Ultrareligiöse Camps
Ferienlager: Eltern sollten "nicht naiv sein" und hinschauen
Immer wieder melden sich Eltern bei der Bundesstelle für Sektenfragen, weil ihre Kinder von Schulfreund:innen auf ein Ferienlager mit religiösem Hintergrund eingeladen werden, sagt die Leiterin der Bundesstelle, Ulrike Schiesser.
Diese seien im besten Fall "solide" und würden "weltanschaulich unproblematische Sachen" propagieren. "Es kann aber auch sein, dass das ganze Camp letztendlich der Indoktrinierung dient."
Bei einem Beispiel aus dem fundamentalistisch-christlichen Bereich mussten die Kinder einen Schwur als "Soldat Gottes" ablegen und wurden dazu angehalten, nach dem Camp unter Gleichaltrigen zu missionieren - beispielsweise bei Schulkolleg:innen.
"Manchmal sind Eltern schon sehr naiv"
Wenn das eigene Kind auf ein Ferienlager mit augenscheinlich religiösem Hintergrund eingeladen wird, sollte man hellhörig werden. "Nicht naiv sein, sondern wirklich genau hinschauen", warnt Schiesser.
"Manchmal sind Eltern schon sehr naiv", berichtet die Leiterin der Bundesstelle von ihren Erfahrungen. "Da ist die beste Freundin dabei und das kostet nicht viel. Wird sicher lustig", so das Denken mancher arglosen Eltern.
Camps mit fragwürdigem religiösem Hintergrund seien laut Schiesser häufig günstiger, auch weil ehrenamtliche Mitarbeiter:innen aus dem Umfeld der Glaubensgemeinschaft die Betreuung übernehmen. Verbindliche Standards gibt es nicht, wie die Bundesstelle für Sektenfragen in ihrem aktuellen Bericht kritisiert.
Bei jedem Feuerwehrfest müsse man "rennen, was die ganzen Genehmigungen betrifft", zieht Schiesser einen Vergleich zu Sommercamps. "Wenn man etwas mit Kindern macht, muss man das nicht." Prinzipiell könne sich jeder mit seinen besten Freunden zusammenschließen und sagen: "Passt wunderbar, im Stadl am Bauernhof stellen wir ein paar Betten auf und wir bieten das an."
Tipps für Eltern
Dementsprechend schwierig ist die Ausgangssituation für Eltern, die im Sommer eine Betreuung für ihre Kinder suchen. Damit ihre Kinder im Ferienlager gut aufgehoben sind, sollte sie insbesondere bei Angeboten mit religiösem Zusammenhang genau hinschauen und den Anbietern "auf den Zahn fühlen", so Schiesser. Worauf im Vorfeld geachtet werden sollte:
- Die Gemeinschaft anschauen: So genau wie möglich prüfen, was es mit der Gruppierung auf sich hat. Wenn es sich um eine Kirche handelt, können Eltern zum Beispiel vorab einen Gottesdienst besuchen. Im Zweifelsfall können sich Eltern auch an die Bundesstelle für Sektenfragen wenden, dort werden sowohl Betroffene als auch Angehörige beraten.
- Mit den Organisator:innen sprechen: Als Elternteil kann man auch mit den Anbietern Kontakt aufnehmen und ganz direkt ansprechen: Was wird da inhaltlich passieren? Sind die Werte der Gruppe Teil dieses Camps? Wird da jeden Tag gebetet?
- Eigenen Ansichten reflektieren: Kann ich damit leben, dass mein Kind völlig für die jeweilige Religion entbrennt und zum Beispiel jeden Sonntag in die Kirche gehen möchte? Diese Frage sollten sich Eltern laut Schiesser bei allen "ideologisch gefärbten Angeboten" stellen - etwa Waldorfschulen, die ein bestimmtes pädagogisches Konzept verfolgen. Kinder werden dadurch mitgeprägt. "Wenn das innerhalb des eigenen ideologischen Rahmens ist, dann ganz wunderbar. Aber da nicht naiv zu sein."
- Das pädagogische Ziel hinterfragen: Viele Gruppierungen haben ihre pädagogischen Konzepte seit Jahrzehnten nicht geändert. Dementsprechend passen diese oftmals nicht zum heutigen Verständnis vom Umgang mit Kindern. "Und irgendwann geht sich das nimmer aus. Was in den 60er-Jahren mal super funktioniert hat, passt halt jetzt nicht mehr."
- Die Einbindung der Kinder prüfen: "Das ist etwas, das man in Österreich noch viel zu wenig mitdenkt: dass Kinder und Jugendliche das Recht zur Mitsprache haben", erklärt Schiesser. "Immer, wenn es um ihre Belange geht, haben sie auch ein Recht, mitzusprechen." In diesem Zusammenhang könnte man auch fragen, inwieweit Kinder und Jugendliche bei der Erstellung des Programms für das Ferienlager beteiligt waren und ob Feedback von den Kindern eingeholt wird.
- Frage nach der Erreichbarkeit: Wie werde ich darüber verständigt, was mit meinem Kind passiert? Wie kann sich mein Kind bei mir melden? Teils wird Kindern explizit verboten, mit ihren Eltern Kontakt aufzunehmen.
