"Wir Kinder vom Stadtpark Wien": Jugendliche in der Krise

0

Immer mehr Jugendliche leiden an psychischen Problemen. Die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung gerät indes an ihre Grenzen. Wie geht es den Jugendlichen, die durch das System fallen? Eine Reportage von "EXAKT - Das PULS 4 Magazin" und PULS 24.

Der Wiener Stadtpark ist für viele Jugendliche ein zweites Zuhause. Und er zeigt wie wenige andere Orte, wie angespannt die Situation um die psychische Versorgung von Kindern von Jugendlichen ist. Zwei von denen, die im Stadtpark ihre Tage verbringen, sind Katrin und Alex. Die beiden heißen eigentlich anders. Was gibt ihnen der Ort, der medial oft wegen Drogen, Überfällen und Gewalt thematisiert?

"Bei mir sind es die Depressionsphasen gewesen, die alle zwei Monate gekommen sind", sagt Alex. "Ich war dann fast nur noch für mich selbst, hab kaum geredet oder gegessen." Im Stadtpark konnte er entspannen, er musste sich nicht mehr verstellen. Katrins Geschichte klingt ähnlich. Sie kam mit Freund:innen in den Stadtpark, um sich nicht mehr alleine zu fühlen. In der Gruppe fühlte sie sich verstanden, viele ihrer Freund:innen litten genauso unter Depressionen oder anderen psychischen Problemen wie sie.

Sowohl Alex als auch Katrin waren schon einmal in Therapie, doch das hat ihnen kaum geholfen. Stattdessen greifen sie oft immer wieder zu Alkohol oder Marihuana. "Man kommt dadurch runter und wird entspannt", sagt Katrin. "Es ist ein Beruhigungsmittel für uns."

Damit ist Katrins und Alex' Gruppe nicht alleine. Selbstmedikation mit Drogen oder Alkohol nehme unter Jugendlichen zu, erklärt der Kinder- und Jugendpsychiater Helmut Krönke. "Alkohol ist wahrscheinlich immer noch Platz 1 der Drogen", sagt er. "Wir haben aber auch ein deutlich höheres Ausmaß an Cannabis als vor 20 Jahren und beobachten mehr Mischkonsum." Oft sei Selbstmedikation der Beginn einer Abhängigkeit, so der Psychiater. Zu bereits bestehenden Problemen würde damit ein weiteres hinzukommen. 

Gesundheitskrise

Österreichs Jugendliche befinden sich in einer psychischen Gesundheitskrise. 16 Prozent gaben bei einer Befragung der Medizinischen Universität und der Donau-Universität Krems 2021 an, suizidale Gedanken zu haben. 55 Prozent berichteten von einer depressiven Symptomatik, 50 Prozent von Angststörungen und 25 Prozent von Schlafstörungen. Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH Wien, hat ähnliche Beobachtungen gemacht. "In der Pandemie hat sich die Zahl der Jugendlichen, die wir nach einem Suizidversuch sehen, verdreifacht", erklärt er. 

Schon vor der Corona-Krise gab es in Österreich nicht genügend Versorgung für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen. Der Anstieg hat die Problematik verschärft. Es gibt nur 437 vollstationäre und 138 Plätze in einer Tagesklinik. Zusätzlich fehlt es an medizinischem Personal. Es gibt nur 38 Kassenfachärzt:innen, der Bedarf liegt bei 112.

Wer Versorgung braucht, kommt oft auf eine Warteliste. "Wir setzen uns wöchentlich zusammen und schauen die Patientinnen und Patienten auf der Warteliste durch, um zu priorisieren, wer das nächste Bett am dringendsten braucht", so Plener. Durch die Wartezeit würde sich die Erkrankung oft verschlimmern. "Wir reden hier über Kinder und Jugendliche, die es nicht mehr schaffen, in die Schule zu gehen." Viele würden dadurch den Anschluss verlieren. 

In der Intensivmedizin werde seit Jahren vor einer solchen Versorgungslücke gewarnt, kritisiert auch der Psychiater Krönke. "Ich frage mich, warum es im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie passieren darf." 

Die Jugendlichen im Stadtpark wurden vom System im Stich gelassen. Viele von ihnen haben bereits in jungen Jahren viel erlebt. Sie sprechen von Ablehnung und Gewalt. Von Eltern, die ihnen kein sicheres Zuhause geben konnten. Zwei junge Mädchen erzählen auch von einem Suizidversuch. Diese Geschichten kennen auch Katrin und Alex. "Es kommt oft genug vor, dass sich jemand das Leben nehmen will", sagt Alex. "Aber wir überreden sie dann, es nicht zu tun." 

Katrin und Alex sprechen nüchtern über diese Dinge. So, als könnte sie nichts mehr erschüttern. Bevor es dunkel wird, verlassen sie den Park. Sie wollen nach Hause - am nächsten Tag werden sie wiederkommen.

Exakt - Das PULS 4-Magazin vom 30.03.2023

ribbon Zusammenfassung
  • Immer mehr Jugendliche leiden an psychischen Problemen.
  • Die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung gerät indes an ihre Grenzen.
  • Wie geht es den Jugendlichen, die durch das System fallen? Eine Reportage von "EXAKT - Das PULS 4 Magazin" und PULS 24.