SOS-Kinderdorf kündigt nach Vorwürfen Evaluierung an
Die Vorwürfe, die auf die Jahre 2008 bis 2020 zurückgehen, wurden in einer Studie festgehalten, die SOS-Kinderdorf selbst in Auftrag gegeben hatte. Die Ergebnisse wurden aber bis heute nicht veröffentlicht. Der "Falter" zitiert aus der Studie, dass ein Pädagoge etwa Nacktfotos von Kindern auf seinem privaten Laptop hatte. Eine Kinderdorf-Mutter soll ein Mädchen drei Jahre lang jede Nacht in einem Zimmer eingesperrt haben, Kinder sollen mit Essens- und Wasserentzug bestraft worden sein. Beim Duschen beobachtete die Pädagogin die Kinder, "um heimliches Saufen zu verhindern", zitiert der "Falter" aus der Studie.
Die wehrlosen Minderjährigen sollen demnach auch gebissen und geschlagen worden sein. Ein Kinderdorf-Leiter soll über die Vorgänge informiert gewesen sein, diese auch dokumentiert haben. Doch statt den Minderjährigen zu helfen, war er ihnen gegenüber laut der Studie selbst gewalttätig.
SOS-Kinderdorf wies am Mittwoch erneut Vorwürfe zurück, dass man die Vorfälle unter den Teppich gekehrt habe: "Nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2020 wurde eine umfassende Bearbeitung eingeleitet." Man habe sich von Führungskräften getrennt und die Vorwürfe "mit Hilfe externer Unterstützung umfassend aufgearbeitet". Am Standort habe es 2020 einen Aufnahmestopp gegeben, der im Dezember 2020 offiziell wieder aufgehoben worden sei.
Dass Fehler passiert seien, stehe "außer Frage": "Das Leid, das die jungen Menschen in der Betreuung von SOS-Kinderdorf erfahren haben, macht uns tief betroffen und wir wollen uns aufrichtig dafür entschuldigen." Einige Betroffene hätten Opferschutzverfahren durchlaufen und "Entschädigungszahlungen sowie die Finanzierung von Therapieeinheiten" zuerkannt bekommen.
Außerdem wurden weitere Schritte angekündigt: "Der Aufsichtsrat wird zeitnah eine externe Evaluierung der Aufarbeitungsprozesse zur Sicherstellung der institutionellen Verantwortung beauftragen", hieß es von SOS-Kinderdorf. Dabei soll überprüft werden, ob die nach Bekanntwerden der Vorwürfe gesetzten Maßnahmen auch gegriffen haben. Weiters heißt es von der Institution: "Alle Betroffenen, denen durch SOS-Kinderdorf Unrecht widerfahren ist, können sich bei den externen unabhängigen Ombudsstellen melden", auch über eine Whistleblowing-Plattform von SOS-Kinderdorf könnten Fehlverhalten oder Missstände gemeldet werden.
Ermittlungen eingestellt
Im Jahr 2020 hatte es Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegeben - gegen einen ehemaligen Leiter des SOS-Kinderdorfs Moosburg und eine weitere Person. Vorgeworfen wurden Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses während eines Aufenthalts in einem Ferienlager in Italien. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden aber eingestellt, sagte Behördensprecher Markus Kitz auf APA-Anfrage: Die Bilder von den badenden Kindern fielen nicht unter den entsprechenden Paragraphen 207a des Strafgesetzbuches.
Ein Nachspiel hatte die Causa aber für die Person, die den Heimleiter angezeigt hatte. Dieser erstattete noch 2020 Anzeige wegen Verleumdung. Das Landesgericht Klagenfurt fällte in erster Instanz einen Schuldspruch. Das Urteil wurde aber vom Oberlandesgericht Graz aufgehoben, ein Freispruch war die Folge.
Behörde verfügte Aufnahmestopp
Die zuständigen Abteilungen des Landes Kärnten seien vom SOS-Kinderdorf erst im Jahr 2020 über die Vorwürfe in Kenntnis gesetzt worden, hieß es am Mittwoch auf APA-Anfrage von der Kinder- und Jugendhilfe Kärnten. Damals habe es geheißen, es sei durch den damaligen Kinderdorfleiter "zu Meldeversäumnissen hinsichtlich Vorwürfen gegenüber einem Mitarbeiter" gekommen. Diese Vorwürfe umfassten die angesprochenen Fotos von nackten Kindern, die auf dem privaten Laptop des Mitarbeiters gespeichert waren. Dieser Mitarbeiter sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr beim SOS-Kinderdorf tätig gewesen. Danach wurden die Vorwürfe gegenüber dem damaligen Kinderdorfleiter bekannt, weiters "inadäquate pädagogische Handlungsweisen von einzelnen Mitarbeiter:innen" und "Defizite in der Umsetzung von Vorgaben und Standards".
