Auswirkungen nach US-Gentherapieaffäre auch in Europa
"Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat die Verweigerung der Zulassung für Elevidys empfohlen, ein Medikament zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD; Anm.). Die Agentur gab ihre Stellungnahme am 24. Juli 2025 ab", hieß es am Freitag in einer Aussendung der EMA. Der Schweizer Arzneimittelkonzern Roche, der außerhalb der USA die Gentherapie entwickelt und in der EU zur Zulassung bringen wollte, könne binnen 15 Tagen eine Überprüfung dieser Entscheidung beantragen.
"Elevidys wurde als Medikament zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie entwickelt, einer genetischen Erkrankung, die zunehmende Schwäche und Atrophie (Verschwendung) der Muskeln verursacht. Es sollte bei Kindern im Alter von drei bis sieben Jahren verwendet werden, die gehen können", schrieb die EMA.
Der Schweizer Arzneimittelkonzern widersprach am Freitag. "Wir sind enttäuscht von der negativen Meinung des CHMP, angesichts der dringenden Notwendigkeit von krankheitsmodifizierenden Therapien für Kinder in der EU, die an Duchenne leiden", wurde Levi Garraway, Leiter der medizinischen Abteilung und Chef der Entwicklungsabteilung von Roche, in einer Aussendung des Unternehmens Freitagmittag zitiert. "Mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von nur 28 Jahren ist die Stabilisierung der Krankheit ein großer Fortschritt für Personen, die mit Duchenne, ihren Familien und Betreuern leben. Wir sind zuversichtlich, was den Wert von Elevidys für gehfähige Patienten betrifft."
Die Stellungnahme des CHMP basiert auf Daten aus dem bisher größten und breitesten klinischen Programm der Gentherapie zur Behandlung der vererbten DMD. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien mehr als 900 Patienten, 760 davon noch gehfähig, mit Elevidys in klinischen Untersuchungen und unter Routinebedingungen behandelt worden. Für die EMA waren allerdings die eingereichten Daten aus den klinischen Studien über die Wirksamkeit offenbar nicht ausreichend.
So schrieb die EMA am Freitag: "Die Studie zeigte nicht, dass Elevidys nach zwölf Monaten Auswirkungen auf die Bewegungsfähigkeiten hatte. Verbesserungen bei NSAA-Werten (Skala zur Beurteilung des Zustands von Duchenne-Patienten; Anm.) wurden sowohl bei Patienten, die Elevidys erhielten, als auch bei denen, die ein Placebo erhielten, beobachtet. Der Unterschied in der Änderung der NSAA-Werte zwischen den beiden Gruppen betrug 0,65 auf einer 34-Punkte-Skala und war statistisch nicht signifikant, was bedeutet, dass dies auch Zufall sein kann. (...) Das Unternehmen präsentierte auch Daten für eine Untergruppe von Patienten, die auf Elevidys besser zu reagieren schienen; selbst in dieser Gruppe wurde jedoch die Wirksamkeit der Behandlung nicht nachgewiesen." Roche hätte eine bedingte Zulassung der Gentherapie beantragt, diese sei aber nun abgelehnt worden.
Am vergangenen Freitag hatte die US-Food and Drug Administration (FDA) die klinischen Studien zur Gentherapie von Sarepta Therapeutics zur Behandlung der Gliedergürteldystrophie ausgesetzt. "Grund dafür waren drei Todesfälle, die möglicherweise mit diesen Produkten in Zusammenhang stehen. Außerdem gab es neue Sicherheitsbedenken, wonach die Studienteilnehmer einem unangemessenen erheblichen Risiko von Erkrankungen oder Verletzungen ausgesetzt sind oder sein könnten", schrieb die ehemals mächtige, unter der Donald-Trump-Administration zuletzt aber personell stark geschwächte Arzneimittelbehörde.
Der Grund für die Maßnahme der FDA war der bereits dritte Todesfall unter einer Sarepta-Gentherapie. Laut dem US-Pharma-Informationsdienst "Fierce" ging es dabei um einen 51-jährigen Mann mit Gliedergürteldystrophie (Typ 2D/R3), der an einer Phase-I-Studie zur ersten Bestimmung der Sicherheit eines potenziellen Gentherapeutikums teilnahm. Die Infusion enthielt eine experimentelle Gentherapie mit dem Präparat SRP-9004. Der Patient starb an einem akuten Leberversagen.
In den USA 2023 zugelassen
Im Juni 2023 war eine Gentherapie von Sarepta von der US-Arzneimittelbehörde für noch gehfähige Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) zugelassen worden. Etwa ein Jahr später erhielt das Behandlungsverfahren (Elevidys) in den USA auch die Zulassung für nicht mehr gehfähige DMD-Patienten. Im Frühjahr 2025 aber schrillten bereits die Alarmglocken. Sarepta meldete den ersten Todesfall eines Elevidys-Patienten (Duchenne Muskeldystrophie) im März, einen zweiten Todesfall vor einigen Wochen im Juni 2025. Dies veranlasste das Unternehmen, die kommerzielle Anwendung der Gentherapie für nicht gehfähige DMD-Betroffene auszusetzen.
