Impfen für Erwachsene wichtig, aber nicht einfach genug
"Wir haben einen sehr guten Impfplan, der ausführlich und wissenschaftlich fundiert ist", sagte Birgit Weinberger vom Institut für Biomedizinische Alternsforschung der Universität Innsbruck. In der gut 250 Seiten starken aktuellen Version seien auch sehr detaillierte und umfassende Impfempfehlungen für Erwachsene der verschiedenen Alters-, Risiko- und Berufsgruppen. "Daran scheitert es also nicht", erklärte sie: "Es scheitert eher an der Umsetzung."
"Die Durchimpfungsraten sind in Österreich im europäischen Vergleich nämlich eher bescheiden", so Weinberger. Bei der Influenza ("echte Grippe") empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beispielsweise eine Impfrate von drei Viertel Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren, hierzulande ist aber kaum mehr als ein Fünftel dagegen immunisiert.
Man mache den Menschen das Geimpft-Werden nicht immer einfach. "Momentan ist es oft so, dass man zunächst den Arzt oder die Ärztin besuchen und ein Rezept holen muss", sagte Maria Paulke-Korinek von der Abteilung für Impfwesen im Gesundheitsministerium: "Damit geht man in die Apotheke, um den Impfstoff zu holen, und dann irgendwann wieder zum Arzt." Es gäbe "einige Diskussionen, wie man dies einfacher und niederschwelliger gestalten kann".
Sobald der Arzt und die zu impfende Person sich einig sind, dass eine Impfung sinnvoll ist, "müsste eigentlich spätestens zwei Minuten später die Nadel im Arm stecken", meinte Weinberger: "Wenn dazwischen noch drei Wege und zwei Terminvereinbarungen stecken, ist es aussichtslos (eine hohe Durchimpfungsrate zu erreichen, Anm.)". Es wäre demnach "ein ganz zentraler Punkt, solche logistischen Hürden abzubauen", so die Medizinerin. Die diesjährige Influenza-Impfung ist übrigens erneut ohne Umweg über die Apotheke direkt beim niedergelassenen Arzt, in Impfzentren oder bei Betriebsärzten erhältlich, Termine sollten ab sofort vereinbart werden, hatte es am Dienstag bei einer vom Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) organisierten Pressekonferenz geheißen.
Folgen wie Delir, Demenz, Herzinfarkt, Schlaganfall vermeidbar
Impfungen schützen Erwachsene nicht nur vor akuten Infektionen wie Influenza und Covid, sondern auch vor den weitreichenden möglichen Folgen, berichtete Weinberger. Vor allem bei älteren Menschen gäbe es daraufhin vermehrt Krankenhausaufenthalte und Todesfälle. "Wir sehen aber auch ein erhöhtes Risiko für Delir und dass eine Demenz einsetzt oder sich verschlechtert." Auch Herzinfarkte und Schlaganfälle treten während solcher Krankheiten oder in den darauf folgenden Wochen vermehrt auf. Bei Menschen mit chronischen Erkrankungen etwa am Herz oder der Lunge verschlechtere sich wiederum der Zustand oft im Zuge der Infektionen. "Bei etwa zehn Prozent der Betroffenen über 60 Jahren gibt es einen dramatischen Funktionsverlust, der bei vielen den Unterschied ausmacht zwischen selbstständig leben und Pflegebedürftigkeit", sagte sie: "Das ist natürlich für die einzelnen Menschen sehr relevant, aber auch für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem."
"Derzeit sind bekanntermaßen alle Mittel knapp, und deshalb muss man sich wirklich ganz genau überlegen, wo man sie am effektivsten einsetzt, um möglichst viele Krankheits- und Todesfälle zu vermeiden", sagte Paulke-Korinek. Laut Modellberechnungen, die das Gesundheitsministerium mit der Technischen Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien und Gesundheit Österreich durchführte, wäre mit Abstand am meisten "Benefit" (Nutzen) durch eine Impfung gegen Covid zu erreichen. "Diese Krankheit verursacht immer noch die meisten Hospitalisierungen", also Krankenhausaufenthalte, erklärte sie: "Jene sind immer noch eine extreme Belastung für das Gesundheitssystem und die Betroffenen."
An zweiter Stelle reiht sich die Influenza-Impfung ein: Die "echte Grippe" erzeuge nämlich eine extrem große Krankheitslast in der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, so die Expertin: "Es ist übrigens gerade Impfsaison sowohl gegen Covid wie auch Influenza." Drittens könne man gemäß der Studie mit Immunisierungen gegen Pneumokokken viele Todesfälle vermeiden und viertens viele Krankenstandstage mit Gürtelrose-Impfungen. Die Expertentagung wurde vom internationalen "Adult Immunization Board (Impfausschuss für Erwachsene)" organisiert.
(S E R V I C E - Link zum Impfplan: https://go.apa.at/AZm6BCMG - Link zum Adult Immunization Board - https://www.adultimmunizationboard.org/)
Zusammenfassung
- In Österreich sind laut WHO-Empfehlung 75 Prozent der über 65-Jährigen gegen Influenza zu impfen, tatsächlich sind es aber kaum mehr als 20 Prozent.
- Impfungen schützen Erwachsene nicht nur vor akuten Infektionen, sondern auch vor schweren Folgeerkrankungen wie Delir, Demenz, Herzinfarkt und Schlaganfall, insbesondere bei älteren und chronisch kranken Menschen.
- Als Hauptgrund für die niedrigen Durchimpfungsraten gelten komplizierte Impfprozesse mit mehreren Arztbesuchen und Terminvereinbarungen, weshalb Experten fordern, logistische Hürden dringend abzubauen.