainen betont die Konturen der Künstler und in einigen Momenten, insbesondere wenn die beiden Tänzer lange Schatten werfen, ist die visuelle Komposition beeindruckend, fast so, als wäre Brel eine Stimme aus dem Jenseits. Andere Szenen spielen sich wie eine Erinnerung an eine vergangene Liebe ab. Während "La Chanson Des Vieux Amants" bleibt De Keersmaeker im Hintergrund der Bühne und blickt nur gelegentlich auf Mariottes hastigen Schritte im Vordergrund. Es ist ihre Stille, die laut ist.

Die Künstlerin akzeptiert den Lauf der Zeit und diesen Körper, der sich nicht mehr so biegt wie früher. Und so ist "Brel" vielleicht nicht nur eine Hommage an einen ihr seelenverwandten Dichter, sondern ihre Art, von dem Mädchen in ihr Abschied zu nehmen. Ein großartiges Solo von Mariotte mit Breakdance-Elementen ist vielleicht der aufregendste Moment. Er ist der eigentliche Star dieses Premierenabends - und so will es die Tanzmeisterin auch. Chapeau!

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "Brel" im Akademietheater, Lisztstraße 1, 3., Konzept/Choreografie/Performance: Anne Teresa De Keersmaeker und Solal Mariotte, Musik: Jacques Brel, Licht: Minna Tiikkainen, Bühnenbild: Michel François, Kostüme: Aouatif Boulaich, Dramaturgie: Wannes Gyselinck. Weitere Aufführungen am 29., 30., und 31. Juli; www.impulstanz.com)

Zusammenfassung
  • Anne Teresa De Keersmaeker (65) und der fast 40 Jahre jüngere Solal Mariotte präsentierten im Akademietheater das Tanzstück "Brel" als Hommage an Jacques Brel.
  • Die Aufführung kombiniert Brels melancholische Lieder, Projektionen und expressive Choreografie zu einer Reflexion über Vergänglichkeit und Generationen.
  • De Keersmaeker und Mariotte tanzen zunächst kontrastreich – sie verkörpert Vergangenheit und Reife, er Jugend und Energie, etwa durch Breakdance.
  • Ein Höhepunkt ist De Keersmaekers Nacktszene zu "Ne Me Quitte Pas", während ein Video von Brel auf ihren Körper projiziert wird.
  • Das Stück ist Teil des ImPulsTanz-Festivals und wird am 29., 30. und 31. Juli im Akademietheater aufgeführt.