Verabschiedung von SPÖ-Altbürgermeister Stingl in Graz
Am Dienstagvormittag besuchten stetig Menschen die Kirche mit der Aufbahrungshalle am Grazer Zentralfriedhof, es kamen Bürger, Politiker, Künstler und sozial engagierte Personen. Manche nahmen in stiller Andacht auf den Kirchenbänken Platz. Andere verharrten stumm vor dem Sarg und gingen dann wieder, und manche hatten feuchte Augen. Der Partezettel, der am Eingang auflag, zeigte das Dachsteinmassiv von der steirischen Ramsau aus - jene Berge, die dem passionierten Wanderer und Berggeher Stingl zusammen mit seiner 2018 verstorbenen Frau Eli so am Herzen gelegen waren. Der Text im Zettel lautete: "Wenn wir lieben und Mitgefühl gegenüber anderen entwickeln, verspüren wir automatisch inneren Frieden und Zufriedenheit." - ein Spruch des Dalai Lama. Graz hatte unter Stingl im Jahr 2002 das Weltbuddhistentreffen mit dem 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, veranstaltet.
Christian Schauer sagte im Namen der Familie, das Leben ändere sich in der Sekunde. Das gelte für die Opfer des Amoklaufes, denen die Familie Sommer-Stingl ihr Mitgefühl übermittelte, das gelte aber ebenso für die Angehörigen mit dem Tode Stingls. Das von einem Menschen Geleistete könne nicht sterben, das gelte besonders für Alfred Stingl. "Es fallen einem unzählige Geschichten ein, wie Fredi war, wie bescheiden, wie korrekt", so Schauer. Was er geleistet habe, als Politiker, als Mensch, als Papa, als Opa, der bis zuletzt sein "Tschurtscherl", einen Kiefernzapfen, als Glücksbringer bei sich hatte.
Altbundespräsident Heinz Fischer sagte, Alfred Stingl sei für ihn das Synonym für einen Politiker, der mit ganzer Kraft der Gemeinschaft gedient hatte. Dieser habe ihn gebeten, die Grabrede für seine verstorbene Ehefrau Eli zu halten. Nunmehr sei er dieser gefolgt. Stingl sei weithin anerkannt für sachliche Arbeit und politische Fairness gewesen und für ein exzellentes Verhältnis zu den Religionsvertretern. Er habe den Parteienkonsens über die Wiederrichtung der Synagoge im Jahr 2000 herstellen können. Fischer erinnerte an zahlreiche schöne Bergtouren mit ihm und den Ehefrauen Eli und Margit. Und bis zuletzt gab es Kontakt mit Stingl, der um Unterstützung von Anliegen für Pensionisten gebeten habe. Die Familie habe ein Vorbild in sich, das lebendig bleiben werde. Er habe bewiesen, dass erfolgreiche Politik ehrlich, sauber und anständig sein könne - "Er ruhe in Frieden. Danke, lieber Alfred".
"Seine Haltung würde uns so gut tun"
Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ), die zu Beginn mit ihrer Stimme kämpfte, sagte, man höre auch 20 Jahre nach Ende der Amtszeit Stingls stets nur Worte der Bewunderung. Stingl habe als Person jene Haltung widergespiegelt, die er als Amtsträger hatte - eine ausgeprägte soziale Haltung, einen kompromisslosen Einsatz für Toleranz, Frieden und Menschenrechte. Er habe breite Mehrheiten abseits von Parteilogik gesucht. Die Kulturhauptstadt 2003 hätte es ohne ihn nicht gegeben. Ihm sei wichtig gewesen, dass Graz seine soziale Leistungsfähigkeit ausgebaut habe. Eitelkeiten seien ihm fremd gewesen, seine "würdevolle asketische Erscheinung" habe seiner Sitzungsführung im Gemeinderat entsprochen. Bitten für andere konnte man ihm nicht abschlagen, denn sie hatten stets Hand und Fuß, so Kahr. Sie würde sich wünschen, dass Stingls Haltung in allen Parteien stärker gelebt würde - "es würde uns so gut tun. Wir werden dich nicht vergessen."
