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Zeilinger führte in Stockholm durch das "Quantenwunderland"

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"Es ist tot, Jim" - mit dieser, an Dr. McCoy aus "Star Trek" angelehnten Aussage drückte Physik-Nobelpreisträger John Clauser aus, was ihm und seinen Ko-Laureaten Alain Aspect und Anton Zeilinger in langwieriger Arbeit gelang: Albert Einsteins Ansicht zur Quantenverschränkung zu widerlegen. Die drei Physiker zeigten bei ihren Nobel-Vorlesungen am Donnerstag, dass die "Quantenwunderwelt" wirklich verrückt ist, und was eine nackte Frau damit zu tun hat.

Die Nobel-Lectures fanden am Vormittag im gut besuchten großen Auditorium der Universität Stockholm statt. Die drei Preisträger, die sich die Auszeichnung für ihre "Experimente mit verschränkten Photonen, Nachweis der Verletzung der Bellschen Ungleichungen und wegweisender Quanteninformationswissenschaft" teilen, führten mit ihren Powerpoint-Präsentationen, Anekdoten und zahllosen Belegen wissenschaftlicher Arbeiten durch die Ideengeschichte der Quantenphysik und sangen ein Loblied auf das physikalische Experiment.

Ihre Fotos von Versuchsaufbauten aus den 1970er- und 1980er-Jahren zeigten nicht nur Forscher mit zeitgemäßer Haartracht, sie erinnerten auch eher an Heimwerkerstätten, wo "dauernd Öl auf den Boden tropft" (Clausen), als an Quantenlabore. Bei der Beschreibung der Umsetzungen ihrer Ideen huschte bei den drei heute distinguierten Forschern immer wieder die fast bubenhafte Freude an ihrer Arbeit übers Gesicht.

Die lag bis zu einem gewissen Grad darin, Albert Einsteins Ansicht zu widerlegen, dass dem bizarren Phänomen der Verschränkung - also dem Faktum, dass Teilchen über beliebige Distanzen wie durch Geisterhand miteinander verbunden bleiben können - eigentlich sogenannte "verborgene Variablen" zugrunde liegen müssen. Wie Clauser und Aspect die ersten Erkenntnisse zum "Begräbnis" von Einsteins Sichtweise lieferten, arbeiteten die beiden Forscher in ihren Lectures durchaus akribisch auf.

Vom Einstein-Podolsky-Rosen(EPR)-Paradoxon war dabei ebenso oft die Rede wie von der Bell'schen Ungleichung. Das EPR-Paradoxon ist ein Gedankenexperiment, das Einstein mit seinen Mitarbeitern in den 1930er-Jahren ausarbeitete und in die Wissenschaftsgeschichte einging. Einstein wollte damit seine Einwände gegen die Quantenmechanik auf den Punkt bringen und deren Widersprüche aufzeigen.

Der nordirische Physiker John Bell (1928-1990) veröffentlichte 1964 ein bahnbrechendes Theorem, das eine zentrale Unterscheidung zwischen der Quantenmechanik und der unseren Alltag bestimmenden klassischen Physik ermöglicht. Ihm zufolge dürfte das Messresultat des einen Teilchens nicht davon abhängen, was am anderen Teilchen gemessen wird. In seiner "Bellschen Ungleichung" zeigt er, dass alle Theorien, die auf dieser - aus Alltagssicht vernünftigen - Voraussetzung beruhen, für eine gewisse Messkombination einen konkreten Wert nicht überschreiten dürfen und sie daher nicht verletzt wird. Die Quantentheorie sagt dagegen einen größeren Wert voraus - und das wird seit Jahrzehnten in zahllosen Experimenten auch tatsächlich so gemessen.

Lange wurde vermutet, dass solche Quantensysteme bzw. Teilchen bestimmte Eigenschaften in sich tragen, die Physiker sprechen von "verborgenen Variablen", die hinter dem Phänomen stecken. Damit ließe sich ihr Verhalten mit der klassischen Physik erklären, eine quantenphysikalische Erklärung wäre nicht notwendig. Doch Aspect, Clauser und Zeilinger zeigten mit zunehmender Präzision, dass die Bellsche Ungleichung etwa bei Messungen an verschränkten Photonen verletzt wird.

Zeilinger zeigte sich zu Beginn seiner Vorlesung "glücklich und dankbar, hier zu sein und den heurigen Preis zuerkannt bekommen zu haben". Der 77-jährige emeritierte Professor an der Universität Wien, der am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig ist, dankte - wie schon bei der Pressekonferenz nach Zuerkennung des Preises in Wien - den "Steuerzahlern in Österreich, Europa und den USA", die die Arbeit der Ko-Laureaten ermöglichten. Dafür erntete er in seiner "Reise durch das Quantenwunderland" betitelten Vorlesung spontanen Applaus, ebenso wie er das Publikum mit einer doppelten Drehung um die eigene Achse begeisterte.

