APA/HELMUT FOHRINGER

Tornado in Tschechien: Fünf Tote - Zweiter Block im AKW Temelin heruntergefahren

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Bei einem Tornado in Tschechien starben mindestens fünf Menschen. Die Rettungskräfte - mit Hilfe aus Österreich - sind im Großeinsatz. Im AKW Temelin musste der zweite Block abgedreht werden.

Nach dem verheerenden Unwetter und dem Tornado mit enormen Schäden in Tschechien ist der zweite Block des Atomkraftwerkes Temelin heruntergefahren worden. Die Maßnahme erfolgte nach einem Schaden an einer abführenden Hochspannungsleitung. Das teilte der oberösterreichische Umweltlandesrat Stefan Kaineder (Grüne) in einer Presseaussendung am Freitag mit. Er warnte vor einem ähnlichen Zwischenfall beim AKW Dukovany.

Die Umstände für die Notabschaltung von Temelin sind für Kaineder unklar und er forderte von Betreiber und Aufsichtsbehörde "umfassende Aufklärung zum Vorfall". Er zitierte zu Temelin Berichte der lokalen Medien, wonach die abführende 400-kV-Hochspannungsleitung zwischen dem Kraftwerk und der Schaltanlage Kočín aufgrund von schweren Gewittern beschädigt worden sei - drei Strommasten wurden demnach zerstört. Der zweite Block in Temelin sei daraufhin automatisch heruntergefahren worden.

Mehr als 10.000 Haushalte ohne Strom

Der oberösterreichische Antiatom-Beauftragte Dalibor Strasky erläuterte, dass in solchen Fällen der betroffene Block normalerweise ins Regime "Leistung für die Eigenversorgung" übergehe. Er schalte sich nicht automatisch ab. "Die von der Aufsichtsbehörde genannte Ursache der Abschaltung wird dadurch nicht erklärt", stellte er fest. Denn die genannte Hochspannungsleitung sei nicht für die Versorgung des AKW im Notfall vorgesehen.

Die Reparatur der Hochspannungsleitung bei Temelín wird laut den Berichten mehrere Tage benötigen, mehr als 10.000 Haushalte sind ohne Strom. Der AKW-Betreiber CEZ habe entschieden, den 2. Block nicht mehr hochzufahren und die geplante Blockabstellung zum Austausch der Brennelemente um eine Woche vorzuziehen. Die Blockabstellung soll mehr als zwei Monate lang dauern.

Punz: "Es schaut aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen"

Im Südosten Tschechiens wütete Donnerstagabend ein Tornado. Wie die Polizei und Rettungsdienste mitteilten, sind mindestens fünf Menschen durch die Katastrophe gestorben. Rund 200 Menschen wurden verletzt, davon mussten knapp 60 stationär im Krankenhaus behandelt werden. 

Zwei Schwerverletzte nach Wien gebracht

Der Tornado hatte am Donnerstagabend sieben Dörfer in der Region Südmähren verwüstet. Häuser wurden zerstört, Dächer abgedeckt, Stromleitungen niedergerissen und Autos umhergeschleudert. Tschechien mobilisierte alle Kräfte, Hilfe kam auch aus dem benachbarten Österreich.

Reinhard Kraxner, Pilot bei der ÖAMTC-Flugrettung, berichtet im Interview mit PULS 24 Anchor René Ach über seinen Einsatz beim Tornado in Tschechien.

Die Christophorus-Teams halfen laut Ralph Schüller, Sprecher der ÖAMTC-Flugrettung, bei der Bergung, nachdem der Tornado einen Bus gut 70 Meter weit von der Straße in ein Feld gefegt hatte. Der Unfallort lag bei Mikulčice (deutsch Mikultschitz, auch Nickoltschitz, Nikolschitz), ein Dorf mit rund 2.000 Einwohnern in der Region Jihomoravský kraj. Dort habe es wohl Tote und etliche Schwerverletzte gegeben, zwei der Opfer wurden zur medizinischen Versorgung nach Wien geflogen. Es handle sich um einen etwa 50-Jährigen, offenbar der Buschauffeur, sowie um ein 15-jähriges Mädchen.

15-Jährige im AKH in Tiefschlaf versetzt

Die beiden nach Wien gebrachten Patienten waren kurz vor Mitternacht ins AKH bzw. in die Klinik Donaustadt gebracht worden. "Einer der Schwerverletzten ist nach einer Notoperation mittlerweile stabil, um das Leben einer zweiten Patientin wird zur Stunde noch gerungenen", sagte Michael Binder, Medizinischer Direktor des Wiener Gesundheitsverbundes Freitagvormittag. Der Mann war noch in der Nacht operiert worden, sein Zustand habe sich sehr gut entwickelt und galt als stabil, hieß es dann am Nachmittag. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte hielten sogar seine Entlassung aus dem Spital Anfang nächster Woche für möglich. Die 15-Jährige wurde mittlerweile in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Ihr Zustand sei stabil, es könne aber noch keine Entwarnung gegeben werden, erfuhr die APA von einem Sprecher des Gesundheitsverbunds.