Peter Grabensberger, Stingls Pressesprecher, früherer Journalist und späterer Kulturamtsleiter, beschrieb die Arbeit mit Stingl, nach der der Bürgermeister spätnachts noch die Zeit mit Lesen und Bildung zubrachte. Grabensberger schilderte in liebevollen Anekdoten den Arbeitsalltag mit Stingl, der in elf Jahren der Zusammenarbeit nie ein lautes Wort geäußert hatte. Musik sei seine große Leidenschaft gewesen, denn der Vater hatte als Berufsfeuerwehrmann den kleinen Alfred zum Aufsichtsdienst in der Grazer Oper mitgenommen.
"Wie Regentropfen im Meer der Erinnerung"
Stingls Enkel Max Sommer sagte, die Trauer sei nicht einfach gewesen in den vergangenen Tagen, als die Stadt nach der Amoktat in einer Grazer Schule unter Schock stand. Aber in ruhigen Momenten würden die Erinnerungen kommen. Die Familie werde es vermissen, mit ihm in die Berge zu gehen, und auch die - für die Kinder - "elendslangen und langweiligen Erwachsenengespräche". Doch würden diese nun die Lebenshaltungen der Nachfahren prägen. Man erinnere sich "an die schönen Momente, die wie ein Regentropfen ins Meer der Erinnerungen fallen - du und Eli, ihr seid nun wieder vereint", schloss Sommer.
Stingl (geboren am 28. Mai 1939) war von 1985 bis 2003 Bürgermeister der steirischen Landeshauptstadt und galt auch nach seiner Zeit im Rathaus als wichtige Persönlichkeit. Er engagierte sich unter anderem ehrenamtlich als Sozial-Ombudsmann. Nach einer - für einen Sozialdemokraten der damaligen Zeit geradezu klassischen - Schriftsetzerlehre wurde er 1962 Landessekretär der Jungen Generation der SPÖ. 1968 holte ihn der damalige SPÖ-Bürgermeister Gustav Scherbaum in den Gemeinderat, fünf Jahre später wurde er Stadtrat für das Jugendwesen und im Jahre 1982 Vizebürgermeister.
Ab 10. Jänner 1985 war Stingl dann Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Österreichs. Mit dem legendären ÖVP-Chef Erich Edegger leitete er unter anderem eine moderne Verkehrspolitik ein. Er gehörte dem SPÖ-Bundesparteivorstand an, war Präsidiumsmitglied des "steirischen herbst" und Aufsichtsratsvorsitzender der Grazer Messe. Stingl galt über die Parteigrenzen hinweg als weitgehend beliebter und außer Streit stehender Bürgermeister. In seine Ära fielen die Verleihung des UNESCO-Weltkulturerbes für die Altstadt sowie der Wiederaufbau der 1938 von den Nazis niedergebrannten Grazer Synagoge. Auch dass das EU-Kulturhauptstadtjahr in Graz 2003 abgehalten wurde, geht auf seine Initiative und die von ÖVP-Kulturstadtrat Helmut Strobl zurück.
Zusammenfassung
- Am Dienstag nahmen zahlreiche Bürger, Politiker und Weggefährten bei einer öffentlichen Aufbahrung und dem Begräbnis Abschied vom langjährigen Grazer Bürgermeister Alfred Stingl (SPÖ), der am 29. Mai im 86. Lebensjahr verstorben war.
- Altbundespräsident Heinz Fischer und Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) würdigten in ihren Trauerreden Stingls soziales Engagement, seine politische Fairness und seine parteiübergreifende Anerkennung.
- Stingl war von 1985 bis 2003 Bürgermeister von Graz und setzte unter anderem die Wiederrichtung der 1938 zerstörten Synagoge sowie die Bewerbung zur EU-Kulturhauptstadt 2003 um.
- Auch nach seiner Amtszeit blieb Stingl als Sozial-Ombudsmann und durch ehrenamtliches Engagement eine prägende Persönlichkeit in Graz.
- Familienmitglieder und Wegbegleiter erinnerten an seine Bescheidenheit, seine Liebe zu den Bergen und seine Vorbildwirkung für politische Integrität und Menschlichkeit.