Der Streitfall Wiener Lobautunnel
Naturschutzgebiet Lobau - Die Lobau ist Teil des Nationalparks Donau-Auen, eines rund 9.300 Hektar großen Gebiets zwischen Wien und Bratislava, dessen Gründung im Oktober 1996 im Rahmen eines 15a-Vertrag begangen wurde. Laut Informationen der Stadt Wien hat das in Obere und Untere Lobau unterteilte Gebiet eine Fläche von rund 2.300 Hektar und entspricht 24 Prozent der Gesamtfläche des Nationalparks Donau-Auen. Die Bedrohung dieses Gebiets, wie auch die befürchtete weitere Verkehrsbelastung im Kontext mit den Klimazielen, gehören zu den Hauptargumenten der Gegner des Projekts.
Wiener Nordostumfahrung - Der Lobautunnel ist als Teil der Wiener Außenringschnellstraße S1 ein Abschnitt der Wiener Nordostumfahrung und somit des "Regionenrings" um die Bundeshauptstadt. Konzipiert ist sie als vierspurige Strecke mit 19 Kilometern Länge, die Schwechat und Süßenbrunn verbinden soll. Der 8,2 Kilometer lange und rund 60 Meter tiefe Tunnel soll unter der Donau und dem Naturschutzgebiet Lobau verlaufen. Bereits seit 2006 in Betrieb ist der südöstliche Teil der S1 (vom Knoten Vösendorf nach Schwechat). Der "Regionenring", die von ihm erhoffte Verkehrsentlastung für Wien und die Anbindung des Nordostens sind Hauptargumente der Tunnel-Befürworter.
Variable Umsetzungsankündigungen von 2014 bis 2025
Bauzeit und Baukosten - Die aktuellste Schätzung der Vollkosten beläuft sich laut der "Strategische Prüfung" (SP-V) vom Februar 2025 auf 2,4 Milliarden Euro. 2018 ging die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) von 1,9 Milliarden Euro aus, sieben Jahre davor waren es 1,8 Milliarden Euro.
Sehr variabel entwickelten sich die Angaben zu Bauzeit bzw. was den Abschluss der Arbeiten betrifft: So hätte das Projekt nach ersten Plänen bereits 2014 abgeschlossen werden sollen, 2006 wurde dann von Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) auf 2015 verschoben, 2007 rief der damalige Infrastrukturminister Werner Faymann (SPÖ) die "Verkehrsplanung neu" aus mit einer Verkehrsfreigabe 2018 - Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) folgte dann etwa 2011 mit der Ansage eines Baubeginns 2018 und der Freigabe 2025.
Stadtstraße - S1-Spange - Zum Projekt Nordostumfahrung gehören auch zwei ebenso umstrittene Anschlussstraßen, nämlich die S1-Spange als 4,6 Kilometer lange Verbindung zwischen dem Knoten Raasdorf und dem Stadtteil Seestadt. Das Projekt fällt wie die Umfahrung in die Zuständigkeit des Bundes. Stadtstraße: Von der Seestadt führt eine weitere, 3,2 Kilometer lange Strecke quer durch Wien-Donaustadt, um die Südosttangente (A23, Anschlussstelle Hirschstetten) mit der S1-Spange zu verknüpfen.
Lange Wartezeit bis zur Umweltverträglichkeit
Umweltverträglichkeitsprüfung - Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für den Lobautunnel dauerte insgesamt rund neun Jahre. Projektträger Asfinag reichte das Projekt 2009 ein und ging davon aus, dass UVP und weitere Naturschutz- und Wasserrechtsverfahren 2010 abgeschlossen werden können und 2011 mit dem Bau gestartet werden kann. Bis zum ersten positiven Bescheid für den S1-Abschnitt Schwechat bis Süßenbrunn - inklusive Lobautunnel - dauerte es allerdings bis 2015. Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen reagierten mit einer Beschwerde und im Frühjahr 2018 gab das Bundesverwaltungsgericht unter Auflagen grünes Licht für den Bau.
Proteste - Auf geplante Probebohrungen der Asfinag in der Lobau reagierten im November 2006 Umweltschützer mit einer Mahnwache gegen die Wiener Nordost-Umfahrung unter dem Nationalpark. Mit ihrem Camp am Rande der Au wollen die Aktivisten die Probebohrungen der Asfinag verhindern. Die Proteste steigerten sich im Laufe der Jahre und eskalierten am 1. Februar 2022 schließlich mit der Räumung des Protestcamp bei der Seestadt Aspern. Bei der Aktion durch ein Polizei-Großaufgebot kam es zu zahlreichen Festnahmen und dem Einsatz von Pfefferspray.
