Suizidraten weltweit und in Österreich gesunken
Ausgewertet hat die Daten ein internationaler Forschungsverbund um Soeun Kim und Selin Woo vom Kyung Hee University College of Medicine in Seoul (Südkorea). Die Werte für Länder auf fünf Kontinenten wurden auf Basis der Datenbank der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gebildet. In den 102 Ländern sank die Suizidrate demnach im Schnitt um 29,9 Prozent von 10,3 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr 1990 auf 7,2 im Jahr 2021. Als Gründe für den Rückgang der Suizidraten in Europa nennt das Team etwa die Förderung einer verantwortungsvollen Medienberichterstattung und die Stärkung sozial-emotionaler Kompetenzen bei Jugendlichen.
Holger Leerhoff vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg verweist gegenüber dem deutschen Science Media Center (SMC) unter anderem auf einen verbesserten Zugang zu psychiatrischer und psychosozialer Versorgung, die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und Präventionsprogramme. Diese Faktoren hätten in vielen Regionen positive Effekte gezeigt, sagte Leerhoff, der nicht an der Studie beteiligt war.
Das im Jahrzehntevergleich markante Minus bei den Suizidraten hierzulande dokumentiert auch der Bericht zu "Suizid und Suizidprävention in Österreich" für das Jahr 2024 - allerdings unterscheiden sich die Zahlen im Vergleich mit der nun in dem Fachjournal veröffentlichten Untersuchung etwas. Der Grund liegt darin, dass das Team Vergleichsdaten verwendete, in denen berücksichtigt wurde, dass Suizide je nach Alter unterschiedlich häufig sind und die Altersverteilungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sind. Diese "altersstandardisierten Werte" erlauben laut den Autoren den internationalen Vergleich.
Anfangs höhere Suizidrate in reichen Ländern
Ihren Höchststand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erreichte die Suizidrate in Österreich laut dem Bericht aus 2024 im Jahr 1986 mit 32,4 Fällen pro 100.000 Einwohnern - also noch vor Beginn des Zeitraumes, den die neue Untersuchung umfasst. In der Folge registrierte man hierzulande eine Abnahme, die durch die Finanzkrise 2008 etwas gebremst wurde und im Pandemie-Jahr 2022 einen leichten Knick in die gegenteilige Richtung erfuhr. Seither ist die Suizidrate erneut im Abnehmen und lag 2023 bei 14 Fällen pro 100.000 Einwohnern, wobei der Wert bei Männern mit 973 Suiziden mehr als vier Mal höher war als bei Frauen (239). In der südkoreanischen Vergleichsstudie startet Österreich mit rund 20 Suiziden pro 100.000 Einwohner im Jahr 1990 über dem Europa-Durchschnitt (16,6), in der Folge glichen sich die Raten allerdings an.
54 Länder der Auswertung gelten als einkommensstark, darunter auch Österreich. In dieser Staatengruppe gab es zu Beginn des Vergleichszeitraumes eine relativ hohe Suizidrate von 12,7 Fällen pro 100.000 Einwohner, sie sank im weiteren Verlauf allerdings beträchtlich. Im Coronajahr 2021 wurden nur noch 8,6 Fälle registriert - 32,1 Prozent weniger. In Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen sank der Wert von 7,9 auf 5,7 im gleichen Zeitraum. Das ist ein Rückgang von 27,3 Prozent. Es kann allerdings unterschiedliche Definitionen von Suizid in den Ländern geben, was die Statistiken verzerren könne, erläutern die Forscher.
Gleiches gilt für die gesellschaftliche Einstellung, diese zu melden. Stigmatisierung, religiöse Verbote und Kriminalisierung könnten gerade in Ländern mit vergleichsweise niedrigen bis mittleren Einkommen dazu führen, dass die Werte zu niedrig ausfallen, heißt es in der Studie. Zugleich aber steigen in diesen Ländern mit wachsendem Entwicklungsstand die Suizidraten. Die Forscher weisen auf Analysen hin, dass dies unter anderem auf die schnelle Urbanisierung zurückzuführen sei.
Prognose bis 2050
Das Forschungsteam wagte eine Prognose der künftigen Suizidrate für die untersuchten 102 Länder: Den Berechnungen zufolge könnte diese weiter langsam auf bis zu 6,5 Fälle je 100.000 Einwohner bis zum Jahr 2050 sinken. Aber die Wissenschafter stellen in ihrer Studie heraus, dass es in bestimmten Ländern und innerhalb bestimmter Gruppen weiterhin eher Suizidtote geben könne. "Diese Ergebnisse legen daher nahe, dass wirksamere Strategien und Maßnahmen zur Senkung der Suizidsterblichkeit notwendig sind" - und zwar als kollektive weltweite Anstrengung.
Statistiker Leerhoff bewertet die Auswertung als "solide" und die Prognosemethodik als anerkannt. "Solche langfristigen Prognosen bergen jedoch naturgemäß Unsicherheiten, da sie unvorhersehbare Entwicklungen wie Wirtschaftskrisen, Pandemien oder gesellschaftliche Umbrüche nicht einbeziehen können", schränkte er ein.
Professionelle Hilfe suchen
Die nun festgestellte langfristig positive Entwicklung dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, "dass die Zahlen weiterhin zu hoch sind", wird Lasse Sander von der Universität Freiburg vom SMC zitiert. Pro Jahr sterben mehr als 700.000 Menschen weltweit an Suizid. Die allermeisten Suizidversuche würden im Rahmen von vorübergehenden oder behandelbaren Krisensituationen stattfinden. "Wenn Sie an Suizidgedanken leiden, kann Ihnen professionell geholfen werden", betonte Sander. Mache man sich diesbezüglich Sorgen um einen Menschen, "ist es hilfreich diese Person konkret auf mögliche Suizidgedanken anzusprechen und bei der Inanspruchnahme professioneller Hilfsangebote zu unterstützen", so der Forscher.
(S E R V I C E - Die Publikation online: https://doi.org/10.1038/s44220-025-00474-8; Download des Berichts "Suizid und Suizidprävention in Österreich 2024": https://jasmin.goeg.at/id/eprint/3822/;
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.)
Zusammenfassung
- Die Suizidraten sind laut einer internationalen Studie zwischen 1990 und 2021 in 102 Ländern durchschnittlich um 29,9 Prozent gesunken.
- In Österreich sank die Suizidrate von rund 20 pro 100.000 Einwohner im Jahr 1990 auf etwa 8,5 im Jahr 2021 und liegt damit im europäischen Durchschnitt.
- Als Ursachen für den Rückgang werden bessere psychiatrische Versorgung, Präventionsprogramme und die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen genannt.
- Weltweit sterben trotzdem jährlich mehr als 700.000 Menschen durch Suizid, wobei die Rate bei Männern deutlich höher ist als bei Frauen.
- Bis 2050 könnte die Suizidrate in den untersuchten Ländern auf etwa 6,5 Fälle pro 100.000 Einwohner weiter sinken, doch Experten warnen vor Unsicherheiten bei langfristigen Prognosen.