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Baumriese in Schieflage: Otobong Nkanga im Kunsthaus Bregenz

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Ein in Schieflage geratener Bregenzerwälder Baumriese durchbohrt das Kunsthaus Bregenz (KUB) bis in die oberste Etage, an den Wänden prangt ein Teppichmeer in opulenter Farbigkeit, Tümpel trocknen auf lehmigem Grund langsam zu rissigen Oberflächen. Die Installation "Unearthed" der flandrischen Künstlerin Otobong Nkanga über den Umgang mit natürlichen Ressourcen, über Rohstoff-Kreisläufe und ihre Bedeutung für den Menschen ist bis 6. Februar zu sehen.

Mit dem sich über alle KUB-Etagen erstreckenden Werk der aus Nigeria stammenden und in Antwerpen lebenden Künstlerin wird das Bregenzer Ausstellungshaus zu einer Schnittdarstellung der Erde. Im Erdgeschoß, das Otobong Nkanga mit "Abyss" betitelte, durchdringt ein mächtiger, 40 Meter hoher Baumstamm vermeintlich die Decke. Er ragt aus einer flachen Lehmmulde mit einem Tümpel, einer brackigen Ursuppe gleich. Dem sich verjüngenden Stamm begegnet man in den weiteren Etagen "Midnight" und "Twilight" wieder, im obersten Geschoß "Sunlight" findet sich die verbrannte Spitze, die aus einer aus 50 Tonnen Lehm und Sand gestalteten, apokalyptischen Ödnis hervorragt. Dabei hat die Künstlerin aber nicht auf einen Hoffnungsschimmer vergessen: In einer Sphäre aus Muranoglas wächst wie in einer "Mini-Erde" ein Abkömmling des Baumes weiter.

Ein wahrer Blickfang sind die in herrlichen Farbtönen gehaltenen, eigens für die Schau hergestellten Tapisserien an den Wänden, die übereinander gedacht von den ökologischen und ökonomischen Wechselwirkungen von Meer und Mensch erzählen, von Rohstoffgewinnung, Nutzbarmachung und Ausbeutung. Vom in prächtigen Grün- und Blautönen gehaltenen Meeresgrund im Erdgeschoß werden die sechs Meter langen textilen Werke in der Fortsetzung immer bunter und heller. Sie zeigen schillernde Meeresbewohner wie Quallen und Fische, aber auch menschengemachte Eingriffe wie Bojen, Bohrgestänge, Seemarkierungen und Fischernetze - und auf allen Teppichen finden sich abgerissene menschliche Arme, die Puppengliedern gleich zum Meeresboden sinken. "Lost hands" nennt diese die 1974 im nigerianischen Kano geborene Künstlerin. Letztlich seien auch wir Menschen aus jenen Mineralen gemacht, die wir mit Hilfe von menschlicher Arbeitskraft und Maschinen aus der Erde holten. "Minerale wie Kupfer oder Kobalt bewegen sich eigentlich ständig von einer Form zu einer anderen", so Otobong Nkanga über diesen Kreislauf.

Über die verschiedenen Meerestiefenzonen leitet die Künstlerin schließlich ganz oben ans Land über. Dort lodert in beklemmender orange-roter Schönheit ein Waldbrand an der Wand, der die von Medienbildern bekannten Brandszenarien der jüngeren Vergangenheit nahezu fühlbar macht. Die jetzt noch feuchte Erde am Boden wird im Laufe der Ausstellung austrocknen und rissig werden. Betrachter finden sich in einer dystopischen Landschaft wieder, "man fühlt das Brennen des Landes", erläuterte die in Antwerpen lebende Otobong Nkanga am Donnerstag bei einer Presseführung Otobong Nkanga. Sie beschäftige die Frage der Ökonomie der Zukunft sehr, vor allem seit der Pandemie. "Alles ist tief miteinander verbunden", zeigte sie sich überzeugt, "der Baum, der Boden, das Wasser".

Sie interessiere sich dafür, wie der Untergrund mit der Oberfläche in Relation stehe, was ein Systemzusammenbruch für die Menschen bedeute, etwa der Verlust der Lebensgrundlage, wenn Olivenhaine verbrannten. Die über 100 Jahre alte, 33 Meter hohe Weißtanne wählte sie, weil sie bereits im Sterben lag. "Er blockierte das Licht für die nachkommenden Bäume und wir haben dafür vier neue gepflanzt", so die Künstlerin, die betonte, wie wichtig ihr der Gedanke von Nachhaltigkeit und der Zusammenarbeit mit lokalen Kräften sind. So soll auch der Lehm, den sie in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Lehmbau-Pionier Martin Rauch für die Schau verarbeitete, nach Ende der Ausstellung im Hausbau weiterverwendet werden. Das Material sei "nur ausgeliehen", erklärte Rauch. Auch Kunsthaus-Direktor Thomas D. Trummer betonte die Bedeutung der Idee der Kollaboration im Oeuvre von Otobong Nkanga und zeigte sich erfreut über die Aufmerksamkeit, die die Schau der Künstlerin anziehe.

(S E R V I C E - Ausstellung Otobong Nkanga von 23. Oktober bis 6. Februar 2022 im Kunsthaus Bregenz (KUB). Erweiterte Eröffnung am 22. Oktober, 17 bis 20 Uhr; weitere Informationen unter www.kunsthaus-bregenz.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Ein in Schieflage geratener Bregenzerwälder Baumriese durchbohrt das Kunsthaus Bregenz (KUB) bis in die oberste Etage, an den Wänden prangt ein Teppichmeer in opulenter Farbigkeit, Tümpel trocknen auf lehmigem Grund langsam zu rissigen Oberflächen.
  • Mit dem sich über alle KUB-Etagen erstreckenden Werk der aus Nigeria stammenden und in Antwerpen lebenden Künstlerin wird das Bregenzer Ausstellungshaus zu einer Schnittdarstellung der Erde.

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