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Flusspferde als Indikator für Klimawandel-Folgen in Malawi

Heute, 04:01 · Lesedauer 6 min

"Wir glauben, dass es heuer schlimm wird mit den Katastrophen. Wir haben schon die Flusspferde gesehen", sagt Francis Zuze und sieht sorgenvoll in den blauen Himmel. "Auch viele Ameisen kommen aus dem Boden." Die Flusspferde sind nicht nur Afrikas gefährlichste Säugetiere, schließlich fallen ihnen die meisten Menschen zum Opfer. Sie sind auch gute natürliche Indikatoren für kommende Flutkatastrophen - und das wissen die Bäuerinnen und Bauern im Bezirk Nsanje im Süden Malawis.

Zum indigenen Wissen in dem südostafrikanischen Land gehört auch, dass Ameisen und Mangos weitere solche Zeichen sind. Wenn die Mangobäume besonders viele Früchte tragen, müssen die Menschen mit schlimmen Hochwassern in der Regenzeit rechnen, ebenso, wenn sie die Hippos und die Ameisen sehen. Zuze macht sich schon von Amts wegen Sorgen: Er ist im Dorf Mabundungu Vorsitzender des Katastrophenrisiko-Managements.

Der Süden Malawis ist seit vielen Jahren praktisch in der Dauerkrise: "Wenn wir keine Fluten haben, haben wir Dürre", umreißt Earnest Kapukha, Direktor für Planung und Entwicklung in der Bezirksverwaltung von Nsanje, die beiden negativen Gegenpole. Dazu kommen Zyklone aus dem Indischen Ozean, von denen seit einigen Jahren auch Malawi schwer getroffen wird. Obwohl der Binnenstaat doch schon relativ weit im Inneren des afrikanischen Kontinents liegt und Mosambik quasi ein Puffer zum Meer ist.

Doch seit 2019, als der Zyklon "Idai" vor allem Mosambik schwer verwüstete, haben es die Menschen in der Region fast jedes Jahr mit tödlichen Wirbelstürmen zu tun. 2022 war es "Ana", 2023 "Freddy", an den sich die Menschen in Nsanje nach wie vor mit Schaudern erinnern, und letzte Saison folgte "Jude". "'Freddy' war der Schlimmste", resümiert Kapukha.

Problem Abholzung

Die Auswirkungen von Zyklonen und Hochwasser wurden in den vergangenen Jahren durch die permanent wiederkehrenden Dürreperioden verschärft. Diese wurden durch das Klimaphänomen El Niño dann noch zusätzlich befeuert. Dazu kommt, dass die Menschen in Malawi zum eigenen Überleben gerne Holzkohle sowie Brennholz produzieren und verkaufen. Die Folge sind kilometerlange Landstriche, auf denen kaum ein Baum oder Strauch steht, wie die APA dieser Tage beispielsweise im am südlichen Ende des Malawi-Sees gelegenen Mangochi-Distrikts zu sehen bekam. Für Fluten gibt es so keinerlei Hindernis, und auch der betonharte Boden kann kein Wasser aufnehmen.

Und so wird es umso wichtiger, dass es für die Menschen ein verlässliches Katastrophenfrühwarnsystem gibt. "Der Fluss ist unser großes Problem", stellt Zuze fest. Welcher Fluss gemeint ist, lässt sich jetzt in der Trockenzeit jedoch kaum erahnen. Ein etwa 50 Meter breiter Graben, vielleicht eineinhalb Meter tiefer als das Niveau der Hütten, führt mitten durch die Siedlung. Junge Ziegen vergnügen sich im Sand, der sich auf dem Grund abgelagert hat. In einem Monat - vielleicht zwei - wird der Graben voll mit Wasser sein. Und sehr wahrscheinlich zu voll. Einen Damm gab es zwar, sogar gemauert. Seine Ruine lässt aber nur mehr erahnen, mit welcher Kraft hier die Zyklone gewütet haben. "Jude" hat die Befestigung zum Teil einfach weggerissen und der verbleibende Rest bietet dem Dorf keinerlei Schutz mehr.

Meteorologen helfen

Für das Frühwarnsystem verlassen sich die Malawierinnen und Malawier natürlich nicht nur auf Zeichen aus der Natur, ihr sogenanntes indigenes Wissen, sondern auch auf die Wissenschaft. In den Gemeinden wurden auch mit Unterstützung der Hilfsorganisation CARE Katastrophenrisikomanagement-Kommissionen gebildet, und die arbeiten vor allem mit Frühwarnprognosen der Meteorologen. So wurden unter anderem Evakuierungspläne erstellt. Klar ist aber auch, dass sie niemanden zwingen können, sein Land zu verlassen.

Damit kommt es jedes Jahr zu Rettungsaktionen mit Booten. Das ist eine nicht ungefährliche Angelegenheit, denn in den Fluten finden sich auch Flusspferde, und die zählen nicht umsonst zu den gefährlichsten Tieren in Afrika. Besonders Mütter von Jungtieren sind hochgradig aggressiv und greifen ohne Vorwarnung an. Davon können auch die Nothelfer der lokalen Katastrophenhilfe in Mabundungu erzählen, die bei einer Rettungsaktion im Boot angegriffen wurden. Das Nilpferd brachte das Wassergefährt zum Kentern: "Wir verloren Menschen", erzählen die Helfer. Nicht zuletzt deshalb hoffen sie auf mehr Wasserfahrzeuge, um im Ernstfall mehr helfen zu können: "Wenn Sie über uns schreiben, bitte teilen Sie Ihren Lesern vor allem eines mit: Wir brauchen dringend Boote!", appellieren sie an die österreichischen Journalisten.