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sicherte Unterstützung zu: "Die Stadt Wien steht den tschechischen Nachbarn in dieser schwierigen Situation mit allen verfügbaren Kräften zur Seite".

"Straßen übersät von Trümmerhaufen"

Das niederösterreichische Rote Kreuz war noch in den späten Abendstunden mit rund 40 Fahrzeugen und mehr als 100 Helfern in den Südosten Tschechiens ausgerückt. Auf den Weg machten sich nach Angaben von Sprecherin Sonja Kellner auch drei mit Feldbetten und Decken beladene Lkw. An Ort und Stelle waren die Kräfte aus dem Bundesland laut Kellner während der "chaotischen Phase", die den Beginn von vielen Katastrophenfällen begleitet. Versorgt wurden von den Niederösterreichern etwa 30 Menschen, eine Person wurde in ein Krankenhaus transportiert. Abgeschlossen wurde der Einsatz seitens des Roten Kreuzes noch in der Nacht auf Freitag. "Die Kräfte vor Ort waren soweit, dass sie übernehmen konnten", sagte Kellner.

Notruf NÖ teilte auf Anfrage mit, dass keine Verletzten aus Tschechien in niederösterreichische Landeskliniken gebracht worden seien. Am Donnerstag in den Abendstunden waren alle Krankenhäuser im Weinviertel, jene in St. Pölten und Wiener Neustadt sowie Wiener Spitäler hinsichtlich möglicher Patienten vorinformiert worden.

PULS 24 spricht mit Patrick Wolfram vom Roten Kreuz in Niederösterreich, das in Tschechien nach dem Tornado im Katastrophengebiet hilft.

"Alles, was Arme und Beine hat, fährt dorthin"

Die Situation dort sei wie in einem Krieg, sagte Gesundheitsminister Adam Vojtech im TV. Mehrere Busse seien bei dem Unwetter in Südmähren nahe der Grenze zu Österreich umgestürzt, berichtete der Fernsehsender CT. Alle verfügbaren Einsatzkräfte seien auf dem Weg in die Region, so Innenminister Jan Hamacek. "Alles, was Arme und Beine hat, fährt dorthin."

"Geblieben sind nur die Mauern"

Auf Bildern und Videos in den sozialen Medien war eine gewaltige Windhose zu sehen, der vom Wetterdienst CHMU als Tornado bestätigt wurde. Im Zentrum der Katastrophe waren die Gemeinden Hrusky (Birnbaum) mit knapp 1.500 und Moravska Nova Ves (Mährisch Neudorf) mit rund 2.600 Einwohnern. Der stellvertretende Bürgermeister Hruskys schilderte, dass der halbe Ort dem Erdboden gleichgemacht worden sei. "Geblieben sind nur die Mauern, ohne Dach, ohne Fenster", sagte er. Die Menschen hätten sich vor dem Unwetter nicht schützen können.

Hundestaffeln suchen Verschüttete

 Mehrere Rettungsstaffeln mit Hunden waren unterwegs ins Einsatzgebiet, um in Gebäuden nach möglichen Verschütteten suchen. Die Feuerwehr ging von Haus zu Haus. "Hier herrscht großes Chaos, große Panik", sagte ein Augenzeuge in der Gemeinde Luzice (Luschitz) dem Sender CT. Viele Häuser sollen einsturzgefährdet sein. Die Polizei sperrte die Zufahrtswege zu mehreren Orten, um Schaulustige fernzuhalten. Schnelle Hilfe kam aus dem benachbarten Ausland, neben den Einsatzkräften aus Österreich entsandte die Slowakei mehrere Rettungswagen.

Notruf überlastet

Den ganzen Abend über und bis in die Nacht hinein waren schwere Sommergewitter durch Südmähren gezogen. Die Notrufleitungen waren überlastet. Rund um die Städte Breclav und Hodonin fielen Hagelkörner von der Größe von Tennisbällen. Am Schloss Valtice, das zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, entstand Millionenschaden. An dem Bau aus dem 17. Jahrhundert barsten zahlreiche Fensterscheiben. Die Autobahn D2, die von Brünn (Brno) nach Breclav und weiter in die Slowakei führt, war stundenlang nicht befahrbar. Eine Hochspannungsleitung war auf die Fahrbahn gestürzt. In der Früh wurde eine Fahrspur freigegeben, es kam zu Staus. Landesweit waren noch rund 75.000 Haushalte ohne Elektrizität.

