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Elfjährige Nichte in Bettlade versteckt: Prozess in Wien

Heute, 09:33 · Lesedauer 4 min

Ein Polizeieinsatz rund um die Suche einer Elfjährigen ist am Mittwoch in einem Prozess am Wiener Straflandesgericht Thema gewesen. Ein 30-Jähriger musste sich u.a. wegen Kindesentziehung verantworten, weil er seine Nichte vor den Beamten in einer Bettlade versteckt hatte. Die Verhandlung fand vor Geschworenen statt, da der Beschuldigte wegen eines Hakenkreuz-Tattoos auch wegen Wiederbetätigung angeklagt war.

Das Kind, das in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt, war immer wieder mal abgängig. So auch Anfang Jänner, was eine riesige Suchaktion auslöste. Teilweise wurde mit dem Foto der Elfjährigen auch mittels Flyer und in den Medien gesucht. Das Kind stand am Abend des 19. Jänner plötzlich vor der Wohnungstür des Onkels in Döbling und bat ihn, reinkommen zu dürfen. "Sie hat gesagt, dass sie in der Schule misshandelt wird und dass die im Heim nichts dagegen machen", so der Beschuldigte. Er habe das Kind aufgenommen, weil es ihm lieber war, sie sei bei ihm in Sicherheit, als "im Winter auf der Straße oder bei Menschen, die ihr nicht gut tun", sagte seine Anwältin Sonja Scheed. Der 30-Jährige berichtete auch, dass das Kind auch schon mit einem älteren Mann unterwegs war, der sie unter Alkohol und Drogen gesetzt und vergewaltigt haben soll.

Weil das Mädchen allerdings einer Freundin in einem Chat berichtete, dass sie sich bei ihrem Onkel aufhält, stand bald die Polizei vor der Tür. Der 30-Jährige, der ein schweres Suchtproblem mit Alkohol und Drogen hat, meinte daraufhin, dass sie gehen muss. Das Kind wollte das nicht und versteckte sich in der Lade einer Bettbank, wo sie von den Beamten rasch gefunden wurde. "Sie haben sie gewaltsam rausgezogen und dann hat sie gesagt: 'Aua, aua'", erzählte der Angeklagte. Daraufhin habe er die Polizisten beschimpft und bedroht. Laut einem Beamten, der bei dem Einsatz erheblich verletzt wurde, nahm der Beschuldigte eine Kampfposition ein und ging auf die Einsatzkräfte los. "Er hat gesagt, wir sollen das Kind nicht angreifen", so der Beamte, der am Ende die Schulter ausgekegelt und die Bizepssehne abgerissen hatte, im Zeugenstand. Die Elfjährige, die weiterhin in Betreuung der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) ist, entschlug sich der Aussage.

Der 30-Jährige, der sich beim Prozess großteils schuldig bekannte, wurde festgenommen. Ein Polizeijurist, der den Mann einvernommen hatte, entdeckte am Hals ein Hakenkreuz-Tattoo, das er sich erst kurz davor von einem Bekannten hat stechen lassen. "Ich war schwer alkoholisiert und unter Drogen", sagte er. Er hätte es anders kreieren wollen, "aber ich hatte das Pech, dass ich am nächsten Tag festgenommen wurde". Die Tätowiermaschine hatte sich der Freund über eine chinesische Online-Plattform gekauft. Mittlerweile ist die Stelle überstochen und zeigt einen Würfel.

In Arrestzelle randaliert

Später in der Arrestzelle schlug er mit der Matratze eine Lampe kaputt und mit den Scherben schnitt er dann auch eine Matratze auf. Dass er auch ein Loch in die Mauer geschlagen haben soll, bestritt er: "Das war schon." Er habe an dem Tag zwölf bis 14 Bier getrunken, eine ganze Flasche Psychopax-Tropfen und andere Suchtmittel. "Auf Benzodiazepine werde ich aggressiv", sagte der Mann.

Neben der Kindesentziehung musste sich der 30-Jährige auch wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, gefährlicher Drohung, schwerer Körperverletzung, schwerer Sachbeschädigung und wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verantworten. Mit einem Urteil wird am späten Nachmittag gerechnet. Die Geschworenen haben sich gegen 14.00 Uhr zur Beratung zurückgezogen.

Der Prozess hätte bereits im April stattfinden sollen. Aufgrund unzumutbaren Baulärms wurde er allerdings abgebrochen und Mittwoch verlegt. Aus Sicht von Vizepräsidentin Christina Salzborn, die den Prozess leitete, wäre es den Geschworenen gegenüber nicht vertretbar gewesen, die Verhandlung durchzuziehen.

Zusammenfassung
  • Ein 30-jähriger Mann musste sich am Wiener Straflandesgericht verantworten, weil er seine elfjährige Nichte, die als vermisst galt, am 19. Jänner vor der Polizei in einer Bettlade versteckte.
  • Bei dem Polizeieinsatz kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung, bei der ein Beamter eine ausgekegelte Schulter und eine abgerissene Bizepssehne erlitt, während der Angeklagte die Polizisten beschimpfte und bedrohte.
  • Zusätzlich wurde der Mann wegen eines Hakenkreuz-Tattoos am Hals, das er sich kurz vor seiner Festnahme stechen ließ, auch wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung angeklagt; das Urteil wird am späten Nachmittag erwartet.