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Kenias Hunger-Sekte soll nach Festnahmen weiter aktiv sein

Heute, 08:45 · Lesedauer 4 min

Gelbes Flatterband sperrt ein Dutzend Lehmhäuser im abgelegenen kenianischen Dorf Binzaro ab. Ein paar Gewänder liegen darin herum, auch ein selbst gebauter Babystuhl ist zu sehen. Rund um diese Häuser fand die Polizei in den vergangenen Monaten 34 Leichen. Und sie hat einen schrecklichen Verdacht: Sie könnten weitere Opfer der Hunger-Sekte sein, durch die vor Jahren fast 450 Menschen zu Tode kamen. Der Anführer des Kults wurde schon vor zweieinhalb Jahren verhaftet.

Bei ihm handelt es sich um den selbsternannten Priester Paul Nthenge Mackenzie. Seit Sommer 2024 müssen er und Dutzende Mitangeklagte sich wegen Mordes, Totschlags, Folter und Kindesmisshandlung vor Gericht verantworten. Doch die Sekte existiert offenbar weiter.

Mackenzie brachte seine Anhänger den Ermittlungen zufolge dazu, sich zu Tode zu hungern. Dann würden sie im Jenseits "Jesus begegnen". Im Wald von Shakahola, gleich hinter den Traumstränden Kenias, entdeckten die Ermittler 2023 in Massengräbern 448 Tote. Die meisten waren verhungert, einige, darunter auch Kinder, waren jedoch erwürgt, erschlagen oder erstickt worden. Mackenzie, ein früherer Taxifahrer, und seine Helfer sorgten dafür, dass niemand den Wald lebend verließ.

Nachdem der Sektenführer und seine Schergen hinter Gittern waren, wähnten die Behörden die Gefahr gebannt. Doch dann stießen Polizisten im Juli in Binzaro - 30 Kilometer von Shakahola entfernt - auf weitere Leichen und verstreute Körperteile in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Auf der holprigen Straße dorthin weicht die üppige, grüne Vegetation rotbrauner Erde und ausgedörrtem Gestrüpp. Selten verirrt sich jemand in den Weiler, in dem es einen einzigen Laden und kein fließendes Wasser gibt.

"Es sind so, so viele Gräber", sagt Victor Kaudo. Er leitet das Menschenrechtszentrum der Gemeinde Malindi und war bei der Bergung der Toten dabei. Im Gegensatz zu den tiefen Massengräbern in Shakahola "haben sie diesmal die Leichen unter Bäumen begraben und die Gräber dann mit Blättern und Dornen bedeckt, sodass es sehr schwierig war, an sie heranzukommen", sagt er. Aber Hyänen buddelten die Toten aus. "Deshalb waren so viele Knochen verstreut", erklärt Kaudo.

Grabungen eingestellt: "Leichenhalle ist jetzt voll"

Die Opfer starben der Polizei zufolge zu verschiedenen Zeitpunkten. Kaudo ist überzeugt, dass die Todesfälle 2023 begannen, als die Sekte in Shakahola zerschlagen wurde. "Diese Leute machten längst weiter, doch die Regierung wollte davon nichts wissen", sagt er. Kaudo glaubt, dass noch nicht alle Opfer in Binzaro gefunden wurden. Die Grabungen seien nur eingestellt worden, weil "die Leichenhalle jetzt voll ist".

Die Polizei nahm elf Menschen in Binzaro fest, von denen mindestens vier zu Mackenzies Shakahola-Gemeinschaft gehörten und Kinder hatten, die dort starben, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht, die der Nachrichtenagentur AFP vorliegen.

Die mutmaßliche Anführerin der Binzaro-Gruppe, Sharleen Temba Anido, zeigte keinerlei Regung, als sie vergangene Woche zusammen mit drei weiteren Verdächtigen in Malindi vor Gericht erschien. Der Richter gewährte der Staatsanwaltschaft weitere 60 Tage für die Untersuchungen. Die Ermittler vermuten, dass Anido eine Basis in Malindi hatte, von der aus die Anhänger mitten in der Nacht mit Motorrädern nach Binzaro gebracht wurden. "Sie kamen in kleinen Gruppen, wer hineinging, kam nicht wieder heraus", sagt der Kriminalpolizist Robert Kiinge.

Kritik von Menschenrechtlern

Ein weiterer mit dem Fall befasster Beamter, der anonym bleiben möchte, bestätigt, dass Anido Teil der Shakahola-Sekte war. Es gebe weiterhin ein "großes Netzwerk" radikalisierter Anhänger und "wir vermuten, dass sie noch immer miteinander kommunizieren".

Menschenrechtler Kaudo kritisiert, dass Politiker keine strengeren Regeln für Religionsgemeinschaften erlassen, die eine einflussreiche Rolle in der kenianischen Politik spielen. "Sie denken einfach, die Mehrheit der Kenianer sind Christen - wenn wir die Kirchen regulieren, wer wird dann für uns stimmen?", sagt er. Ohne ein Programm zur Deradikalisierung werde sich der Kreislauf des Todes fortsetzen, fürchtet Kaudo. "Es kann niemals aufhören. Und es wird auch nicht aufhören."

Zusammenfassung
  • In Binzaro, Kenia, wurden rund um abgesperrte Lehmhäuser 34 Leichen entdeckt, die vermutlich der weiterhin aktiven Hunger-Sekte um Paul Nthenge Mackenzie zum Opfer fielen.
  • Bereits 2023 waren im nahegelegenen Shakahola-Wald 448 Tote in Massengräbern gefunden worden, wobei die meisten verhungerten und einige gewaltsam ums Leben kamen.
  • Nach der Festnahme von Mackenzie und seinen Helfern wurden in Binzaro elf Verdächtige festgenommen, während Menschenrechtler mangelnde Regulierung von Sekten und eine Fortsetzung des Kreislaufs von Gewalt kritisieren.