- Schutzkonzepte anschauen: Wie werden die Kinder vor sexualisierter Gewalt geschützt, sei es untereinander oder seitens der Betreuer:innen? Wie wird umgegangen mit Mobbing? Welche grundlegenden Sicherheitsvorkehrungen gibt es?
Man dürfe nicht alle Anbieter über einen Kamm scheren, aber "es finden sich halt in diesem Topf durchaus auch problematische". Genau beziffern lässt sich die Zahl der Sommercamps nicht, neben Qualitätsstandards fehlt auch eine Meldepflicht.
Im Vorjahr meldete die Bundesstelle für Sektenfragen im Falle eines Ferienlagers auch eine Kindeswohlgefährdung. Dabei hat sich gezeigt, dass es auch für die Kinder- und Jugendhilfe "nicht einfach ist, in so ein Camp reinzugehen".
Gefährdungen sind oft subtiler Natur, das reicht vom Vermitteln fragwürdiger religiöser Ansichten, sehr strikten Regeln bis hin zu Kindern, die ihre Eltern nicht kontaktieren dürfen. Auch den Kinder- und Jugendanwaltschaften seien in diesem Zusammenhang "ein Stück weit die Hände gebunden", erklärt Schiesser.
Keine verpflichtenden Standards, keine Schutzkonzepte
Aktuell gibt es keinerlei österreichweite Standards, was Ferienlager betrifft. Betreiber:innen müssen ihre Camps bei keiner Behörde anzeigen, auch ein Kinderschutzkonzept braucht es nicht.
Grundsätzlich kann jede Person ein Ferienlager eröffnen und dort Kinder betreuen. Von ihren Mitarbeiter:innen müssen die Camp-Chef:innen weder einen Strafregisterauszug, noch eine Strafregisterbescheinigung der Kinder- und Jugendhilfe verlangen.
Forderungen für Feriencamps
- Einführung verbindlicher Standards: Demnach soll es in Zukunft eine Anzeige- und Bewilligungspflicht geben. Damit einher gehen auch verbindliche Qualitätsstandards für die Betreuung, pädagogische Konzepte, Sicherheitsvorkehrungen und ein geeignetes Notfallmanagement.
- Einhaltung von Kinderschutzrichtlinien: Betreuer:innen in Ferienlagern sollen künftig jährlich eine Strafregisterbescheinigung und die spezielle Strafregisterbescheinigung der Kinder- und Jugendführsorge vorlegen müssen. Außerdem sollen Schutzkonzepte und Präventivmaßnahmen vorgelegt werden müssen.
- Regelmäßige Schulung und Qualifizierung des Betreuungspersonals: Für die Betreuer:innen soll es verpflichtende Schulungen zu Themen wie Kinderrechten, Kinderschutz, Deeskalation und nicht zuletzt Erste Hilfe geben.
- Evaluierung und ein Meldesystem: Es soll unabhängige Qualitätskontrollen und Zertifizierungsmaßnahmen sowie eine Selbstevaluation der Trägerorganisationen geben. Für Eltern und Kinder, aber auch für Betreuer:innen, soll es anonyme und niederschwellige Beschwerdemöglichkeiten geben.
- Einheitliche Definition: Damit all diese Forderungen umgesetzt werden, braucht es nicht zuletzt eine österreichweit einheitliche Definition von Ferienlagern. Eine solche gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
Zwar haben viele große Anbieter Kinderschutzkonzepte, eine Pflicht dazu besteht allerdings nicht. "Diese Situation zeigt die Lücken in der aktuellen Gesetzeslage auf und macht den Bedarf nach rechtlichen Regelungen und Schutzstandards deutlich", so die Kinder- und Jugendanwaltschaften in einem Positionspapier.
Die Anwaltschaften und die Bundesstelle für Sektenfragen haben Empfehlungen erarbeitet (siehe Infobox), die sicherstellen sollen, dass Eltern ihren Nachwuchs bedenkenlos in Sommercamps geben können. Diese reichen von der Einführung verbindlicher Qualitätsstandards für die Betreuung und pädagogische Konzepte bis hin zu grundlegenden Sicherheitsvorkehrungen und Erste-Hilfe-Kursen.
Noch müssen Eltern allerdings auf ihre Intuition und ihre eigenen Nachforschungen vertrauen, wenn es um die Sommerbetreuung ihrer Kinder geht.
Zusammenfassung
- In Österreich gibt es keine verbindlichen Qualitätsstandards oder Meldepflichten für Ferienlager, was Eltern bei der Auswahl vor Herausforderungen stellt.
- Die Bundesstelle für Sektenfragen warnt vor religiösen Ferienlagern, die zur Indoktrinierung von Kindern genutzt werden können, und berichtet von Fällen, in denen Kinder nach dem Camp missionieren sollten.
- Camps mit fundamentalistischem Hintergrund sind oft günstiger, weil sie meist von Ehrenamtlichen aus Glaubensgemeinschaften betreut werden.
- Eltern sollen Ferienlagerangebote genau prüfen, insbesondere bei religiösen oder ideologisch gefärbten Inhalten, und unter anderem auf Schutzkonzepte achten.
- Ein Überblick, worauf Eltern dabei genau achten sollten.