Asfinag-Bauprogramm verliert den Tunnel
Asfinag-Bauprogramm - Die Asfinag ist für Planung, Bau, Betrieb und Bemautung des österreichischen Autobahn- und Schnellstraßennetzes zuständig. Im Juli 2021 kündigte das Klimaschutzministerium an, die Evaluierung des Asfinag-Bauprogramms bis Herbst an, alle Projekte wurden auf Eis gelegt. Im Dezember verkündete die damalige Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) dann den Baustopp. Nur die S1-Spange könnte errichtet werden. Scharfe Kritik kam unter anderem von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Im September 2022 wurde dann das Straßenbauprogramm ohne Tunnel von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) unterschrieben.
Bundesstraßengesetz - Die Wiener Außenringschnellstraße (S1) blieb jedoch weiterhin ein Teil des Bundesstraßengesetz (BStG 1971). Die von der damaligen Klimaschutzministerin Gewessler 2022 eingeleitete und 2025 publizierte "Strategische Prüfung Verkehr" (SP-V) zum Lobautunnel empfiehlt jedoch die Streichung aus diesem. Aus Sicht der Umweltorganisation Virus wäre - basierend auf einem Rechtsgutachten der Universität Innsbruck aus dem Jahr 2024 - der S1-Eintrag im BStG wegen EU-Rechtswidrigkeit unangewendet zu lassen. Selbige NGO berichtete Ende 2024 auch von einem noch nicht abgeschlossenen Wasserrechtsverfahren. So wurde im vergangenen März bekannt, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beim Europäischen Gerichtshof einen Antrag auf Vorabentscheidung bezüglich fehlender Rechtsgrundlagen im Bundesstraßengesetz gestellt hat. Dabei geht es um das nicht abgeschlossene Wasserrechtsverfahren.
Verkehrsminister Hanke gibt grünes Licht
Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ) gab am Donnerstag, schließlich grünes Licht für den Bau des umstrittenen Großprojekts. Die Wiener Außenring Schnellstraße gelte als das am besten geprüfte Verkehrsprojekt Österreichs. Die Trasse vom Knoten Süßenbrunn über Raasdorf bis zum Knoten Schwechat inklusive Tunnellösung sei der optimale Weg, sagte Hanke vor Journalisten.
Der Verkehrsminister betonte, dass mehr als 20 Trassenvarianten untersucht und zahlreiche Gutachten erstellt worden seien. Die Tunnellösung sei der optimale Weg, um den Anforderungen des Lebens-und Wirtschaftsraums gerecht zu werden. "Ich habe die letzten Monate genutzt, um das Projekt in allen relevanten Aspekten präzise aufzuarbeiten", sagte Hanke. Bei Berücksichtigung aller Gutachten und Stellungnahmen der Fachexpertinnen und Fachexperten werde klar: "Die S1 ist notwendig, um den Wirtschaftsstandort der gesamten Ostregion zu sichern und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Wir schaffen damit die Grundlage für bis zu 25.000 Jobs, Wohnraum für 55.000 Menschen und entlasten die Bewohnerinnen und Bewohner Wiens vom Lkw-Durchzugsverkehr", so der Verkehrsminister. "Deshalb habe ich heute entschieden, die S1 an die ASFiNAG zur Umsetzung zu übergeben."
Zusammenfassung
- Der umstrittene Lobautunnel als Teil der S1 soll nach jahrelanger Debatte und Protesten nun doch gebaut werden, nachdem Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ) 2025 grünes Licht gab.
- Das Projekt betrifft das Naturschutzgebiet Lobau, das rund 2.300 Hektar groß ist und 24 Prozent des Nationalparks Donau-Auen ausmacht.
- Die Baukosten werden aktuell auf 2,4 Milliarden Euro geschätzt, nachdem sie 2018 noch bei 1,9 Milliarden Euro lagen.
- Die Umweltverträglichkeitsprüfung dauerte etwa neun Jahre, ehe 2018 unter Auflagen ein positiver Bescheid erteilt wurde.
- Mit dem Bau sollen bis zu 25.000 Jobs geschaffen und Wohnraum für 55.000 Menschen ermöglicht werden, während die Verkehrsbelastung Wiens reduziert werden soll.