Neue Eskalation
Suweida, Drusen, Israel: Was passiert gerade in Syrien?
Seit Tagen kommt es zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der drusischen Minderheit und der sunnitischen Beduinen im Süden Syriens.
Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sei die Zahl der Todesopfer aufgrund der tagelangen Gewalt auf 360 gestiegen. Unabhängig überprüfen lässt sich die Zahl nicht.
Die Regierung in Damaskus teilte mit, gemäß einer neuen Waffenruhevereinbarung alle militärischen Einsätze sofort einzustellen.
Was ist passiert?
Auslöser der neuen Gewaltausbrüche soll ein Raubüberfall gewesen sein. Sunnitische Beduinen raubten einen Drusen bei einem Kontrollpunkt in der Stadt Suweida aus. Es kam zu weiteren Auseinandersetzungen.
Die syrische Regierung schaltete sich mit Soldaten ein, um die Stadt unter Kontrolle des Staates zu bringen. Suweida befindet sich seit einigen Monaten außerhalb der staatlichen Kontrolle.
Die Drusen sehen das aber anders: Sie werfen der islamistischen Regierung in Damaskus vor, gezielt gegen Angehörige ihrer Religionsgemeinschaft vorzugehen, um ihnen ihr Mitspracherecht zu verwehren.
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Zuletzt gab es auch Berichte darüber, dass Einheiten des syrischen Staates und mit ihnen verbündete Kämpfer in Suweida 19 drusische Zivilisten exekutiert haben, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Wer sind die Drusen?
In Syrien lebten vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg etwa 700.000 Drusen, die meisten von ihnen in der Provinz Suweida. Die im 11. Jahrhundert aus dem Islam hervorgegangene religiöse Minderheit macht etwa drei Prozent der syrischen Bevölkerung aus. Drusen leben auch im Libanon, in Israel und auf den Golanhöhen.
Unter Muslimen ist umstritten, ob Drusen zum Islam gehören. Sie beziehen sich in ihrem Glauben auf eigene Schriften, aber auch griechische Philosophen beeinflussten ihre Lehre.
Die Mehrheit der Drusen lebt in Dörfern auf dem Land und in den Bergen Syriens, des Libanons und Israels.
Angst vor Massakern und Verfolgung
Zwischen Beduinen und Drusen in Suweida gibt es schon seit langem Auseinandersetzungen, die immer wieder in Gewalt münden. Im April und Mai waren bei Gefechten zwischen Anhängern der neuen islamistischen Regierung in Damaskus und der religiösen Minderheit der Drusen in Syrien dutzende Menschen getötet worden.
Seit dem Sturz des langjährigen Herrschers Bashar al-Assad durch die Dschihadisten besteht Sorge um die Rechte und die Sicherheit von Minderheiten in dem Land. Machthaber Ahmed al-Scharaa will die vielen Milizen im Land in die staatlichen Sicherheitskräfte integrieren.
Die drusische Miliz, ähnlich der kurdischen Miliz im Norden Syriens, sind aber misstrauisch und fordern ein föderales System. Sie glauben nicht, dass sie politische Mitsprache erhalten würden und fürchten Unterdrückung.
Syriens Machthaber selbst Dschihadisten-Chef
Immerhin waren sie als religiöse und ethnische Minderheiten jahrelang Ziel blutiger Verfolgung durch sunnitische Dschihadisten. Vor allem vor dem Hintergrund, dass dschihadistische Kämpfer der Regierung bei einem Massaker im Frühjahr über tausend Angehörige der alawitischen Minderheit töteten, sehen sie sich bedroht.
Syriens Machthaber Ahmed Al-Scharaa war als Abu Muhammad al-Jolani selbst Anführer der Dschihadisten-Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS), die vergangenen Dezember in einem beispiellosen Vorstoß das syrische Kernland eroberte und Diktator Assad in die Flucht trieb.
Davor leitete Jolani die Al-Nusra-Front, den Ableger von al-Qaida in Syrien, die zusammen mit anderen Dschihadisten-Milizen zu HTS fusionierte.
Warum griff Israel ein?
Israel sieht sich als Schutzmacht der Drusen. Israel selbst ist Heimat einer drusischen Minderheit, die auch in der israelischen Armee Wehrdienst leisten müssen - im Gegensatz zu den muslimischen Arabern und Christen im Land.
Israels Militär griff in der Region nach eigenen Angaben mehrere Panzer an. Die Kampffahrzeuge hätten sich auf die Stadt Suweida zubewegt, der Angriff sollte das verhindern, teilte das israelische Militär später mit. Die Präsenz derartiger Waffensysteme im Süden Syriens könne "eine Bedrohung für den Staat Israel darstellen", hieß es.
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Der drusische Scheich Hikmat al-Hijri, der auch als Architekt des Widerstands gegen Damaskus gilt und ein einflussreicher Führer in Suweida ist, hatte Israel um Hilfe gebeten.
Am Mittwoch bombardierte Israel dann das Verteidigungsministerium und Ziele beim Präsidentenpalast in Syrien.
Mittwochabend erhielt die syrische Regierung indirekte Unterstützung durch die USA. Sie forderten Israel nämlich auf, keine weiteren syrischen Truppen in der Provinz Suweida anzugreifen.
Israel kündigte aber an, weiter syrische Truppen beschießen zu wollen. "Es droht ein syrisch-israelischer Konflikt", meint etwa Nahost-Experte Thomas Schmidinger.
Die Mehrheit der in Syrien lebenden Drusen seien zwar nicht "pro-Israel eingestellt", meint Schmidinger, jedoch könnten diese aufgrund von Verzweiflung die Hilfe Israels annehmen.
Die Sicherheit Israels sieht Schmidinger nicht bedroht, aber "insgesamt ergibt sich eine explosive Mischung über die Region".
Zusammenfassung
- Tagelang gab es Gewalt zwischen syrischen Regierungstruppen und der religiösen Minderheit der Drusen.
- Nun einigte man sich laut Damaskus auf eine Waffenruhe. Gleichzeitig mischte Israel an der Seite der Drusen mit.
- Den Ursprung nahmen die neuen Gewaltausbrüche in einem Raubüberfall. Sunnitische Beduinen raubten einen Drusen bei einem Kontrollpunkt in der Stadt Suweida aus. Es kam zu weiteren Auseinandersetzungen.
- Die neuerlichen Kämpfe heizten auch den Konflikt mit dem benachbarten Israel neu an.
- Israel sieht sich als Schutzmacht der Drusen und flog Angriffe auf die syrische Armee.