Damit illustriere er, wie seltsam anmutend die Phänomene der Quantenmechanik sind: Die meisten Menschen würden sagen, dass es keinen Unterschied macht, eine perfekte Kugel einmal oder zweimal um sich selbst zu drehen, das Ergebnis wäre jedes Mal dasselbe. Doch Zeilinger zeigte schon 1975 gemeinsam mit seinem Doktorvater Helmut Rauch, dass es in der Quantenphysik sehr wohl einen Unterschied macht, ob man ein Neutron einmal oder zweimal dreht - und demonstrierte das mit entsprechenden Pirouetten.

Seine Rede widmete Zeilinger dann auch seinem Lehrer Helmut Rauch und seinem Kollegen Michael Horne, die beide 2019 verstorben sind. Von ihnen habe er gelernt, trotz Rückschlägen möglicherweise doch richtige Ideen weiter zu verfolgen. Als er in den 1970ern Aspect, Clauser, Horne und Co erstmals auf einer Konferenz in Sizilien über Verschränkung reden hörte, "hatte ich noch nicht die leiseste Ahnung davon, was das sein soll", so der 1945 in Ried im Innkreis (OÖ) geborene Physiker.

In der Folge gab er Einblicke darin, wie er sich diese verborgene Welt erschließen konnte - immer mit dem Hinweis auf die vielen Kollegen, die daran beteiligt waren - den Dutzenden Wissenschaftern, mit denen er im Laufe seiner Karriere publiziert hatte, widmete er auch die letzten beiden Folien seines Vortrags. Mehr als 20 Weggefährten fanden sich am Donnerstag am IQOQI in Wien zum gemeinsamen "Viewing" der Nobelpreis-Lectures ein, wie Robert Kindler, ein Mitglied von Zeilingers Forschungsgruppe der APA erzählte.

In der Wiener Boltzmanngasse sei die Stimmung "sehr gut gewesen", für Kindler hat sein Gruppenleiter sein Vorhaben, die Experimente und seine Karriere möglichst allgemein verstehbar zu erzählen, auch gut eingelöst: "Die ersten beiden Sprecher waren sehr auf die Bell'sche Ungleichung bezogen." Bei Zeilinger sei der Plan aufgegangen, seine eigenen Zugänge und Erlebnisse zu schildern: "Sein Ziel war es nicht zu technisch zu werden", betonte Kindler.

So legte Zeilinger dar, wie er sich daran machte, die Drei-Teilchen-Verschränkung - den Greenberger-Horne-Zeilinger(GHZ)-Zustand - im Experiment nachzuweisen, und dass es um die zehn Jahre gedauert hat, bis dies dann 1996 endlich gelang. Der Physiker, der am Samstag (10. Dezember) den Nobelpreis entgegennehmen wird, erzählte von seinen Arbeiten an der Universität Innsbruck zu Beginn der 1990er-Jahre, als er zwar durch seine Berufung endlich Geld für neue Geräte, aber "keine Ahnung hatte, wie ein Laser funktioniert!" So konnte die Gruppe allerdings ein "Arbeitspferd" entwickeln, das in viele Richtungen galoppieren konnte.

Man hatte dann die Werkzeuge für Experimente in der Hand, wie etwa jedes zur ersten Quantenzustandteleportation im Jahr 1997. Er habe früher gedacht, dass diese Leistung, die ihn schlagartig weltbekannt machte, nie aus den Reich der Theorie herausfinden würde. Letztlich wurden viele der damaligen Arbeiten zu den Grundlagen zur Übertragung von Verschränkung, die heute wiederum den Grundpfeiler der ersten funktionierenden Quantennetzwerken bildet. Vieles aus dieser Zeit fließt auch in die mannigfaltigen Überlegungen zur Umsetzung von Quantencomputern ein.

In der Folge schafften Zeilinger und Kollegen Distanz-Rekorde für die Übertragung von Quanteninformation und erzielten Meilensteine bei der technologischen Umsetzung von abhörsicheren Quantenkanälen (Quantenkryptographie). Auf diese quantenverschlüsselte Weise verschickten die Wiener Physiker auch erstmals ein Bild. Zeilinger wischte damals Vorschläge vom Tisch, wonach man etwa ein Foto eines Panzers übertragen könnte: "Es musste etwas Österreichisches und vollkommen Friedliches sein", so der Physiker unter Applaus des Lecture-Publikums.

So kam die "Venus von Willendorf" zu der Ehre, 30.000 Jahre nach ihrer Anfertigung zur quantenkryptographischen Weltpremiere zu werden: "Das war das einzige Mal, dass eine nackte Frau in den 'Physical Review Letters' (ein Physik-Fachmagazin, Anm.) abgedruckt wurde."

Bei all den Anwendungen, die Zeilinger mit möglich gemacht hat, sei es ihm bei seinem Vortrag aber sehr wichtig gewesen, immer wieder den Reiz der Grundlagenarbeit hervor zu streichen, so Kindler. Hier liege heute auch sein größtes Interesse, sagte der österreichische Nobelpreisträger.

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  • Die Nobel-Lectures fanden am Vormittag im gut besuchten großen Auditorium der Universität Stockholm statt.

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