APA/dpa/Horst Ossinger

Boulevard schrieb Fake-Shitstorm um Winnetou herbei

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Häuptlingssohn Winnetou ließ die Wogen hochgehen. Ein Buch über ihn durfte nicht erscheinen, die Empörung war groß. Aber war sie das wirklich? Eine Analyse zeigt, ohne die Medien wäre es gar nicht erst zu der Debatte gekommen.

Die Aufregung rund um den neuen Winnetou-Kinderfilm "Der junge Häuptling Winnetou" und dessen Begleitbuch der Firma Ravensburger war groß - aber erst nachdem die Medien eine künstliche Empörungswelle ausgelösten. Eine Datenanalyse der Content-Marketing-Spezialisten Scompler fand heraus, dass das Interesse an Film und Buch vorab nur sehr gering war. Medienberichte führte schließlich zum plötzlichen Interessensanstieg an der "Causa".

Suchergebnisse explosionsartig gestiegen

Am 19. August veröffentlichte Ravensburger auf Instagram die Meldung, dass sie das Buch zum Film aus den Regalen nehmen werden. Grund dafür sollen zahlreiche negative Rückmeldungen von Kunden gewesen sein. Davor war das Interesse am Winnetou-Film überschaubar. Nur um die 150 bis 200 Postings gab es zum Thema.

Am 21. August empörte sich die deutsche "Bild" darüber, andere Medien zogen nach. Danach vervielfachten sich die Suchergebnisse explosionsartig. 22.355 Treffer zählte ein Analyse-Team mit dem Tool "Talkwaker".

Ravensburger handelte sich für die Nicht-Veröffentlichung des Buches eine Shitstorm ein. Scompler kam bei seiner Analyse zum Schluss, dass der Großteil der Postings von "anti-woke"-Personen stammt. Nur ein beträchtlich geringerer Teil stammt von "woke-Aktivisten". 

ARD "verbietet" Winnetou-Verfilmungen

Nach dem ersten Proteststurm kam es zu einem kurzen Abfall der gefundenen Schlagwörter auf bis zu 12.000 Vorschläge. Am 26. August legten die Medien nach und schrieben, dass der öffentlich-rechtlichen Sender ARD die Winnetou-Verfilmungen aus dem Programm nehme - schon nahm das Interesse wieder zu.

Die Information, dass die Filme auf dem Schwesternsender ZDF weiterhin zu sehen sein werden, wurde kaum erwähnt. Auch dass die ARD die Lizenz bereits 2020 nicht verlängert hatte, war nur kurz im Teaser eines "Bild"-Artikels zu lesen.

Springer-Verlag nutzte selbsterzeugte Aufregung aus

Vor allem klassische Medien, also Tageszeitungen, News-Portale, Nachrichtenagenturen und Online-Medien, sind auf dem Winnetou-Zug aufgesprungen. Am meisten dürfte der Springer-Verlag von der "Affäre" profitiert haben, die er selbst mit seinen Flaggschiffen "Bild" und "Welt" ausgelöst hat. Zahlreiche Spitzenpolitiker nutzten dies, um sich öffentlichkeitswirksam zu positionieren – und ritten oftmals zur vermeintlichen Verteidigung von Freiheit und Kunst.

Mediensystem "infam"

Scompler übt scharfe Kritik an den Medien für den Umgang mit der Winnetou-Debatte. Während "Ravensburger sachliche Kritik ihrer Community ernst genommen und einen Fehler eingesehen hat", haben die Medien eine "sachlichen Auseinandersetzung zu dem Thema verhindert und stattdessen nur Aufregung und Polarisierung gefördert. "Unser Mediensystem ist kaputt. Richtig kaputt. Teilweise ist es gar infam", so Scompler.

ribbon Zusammenfassung
  • Häuptlingssohn Winnetou ließ die Wogen hochgehen. Ein Buch über ihn durfte nicht erscheinen, die Empörung war groß. Aber war sie das wirklich?
  • Aber war sie das wirklich? Eine Analyse zeigt, ohne die Medien wäre es gar nicht erst zu der Debatte gekommen.
  • Am meisten profitiert haben ausgerechnet die, die den vermeintlichen Shitstorm auslösten. Und: Die reißerische Darstellung von "Bild" und Co. verhinderte ein sachliche Debatte.

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