"Seit 2008 haben wir jedes Jahr entweder Dürre oder Flut"

Dass in den malawischen Gemeinden Katastrophenrisikomanagement-Kommissionen gegründet worden sind, hat seine Gründe. "Seit 2008 haben wir jedes Jahr entweder Dürre oder Flut", sagt Zuze. Das Gremium hat nicht zuletzt deshalb einen Katastrophenplan erstellt, der Hochwasserereignisse, Dürren, Stürme bzw. Zyklone, Pflanzenkrankheiten, die massiv die Ernährungssicherheit bedrohen, und Krankheiten bzw. Seuchen umfasst - und vor allem wegen der Fluten kommt es beispielsweise immer wieder zu Choleraausbrüchen.

Trotz täglichem Überlebenskampf und Dauerkrise - an Flucht denkt niemand. Es beginnt bei den finanziellen Möglichkeiten zum Neuanfang, an denen es mangelt. Ein besonders wichtiger Punkt ist den Menschen aber auch die ideelle und wirtschaftliche Bindung an das Land, das ihnen gehört und sie ernährt. "Ich kann gar nicht weg. Mein Mann will da bleiben, er ist ein Verwandter des Dorfchefs", erzählt die Bäuerin Amie Sasten im Dorf Ndamela im Bezirk Nsanje, die sieben Kinder zwischen 28 Jahren und elf Monaten hat. Für Hilfsorganisationen wie CARE und ihre lokalen Partner geht es also um Nothilfe an Ort und Stelle: zunächst Nahrungsmittel, und dann finanzielle Unterstützung.

Ziege durch Finanzhilfe

Sasten bekam im ersten Monat 92.500 malawische Kwacha (45,75 Euro), im zweiten Monat die Hilfe für zwei Monate, also 185.000 Kwacha. Das klingt jetzt nicht nach einer großen Summe, zumal Malawi für afrikanische Verhältnisse weit davon entfernt ist, ein billiges Land zu sein. Aber Sasten konnte ihre Familie ernähren und sogar Geld in der örtlichen Spargruppe deponieren sowie eine Ziege kaufen. Die Probleme des Klimawandels sind inzwischen eine Kontante: "Das Wetter ist unvorhersehbar geworden. Wir wissen nicht, wann wir unsere Felder bepflanzen sollen", erläutert Sasten. "Früher war das anders. Wir wussten genau, wann Regen- und wann Trockenzeit ist. Und daher auch, wann wir anpflanzen mussten."

Auch Mangel- bzw. Unterernährung ist eine der Folgen, und in einem Land, das so abhängig von der Landwirtschaft ist wie Malawi, umso mehr. Hier greift das von CARE und ECHO (Europäisches Amt für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der EU) unterstützte Projekt, das nach dem Zyklon Jude im November des Vorjahres implementiert wurde und bis Juli lief. Speziell schwangere und stillende Frauen, Kinder unter fünf und Menschen mit Behinderungen standen dabei im Vordergrund und wurden mit Nahrungsmittel sowie Bargeld unterstützt. Mehr als 15.000 Haushalte mit knapp 70.000 Menschen bekamen in Südmalawi - in den Bezirken Chikwawa, Nsanje, Blantyre Rural, Thyolo, Zomba, Machinga, Balaka und Mangochi - Hilfe. Das Beispiel vom Erwerb von Sastens Ziege zeigt dabei, dass auch Nachhaltigkeit über die unmittelbare Krisenhilfe hinaus im Fokus steht.

(von Gunther Lichtenhofer/APA)

Zusammenfassung
  • Flusspferde, Ameisen und Mangos gelten in Malawi als natürliche Frühwarnzeichen für bevorstehende Flutkatastrophen, wie sie von den Bauern im Bezirk Nsanje beobachtet werden.
  • Seit 2008 sind die Gemeinden im Süden Malawis jährlich entweder von Dürren oder Überschwemmungen betroffen, verschärft durch Zyklone wie 'Freddy' und das Klimaphänomen El Niño.
  • Abholzung und die Nutzung von Brennholz haben dazu geführt, dass kilometerlange Landstriche baumlos sind und der Boden kein Wasser aufnehmen kann, was die Folgen von Fluten verstärkt.
  • Mehr als 15.000 Haushalte mit knapp 70.000 Menschen in Südmalawi erhielten nach Zyklon Jude Nahrungsmittel- und Finanzhilfe, wobei besonders gefährdete Gruppen wie Schwangere, Kinder unter fünf Jahren und Menschen mit Behinderungen unterstützt wurden.
  • Viele Bewohner bleiben trotz wiederkehrender Katastrophen in ihren Dörfern, da ihnen die finanziellen Mittel für einen Neuanfang fehlen und sie ideell sowie wirtschaftlich an ihr Land gebunden sind.