Kinderkrebs-Heilungschancen: "Wir können noch besser werden"
Tomazou, interimistische wissenschaftliche Co-Direktorin der St. Anna Kinderkrebsforschung in Wien-Alsergrund, forscht mit einem hochdotierten "Consolidator Grant" des Europäischen Forschungsrates (ERC) zum Beispiel an der Verbesserung der Behandlung von Ewing-Sarkomen. Bei diesen kindlichen Knochen- und Weichteiltumoren sind die Überlebensraten relativ niedrig und die Behandlung hat sich seit Jahrzehnten wenig verbessert, was sich auch durch den Förderpreis ändern soll. Rund zwei Mio. Euro ist dieser schwer - zwei weitere ERC-Grants gingen in den vergangenen Jahren an das Forschungszentrum.
Derartige im Wettbewerb eingeworbene Gelder zeichnen für rund 40 Prozent des zwischen 15 und 17 Mio. Euro pro Jahr liegenden Budgets verantwortlich, ungefähr 60 Prozent kommen aus Spenden oder Verlassenschaften. "Wir sind von der Unterstützung der Bevölkerung abhängig", eine Basisfinanzierung durch die öffentliche Hand gebe es nicht, sagte Managing Director Jörg Börger. Auch Partnerschaften mit Unternehmen werden immer wichtiger. Die Teuerung und Rezession der vergangenen Jahre drücke die Spenden- und Sponsoringbereitschaft allerdings da und dort mitunter. "Es ist ein hartes Business" und Forschung auf hohem Niveau zu betreiben, sei "nicht ganz günstig".
Sie zahle sich aber allemal aus, sagte die Institutsleiterin und Ärztliche Direktorin im unmittelbar angebundenen St. Anna Kinderspital, Caroline Hutter. Man könne heutzutage oft mit gutem Gefühl zu betroffenen Familien sagen: "Ihr Kind wird wieder gesund." In Kombination mit dem Krankenhaus würden sich die komplexen Fragen von der Grundlagenforschung über daraus entwickelte Methoden der Diagnostik bis ans Krankenbett in Form von neuen, zielgerichteteren und im besten Fall schonenderen Behandlungen bearbeiten lassen, erklärte Hutter.
Forschende und KI finden 1 Krebszelle unter 1.000.000
Zu einem Mit-Helfer sind inzwischen auch Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) geworden. So hat beispielsweise das Team um Michael Dworzak in den vergangenen Jahren in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen von der Technischen Universität (TU) Wien das Aufspüren von Leukämiezellen im Blut oder Knochenmark nach Beginn der Behandlung einer der häufigsten Krebsarten bei Kindern - der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) - nochmals verfeinert. Das Wissen über die Anzahl der verbleibenden Krebszellen nach ihrer Dezimierung durch Chemo- bzw. neuerdings auch Immuntherapien oder einer Stammzelltransplantation ist entscheidend.
Eine solche Zelle unter 100.000 oder gar einer Million in einer Probe kann das Team mit Algorithmen und einem Software-Prototyp aus einem früheren Projekt namens "Autoflow" mittlerweile aufspüren. So lässt sich einschätzen, ob und wie gut die Therapien bei den jungen Patienten anschlagen - und ganz entscheidend: Ob die heute in über 95 Prozent der Fälle heilbare, heimtückische Krankheit sich in den Jahren nach Behandlung anschickt, wieder zurückzukommen.
"KI erstellt keinen Befund!"
Die KI-Systeme dienen zur Unterstützung der Forschungsgruppe, die in rund 15 Proben pro Tag aus ganz Österreich nach Anzeichen für ALL oder die noch schwieriger zu diagnostizierende und zu behandelnde akute myeloische Leukämie (AML) sucht. "Die KI wird bei uns keinen Befund erstellen!", betonte Dworzak. Sie ist "mit unserem Wissen gespeist" und hilft beim Durchsehen unglaublich vieler Diagramme, auf denen es die gefährlichen Zellen zu erkennen gilt. Die in Wien entwickelten Methoden werden inzwischen in Italien oder Deutschland angewendet. Die Gruppe unterhält viele Kontakte zu Forschenden und Klinikern in Südamerika oder China. 40 Labore weltweit wurden oder werden von der St. Anna Kinderkrebsforschung auf die neuen Systeme trainiert.
Damit die Algorithmen aber breiter eingesetzt werden können, müssen sie den aufwendigen und teuren Prozess der Zulassung als "Medizinprodukt" durchlaufen. Dworzak: "Wir sind jetzt in den Mühen der Ebene" und auf Partnersuche im Medizintechnik-Sektor.