Die Ursache für diese beiden Todesfälle war ebenfalls akutes Leberversagen. Und sowohl bei der noch experimentellen Gentherapie gegen die Gliedergürtelmuskeldystrophie (dritter Todesfall) als auch bei der Gentherapie gegen die Duchenne Muskeldystrophie wird als Transportvehikel zum Einschleusen von "Reparatur-Erbgut" in den Organismus der Behandelten ein bestimmter, von Adenoviren abgeleiteter Vektor verwendet. Die FDA stellte in ihrer Mitteilung fest, dass die drei gemeldeten Todesfälle von Sarepta-Patienten "offenbar auf akutes Leberversagen bei Personen zurückzuführen sind, die mit Elevidys oder der experimentellen Gentherapie mit demselben AAVrh74-Vektortyp behandelt wurden, der auch in Elevidys verwendet wird".
Eines von 5.000 männlichen Neugeborenen betroffen
Erst auf massiven Druck der FDA hatte Sarepta schließlich einem Lieferstopp für die Gentherapie zugestimmt. Roche folgte damit für Länder außerhalb der USA, wo die DMD-Gentherapie bereits zugelassen ist. Das war in der EU ja noch nicht der Fall.
Der Schweizer Pharmakonzern Roche hatte am 24. Juni 2024 bekanntgegeben, dass man bei der EU-Arzneimittelagentur EMA einen Antrag für die Marktzulassung von Elevidys für gehfähige Duchenne-Patienten im Alter von drei bis sieben Jahren eingereicht habe. Der Antrag basiere unter anderem auf positiven Ergebnissen in der Wirksamkeitsstudie der Phase III. Roche hat im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit Sarepta aus dem Jahr 2019 den außeramerikanischen Markt für die Gentherapie übernommen.
"Duchenne ist eine seltene, genetisch bedingte Muskelschwunderkrankung, die bereits in der frühen Kindheit rasch fortschreitet. Weltweit wird etwa 1 von 5.000 Buben mit Duchenne geboren, während Duchenne bei Mädchen sehr selten ist. Jeder Duchenne-Kranke verliert die Gehfähigkeit sowie die Funktion der oberen Gliedmaßen und der Lunge sowie des Herzens", schrieb Roche vergangenes Jahr in einer Presseaussendung. In Skelettmuskeln, aber auch im Herzen oder in der Lunge wird dabei Muskelgewebe langsam durch Narben- und Fettgewebe ersetzt. Es verliert seine Funktion.
Ursache für die Duchenne-Erkrankung ist eine durch Mutationen im DMD-Gen beeinträchtigte körpereigene Bildung des Muskelproteins Dystrophin. Genau das soll die Gentherapie wieder gewährleisten. Elevidys soll eine Miniversion des Dystrophin-Gens in den Organismus der Behandelten einschleusen und so den Schaden reparieren. "Sie (die Therapie; Anm.) zielt darauf ab, die zugrunde liegende Ursache von Duchenne durch die gezielte Expression (körpereigene Produktion; Anm.) des von Elevidys produzierten verkürzten Dystrophins in Skelett-, Atem- und Herzmuskulatur zu bekämpfen. Elevidys ist eine einmalige Behandlung, die durch eine einmalige intravenöse Gabe verabreicht wird", stellte der Schweizer Konzern fest.
Zusammenfassung
- Nach drei Todesfällen durch akutes Leberversagen hat die US-Arzneimittelbehörde FDA die Auslieferung der Gentherapie Elevidys gegen Duchenne-Muskeldystrophie gestoppt.
- Das unabhängige Gutachtergremium der EU-Arzneimittelbehörde (CHMP) empfiehlt, Elevidys in der EU nicht zuzulassen, da die klinischen Studien keinen signifikanten Wirksamkeitsnachweis erbrachten.
- Mehr als 900 Patienten, davon 760 noch gehfähig, wurden bisher mit Elevidys behandelt, wobei der Unterschied in der NSAA-Skala zwischen Therapie und Placebo nur 0,65 Punkte betrug und statistisch nicht signifikant war.
- Die drei Todesfälle stehen im Zusammenhang mit dem AAVrh74-Vektor, der sowohl in Elevidys als auch in einer experimentellen Gentherapie verwendet wurde.
- Duchenne-Muskeldystrophie betrifft etwa 1 von 5.000 männlichen Neugeborenen und verkürzt die durchschnittliche Lebenserwartung der Betroffenen auf nur 28 Jahre.