Der Vorwurf, dass die Behörden ihrer Verantwortung nicht nachgekommen sind, wird von der Kinder- und Jugendhilfe "entschieden zurückgewiesen". Direkt nach der Prüfung wurde im Mai 2020 ein Aufnahmestopp verfügt, was allen Bezirksverwaltungsbehörden in Kärnten mitgeteilt worden sei. Weiters wurde eine mehrtägige "Fachaufsicht" durchgeführt, um die zu diesem Zeitpunkt betreuten Kinder und Jugendlichen zu schützen.
Studie liegt noch nicht vor
Zu den Kontrollen im SOS-Kinderdorf Moosburg wird ausgeführt, dass diese "Fachaufsichten" mindestens einmal jährlich durchgeführt würden. Dabei werde eine Checkliste abgearbeitet, die etwa den Bereich Personal untersucht (Anzahl, Betreuungsschlüssel, Qualifikation, Strafregisternachweis, Fortbildungen, Dienstpläne), weiters werden kinder- und jugendlichenbezogene Erhebungen durchgeführt (Dauer der Unterbringung, Diagnosen, Medikation, Elternarbeit, Freizeitaktivitäten, besondere Vorkommnisse) sowie die Einrichtung allgemein wird beurteilt (Konzept, Partizipation, Prävention, Krisenpläne, Ausstattung, Ordnung, Hygiene). Dabei werde auch mit den untergebrachten Kindern und Jugendlichen ohne dem Beisein von Betreuern gesprochen.
Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe sei vom Land Kärnten eine "externe Evaluierung des SOS-Kinderdorf Kärnten mit Fokus auf den Standort in Moosburg" in Auftrag gegeben worden. Die Angebote am Standort wurden verändert: "Die Betreuung erfolgt in Wohngruppen und Kleingruppen. Das Modell der Kinderdorfmutter besteht in der ursprünglichen Form nicht mehr." In den familienähnlich geführten Gruppen wurden auch "zusätzlich fachlich gut qualifizierte Mitarbeiter:innen" eingesetzt. Die vom "Falter" zitierte Studie lag der Kinder- und Jugendhilfe am Mittwoch übrigens immer noch nicht vor: "Eine Übermittlung der Studie wurde angefordert", hieß es.
"Lückenlose Aufarbeitung" gefordert
Reaktionen aus der Kärntner Landespolitik blieben nicht aus: "Die öffentlich gewordenen Enthüllungen über systematische Misshandlungen im SOS-Kinderdorf Moosburg sind zutiefst verstörend und moralisch in höchstem Maße verwerflich", reagierte Team Kärnten-Chef Gerhard Köfer, es brauche nun "nicht nur eine lückenlose strafrechtliche Aufarbeitung, sondern auch die schonungslose Aufklärung institutioneller und behördlicher Versäumnisse".
Die stellvertretende NEOS-Landessprecherin Iris Glanzer sagte, die Vorwürfe rund um das SOS-Kinderdorf würden sie zutiefst erschüttern: "Jeder einzelne Hinweis auf Missbrauch muss mit größter Ernsthaftigkeit behandelt und lückenlos aufgeklärt werden." Und Grünen-Landessprecherin Olga Voglauer fordert eine "umfassende Aufklärung und Aufarbeitung", noch immer werde "kollektiv weggeschaut". Sie sieht auch das Land Kärnten in der Pflicht.
Die Vorwürfe gegen Mitarbeiter des SOS-Kinderdorf in Moosburg "sind erschütternd und machen mich tief betroffen", reagierte Kärntens FPÖ-Parteiobmann Erwin Angerer. Er kritisierte auch die Behörden: "Spätestens seit 2020 waren die Missstände dem Land bekannt, doch die Öffentlichkeit wurde systematisch im Dunkeln gelassen."
(S E R V I C E - Link zur Ombudsstelle: https://go.apa.at/k6m02AMK )
Zusammenfassung
- Nach schweren Misshandlungsvorwürfen gegen das SOS-Kinderdorf Moosburg, die sich auf die Jahre 2008 bis 2020 beziehen, kündigte die Organisation eine externe Evaluierung ihrer Aufarbeitungsprozesse an.
- Laut einer bisher unveröffentlichten internen Studie wurden Kinder und Jugendliche in Moosburg misshandelt, eingesperrt, nackt fotografiert und mit Essens- sowie Wasserentzug bestraft.
- SOS-Kinderdorf betont, seit Bekanntwerden der Vorwürfe 2020 Maßnahmen wie einen Aufnahmestopp, die Trennung von Führungskräften und die Unterstützung Betroffener durch Entschädigungszahlungen und Therapien gesetzt zu haben.
- Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt stellte die 2020 aufgenommenen Ermittlungen gegen einen ehemaligen Leiter und eine weitere Person ein, da die Bilder nicht unter §207a StGB fielen.
- Politiker und Behörden fordern eine lückenlose Aufklärung, während das Kinderdorf und die Kinder- und Jugendhilfe Kärnten institutionelle und behördliche Versäumnisse zurückweisen.