Suche nach Strategien gegen Langerhans-Zell-Histiozytose
Gerade im Bereich der Kinderkrebsforschung hat man es oft mit Krankheiten zu tun, die äußerst selten vorkommen. Das macht die Therapieentwicklung für viele Unternehmen aus wirtschaftlicher Sicht wenig attraktiv. Hier springen Institutionen wie CCRI ein. So etwa bei der sogenannten "Langerhans-Zell-Histiozytose" (LCH). Nur rund drei bis fünf Kinder unter einer Million kämpfen mit der komplexen Erkrankung, die von lediglich einer einzigen Genmutation ausgelöst wird. Die Symptome reichen von tumorartigen Schädigungen in mehreren Organen über umfassende Entzündungen bis zu einer fortschreitenden Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit, die sich oft erst rund zehn bis 15 Jahre nach dem Höhepunkt der Symptome meist bei Unter-Zweijährigen richtig bemerkbar macht.
Ein Team um Caroline Hutter und Raphaela Schwentner hat es kürzlich mit einer einflussreichen Studie auf das Titelblatt der ebenso einflussreichen Fachzeitschrift "Blood" gebracht. Man konnte LCH in einem aufwendigen Prozess sozusagen im Labor nachbauen und zeigen, wie die mutierten Zellen gesunde Nervenzellen regelrecht attackieren, erklärte Schwentner. Dieses "Modell" der Erkrankung gibt den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern jetzt neue Möglichkeiten, um eine dringend benötigte Therapie zu finden, "die alle mutierten Zellen auslöscht" und den betroffenen Kindern und Jugendlichen hoffentlich die an Alzheimer erinnernden Folgen erspart.
Neues System hilft bei Finden von Niedrig- oder Hochrisikopatienten
Ein paar Türen weiter im 2009 eröffneten und laut Hutter mittlerweile schon etwas zu kleinen Institutsgebäude arbeitet Simon Gutwein aus der Forschungsgruppe von Sabine Taschner-Mandl an einem anderen Zugang, um Diagnostik und Therapieplanung bei Neuroblastomen zu verbessern. Diese entstehen vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern und sind die häufigsten soliden Tumore im Kindesalter, die außerhalb des Gehirns auftreten. Nach derart veränderten Zellen suchen Expertinnen und Experten in sogenannten "Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung-Bildern".
In Proben finden sich aber bis zu eine Million Zellen, die - je nach Grad der Entartung - unter Bestrahlung etwas anders aufleuchten. All diese Bilder "kann sich augenscheinlich kein Mensch mehr vollständig anschauen", erklärte der KI-Spezialist und -Forscher. Ob es sich um einen Niedrig- oder Hochrisikopatienten handelt, schätzen bisher drei unabhängige Expertinnen und Experten anhand der Analyse von mehreren hundert Zellen auf den Bildern ein. Die von Gutwein entwickelte KI kann diese "langwierige, aber wichtige Aufgabe" unterstützen und in wenigen Sekundenbruchteilen eine Vorauswahl verdächtiger Zellen treffen, die dann von Medizinern weiter analysiert wird. Es gehe also hier nicht "um das Ersetzen von Menschen" durch KI-Anwendungen, sondern um das Abkürzen und Verbessern der diagnostischen Abläufe im Sinne der kleinen Patientinnen und Patienten.
(S E R V I C E - https://ccri.at/)
Zusammenfassung
- In Österreich erkranken jährlich rund 200 Kinder und etwa 120 Jugendliche an Krebs, wobei die Heilungschancen mittlerweile bei etwa 80 Prozent liegen.
- Das St. Anna Kinderkrebsforschungsinstitut finanziert sich zu rund 40 Prozent aus Forschungsgeldern und zu etwa 60 Prozent aus Spenden und Verlassenschaften bei einem Jahresbudget von 15 bis 17 Millionen Euro.
- Künstliche Intelligenz hilft, einzelne Krebszellen unter einer Million zu erkennen und unterstützt die Diagnostik sowie Therapieplanung bei akuter lymphatischer Leukämie (ALL) und Neuroblastomen.
- Forschungsprojekte wie der ERC-Consolidator Grant in Höhe von rund zwei Millionen Euro fördern gezielt die Entwicklung neuer Therapien für seltene und schwer behandelbare Krebsarten wie Ewing-Sarkome und Langerhans-Zell-Histiozytose.
- Weltweit sind 40 Labore auf die in Wien entwickelten KI-Systeme trainiert, während die Finanzierung durch Spenden und Sponsoring angesichts steigender Kosten zunehmend herausfordernd wird.