Freispruch für Mutter nach Tod der schwerkranken Tochter

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Weil sie sich nicht ausreichend um ihre schwerkranke und seit mehreren Jahren bettlägerige Tochter gekümmert haben soll, hat sich am Freitag eine 81 Jahre alte Frau wegen gröblicher Vernachlässigung mit Todesfolge am Wiener Landesgericht verantworten müssen. Die bisher unbescholtene Pensionistin wurde am Ende "eindeutig" freigesprochen, wie der vorsitzende Richter ausdrücklich betonte: "Sie haben nichts falsch gemacht." Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig.

Ein Schöffensenat (Vorsitz: Andreas Böhm) kam zum Schluss, dass die seit vielen Jahren an multipler Sklerose leidende Tochter bis zu ihrem Tod klar bei Verstand und nur in körperlicher Hinsicht eingeschränkt war. "Sie hat sich bewusst entschieden, sich nicht behandeln zu lassen und zuhause zu sterben", stellte der vorsitzende Richter fest. Das sei "nach österreichischem Recht zu akzeptieren", die Mutter habe kein strafbares Verhalten gesetzt. Der Richter entschuldigte sich sogar bei der 81-Jährigen, "dass Sie sich das (die Gerichtsverhandlung, Anm.) auch noch antun haben müssen". Staatsanwalt Michael Radasticz, der unter dem Eindruck des Beweisverfahrens von der Anklage abgerückt war und in seinem Schlussplädoyer um ein "gesetzeskonformes Vorgehen" ersucht hatte, akzeptierte den Freispruch umgehend.

Die zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alte Tochter war am 15. August 2021 in ihrer Wohnung in Meidling gestorben. Bei ihrem Ableben wog sie bei einer Größe von 1,67 Meter 25 Kilogramm. Die Leiche wies Aufliegegeschwüre am Rücken und am Gesäß und einem Gutachten des Gerichtsmediziners Nikolaus Klupp zufolge Merkmale einer "höchstgradigen" Unterernährung auf. Als unmittelbare Todesursache wurde eine eitrige Luftröhren- und Lungenentzündung festgestellt, wobei laut Klupp ein kausaler Zusammenhang zwischen Pflegemängeln und Todeseintritt gegeben war.

Die 81-Jährige, der in der Anklage unterstellt wurde, ihre Tochter nicht ausreichend ernährt und nicht der erforderlichen ärztlichen Behandlung bzw. Pflegebetreuung zugeführt zu haben, und ihr Verteidiger Mathias Burger ließen die gegen die Mutter gerichteten Vorwürfe nicht gelten. Die Pensionistin schilderte, wie sie Ende 2020 in die Wohnung ihrer Tochter zog, um sich um diese zu kümmern, nachdem 2014 ihr Ehemann während einer Operation gestorben war und einige Zeit später ihr Sohn einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Der Umzug wurde notwendig, weil der Lebensgefährte der Tochter, der sie bis dahin betreut hatte, plötzlich starb.

"Ich hab' alles getan, was ich konnte", gab die zierliche, klein gewachsene und auf einen Gehstock angewiesene Angeklagte zu Protokoll, die von den Kindern ihres Bruders zur Verhandlung begleitet wurde. Sie habe ihre Tochter gewaschen, die Pflaster und Verbände gewechselt und sich um das Essen gekümmert: "Ich hab' das gemacht, so gut ich konnte. Ich hab' ihr zugeredet, dass eine Krankenschwester das besser könnte als ich. Das wollte sie nicht. Ich hab' ihr zugeredet, dass sie essen soll, weil sie wieder gesund werden soll. Ich hab' mich als Mutter so bemüht, das wieder hinzukriegen."

Zu Beginn hätten sie privat organisierte Helferinnen bei der Pflege und Versorgung unterstützt. Corona- und lockdownbedingt sei sie dann aber weitgehend auf sich allein gestellt gewesen. Ihr sei bewusst gewesen, dass ihre Tochter immer schwächer wurde und aufgrund einer Schluck-Störung - eine Folge ihrer Erkrankung - kaum mehr aß. Sie habe sie "angefleht, zu einem Arzt zu gehen. Sie wollte nicht. Sie hat mir untersagt, einen zu rufen. Sie hat gesagt, sie will in der Wohnung sterben." Sie habe auf eine professionelle Pflege gedrängt, betonte die Angeklagte: "Meine Tochter wollte das nicht." Diese habe ihr vielmehr gedroht, sie werde den Kontakt abbrechen, sollte sie in einem Spital landen, erklärte die Mutter.

Am Tag ihres Todes hatte die 81-Jährige ihren Angaben nach um 6.00 Uhr in der Früh nach der Tochter gesehen. Sie sei wach im Bett gelegen und habe sie um eine Zigarette gebeten, stellte die Mutter fest. Die habe ihre Tochter "in Ruhe" geraucht: "Dann ist sie einfach so da gelegen. Dann habe ich gespürt, dass sie weg ist und verschwindet." Sie habe den Kopf der Tochter in den Arm genommen und ihren Neffen angerufen, als sie kein Lebenszeichen mehr wahrnahm. Der von diesem verständigte Rettungsdienst stellte kurze Zeit später den Tod der 52-Jährigen fest.

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  • Die bisher unbescholtene Pensionistin wurde am Ende "eindeutig" freigesprochen, wie der vorsitzende Richter ausdrücklich betonte: "Sie haben nichts falsch gemacht."

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