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Forscher knackten Ortscode von Zellen nachwachsender Glieder

Heute, 15:01 · Lesedauer 4 min

Der Axolotl gilt als Regenerationswunder, wachsen dieser Lurchart doch verlorene Körperteile nach. Damit an der richtigen Stelle wieder die richtige Struktur entsteht, müssen Zellen ihre Position im Körper genau kennen. Wiener Forscher haben nun das Positionsgedächtnis von Zellen nachwachsender Gliedmaßen entdeckt - und konnten diese "Erinnerung" sogar ändern, berichten sie im Fachjournal "Nature". Sie sprechen von einem "wichtigen Durchbruch in der Regenerationsforschung".

Ein mexikanischer Axolotl kann innerhalb weniger Monate eine verlorene Extremität nachbilden. "Die große Frage dabei ist, wie eine Zelle weiß, wo sie sich im nachwachsenden Körperteil befindet und ob sie etwa eine kleinen Finger oder einen Daumen formen soll", erklärte die Leiterin des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien, Elly Tanaka. Diese Positionsinformation sei lange ein "Heiliger Gral in der Regenerationsforschung" gewesen, ihr Team habe nun aber die molekulare Landkarte gefunden, die Zellen anweist, welchen Teil des Körpers sie regenerieren sollen, erklärte die Forscherin in einem die Publikation begleitenden Video.

Bereits in früheren Studien konnte Tanakas Team die entscheidende Rolle von zwei Molekülen bei der Regeneration zeigen: Stammzellen auf der vorderen Seite der Extremität - wo der Daumen sitzt - bilden das Signalmolekül FGF8 (Fibroblasten-Wachstumsfaktor 8), Stammzellen auf der hinteren Seite - wo der kleine Finger sitzt - produzieren das Molekül Shh (Sonic hedgehog). Beide Signale verstärken sich gegenseitig und weisen den Zellen den Weg, wie sie die sich regenerierende Gliedmaße formen sollen. Unklar war bisher allerdings, wer dafür sorgt, dass die beiden Signalmoleküle zur richtigen Zeit am richtigen Ort gebildet werden.

Durch Fortschritte bei der Erforschung des sehr großen und komplexen Genoms des Axolotls fanden die Forscherinnen und Forscher um Erstautor Leo Otsuki Hunderte Faktoren, deren Muster sich bereits vor einer Verletzung in der vorderen und hinteren Hälfte der Extremität unterschieden. Unter diesen erregte ein Protein besonders die Aufmerksamkeit der Wissenschafter: "Das Molekül 'Hand2' fungiert als einer der Hauptregulatoren und teilt dem sich regenerierenden Gewebe mit, wo es diese beiden Signalmoleküle FGF8 und Shh bilden soll", so Otsuki.

"Hand2" als Orientierungshilfe

Indem "Hand2" nur auf der hinteren Seite der Gliedmaße, der Seite des kleinen Fingers, gebildet wird und auf der Seite des Daumens überhaupt nicht, fungiert dieses Molekül als Orientierungshilfe. Bei einer Verletzung erhöhen die Zellen auf der Kleinen-Finger-Seite die Produktion von "Hand2", wodurch in bestimmten Zellen die Shh-Herstellung hochgefahren wird. Zellen in der Nähe der Shh-Quelle produzieren dann Zellen aus dem hinteren Teil der Extremität, Zellen, die weit von dem Shh-Signal entfernt sind, regenerieren sich als Zellen aus dem vorderen Teil.

Sobald die Extremität vollständig wieder hergestellt ist, wird die Shh-Produktion eingestellt, die "Hand2"-Produktion bleibt aber auf einem niedrigen Niveau erhalten. Das ermöglicht ein stabiles Positionsgedächtnis der Zellen für die nächste Regeneration nach einem etwaigen Verlust einer Extremität.

Positionsgedächtnis umprogrammiert

Nach Angaben der Forscherinnen und Forscher ist das ein "wichtiger Durchbruch im Bereich der Regenerationsforschung". Denn es erlaubt ihnen, das Positionsgedächtnis umzuprogrammieren und damit die Identität von Zellen zu wechseln: Als sie Zellen von der Daumenseite in die Seite des kleinen Fingers verpflanzten, verhielten sich diese unter dem Einfluss des Shh-Signals wie die Zellen des kleinen Fingers. "Wir konnten also eine Daumen-Zelle dazu bringen, die Zelle eines kleinen Fingers zu formen", so Tanaka.

Die Möglichkeit, die Identität von Zellen zu kontrollieren und zu verändern, birgt Otsuki zufolge enormes Potenzial für die Nachzüchtung von Gewebe im Labor (Tissue Engineering) und regenerative Therapien. Als Beispiel nennt der Forscher winzige Organmodelle (Organoide) zur Untersuchung von Entwicklungs- und Erkrankungsprozessen.

Hoffnung auf nachwachsende Gliedmaßen bei Säugern

Dass die Gliedmaßen-Regeneration beim Axolotl auf den Hand2-Shh-Signalweg angewiesen ist, sei auch vielversprechend für die Regenerationsmedizin. Schließlich würden dieselben Gene auch beim Menschen vorkommen. "Sollte ein ähnliches Positionsgedächtnis in menschlichen Gliedmaßen vorhanden sein, könnten wir diese Signale eines Tages nutzen, um neue Regenerationsfähigkeiten in Gang zu setzen", so Tanaka. Sie ist optimistisch, dass "Hand2" zusammen mit anderen Erkenntnissen aus dem Axolotl-Modell es irgendwann ermöglicht, "Gliedmaßen bei Säugetieren nachwachsen zu lassen".

(SERVICE - Internet: https://www.nature.com/articles/s41586-025-09036-5)

Zusammenfassung
  • Wiener Forscher haben das Positionsgedächtnis von Zellen beim Axolotl entschlüsselt und in der Fachzeitschrift 'Nature' als Durchbruch in der Regenerationsforschung vorgestellt.
  • Das Protein 'Hand2' fungiert als Hauptregulator, indem es auf der kleinen Fingerseite die Produktion des Signalmoleküls Shh steuert und damit die Identität der regenerierenden Zellen festlegt.
  • Durch gezielte Umprogrammierung konnten die Wissenschaftler zeigen, dass aus Daumen-Zellen kleine Finger werden, was neue Perspektiven für Tissue Engineering und regenerative Therapien eröffnet.