Autobahn gesperrt

Die Autobahn D2, die von Brno (Brünn) nach Breclav führt, war nicht befahrbar, weil eine Hochspannungsleitung auf die Fahrbahn gestürzt war. Rund 32.000 Haushalte waren ohne Elektrizität. Die Regierung in Prag versetzte Kräfte der Armee für einen möglichen Hilfseinsatz in Bereitschaft. Das Rote Kreuz Niederösterreich war laut Sprecher Andreas Zenker mit 32 Fahrzeugen in Tschechien im Einsatz. Der ÖAMTC entsandte die Notarzthubschrauber "Christophorus 2" und "Christophorus 9". Es war davon die Rede, dass Verletzte aus dem Nachbarland ins Landesklinikum Mistelbach gebracht werden könnten. Hinsichtlich möglicher Patienten wurden zudem alle weiteren Kliniken im Weinviertel, jene in St. Pölten und Wiener Neustadt sowie Wiener Krankenhäuser vorinformiert, erfuhr die APA. Hilfe bot auch die benachbarte Slowakei an.

Sturmgeschwindigkeit von über 330 km/h

Der Tornado sei vorerst als Kategorie F3 klassifiziert, erfuhr die APA von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Dabei handelt es sich nach der Fujita-Skala um Sturmgeschwindigkeiten von 254 bis 332 km/h, die schwere Schäden verursachen können - Dächer und leichte Wände werden abgetragen, Züge entgleisen, Wald wird großteils entwurzelt, Lkw und Pkw werden umgeworfen oder verschoben, Autos können sogar angehoben werden. Nach Einschätzung eines ZAMG-Experten könnte es sich aber sogar um einen Tornado der Stärke F4 gehandelt haben, die Abklärungen liefen noch. In Österreich ereignen sich pro Jahr durchschnittlich vier Tornados.

Der Tornado hatte nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eine für Europa außergewöhnliche Stärke. "Das sind solche Kräfte, die dort entstehen, dass wirklich Autos Hunderte Meter weit durch die Luft fliegen, das Trümmerteile sich in Betonwände bohren", sagte Andreas Friedrich, Tornadobeauftragter des DW. Er gehe anhand der Schäden, die er auf den Bildern aus Tschechien gesehen habe, von Windgeschwindigkeiten zwischen 300 und 400 Kilometern pro Stunde aus. Das sei "ein Tornado, der in dieser Stärke in Europa bisher nur selten vorkam".

Kurz: "Mitgefühl gilt den Opfern" 

"Unser Mitgefühl gilt den Opfern und den Familien der Opfer", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am EU-Gipfel in Brüssel zu den Vorfällen. Kurz dankte in den frühen Morgenstunden des Freitag den österreichischen Einsatzkräften, die grenzüberschreitend tätig seien und versuchten, einen Beitrag zu leisten. Der tschechische Regierungschef Andrej Babis ließ mitteilen, dass er wegen des Wetters in Europa nicht mit dem Flugzeug aus Brüssel zurückkehren könne, wo er ebenfalls am Gipfel teilnimmt.

"Weltuntergangsstimmung" in Niederösterreich

Auch in Österreich wütete der Sturm, im Raum Hollabrunn waren rund 650 Mitgliedern von insgesamt 50 Feuerwehren im Einsatz. Tennisballgroße Hagelkörner prasselten auf Dächer und Autos und richteten großen Schaden an. 

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ribbon Zusammenfassung
  • Im Südosten Tschechiens wütete ein Tornado, forderte Todesopfer und verletzte hunderte Menschen. Die genauen Opferzahlen sind noch unbekannt, das Krankenhaus in Hodonin (Göding) meldete rund 200 Verletzte.
  • Autos wurden durch die Luft geschleudert, Dächer abgedeckt, Fensterscheiben zerstört, Bäume geknickt. Tschechien mobilisierte alle Kräfte, Hilfe kam auch aus dem benachbarten Österreich.
  • Die Situation dort sei wie in einem Krieg, sagte Gesundheitsminister Adam Vojtech im TV. Mehrere Busse seien bei dem Unwetter in Südmähren nahe der Grenze zu Österreich umgestürzt, berichtete der Fernsehsender CT.
  • Alle verfügbaren Einsatzkräfte seien auf dem Weg in die Region, so Innenminister Jan Hamacek. "Alles, was Arme und Beine hat, fährt dorthin."
  • Mehrere Rettungsstaffeln mit Hunden waren unterwegs ins Einsatzgebiet, um in Gebäuden nach möglichen Verschütteten suchen.
  • Nach dem verheerenden Unwetter und dem Tornado mit enormen Schäden in Tschechien ist der zweite Block des Atomkraftwerkes Temelin heruntergefahren worden. Die Maßnahme erfolgte nach einem Schaden an einer abführenden Hochspannungsleitung.

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