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Tadschikistan mobilisiert Armee nach Flucht aus Afghanistan

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Angesichts der anhaltenden Kämpfe in Afghanistan zwischen Sicherheitskräften und den radikalislamischen Taliban mobilisiert das Nachbarland Tadschikistan 20.000 Militärreservisten zum Schutz der Grenze. Präsident Emomali Rachmon ordnete die Einberufung am Montag an, nachdem am Sonntag mehr als 1000 afghanische Sicherheitskräfte vor heranrückenden Taliban über die Grenze geflohen waren.

Zudem besprach er telefonisch die Lage mit Verbündeten in der Region, darunter mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Dieser sicherte Rachmon nach Angaben des Kreml Unterstützung bei der Grenzsicherung zu, wenn dies nötig sein sollte. Russlands größte Auslandsmilitärbasis liegt in Tadschikistan. Dort sind unter anderem Panzer und Hubschrauber stationiert.

Nach heftigen Kämpfen zwischen der afghanischen Armee und den radikalislamischen Taliban hatten 1.037 Soldaten die Grenze überquert, "um ihr Leben zu retten", wie das tadschikische Komitee für nationale Sicherheit mitteilte. Die Taliban hätten "volle Kontrolle" über sechs Bezirke in der Provinz Badakshan im Nordosten Afghanistans erlangt.

"Unter Berücksichtigung des Prinzips guter Nachbarschaft" sowie der "Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans", sei den Soldaten der Grenzübertritt gestattet worden, hieß es in einer von der staatlichen tadschikischen Nachrichtenagentur Khovar verbreiteten Mitteilung des Sicherheitskomitees.

Der in der Provinz Badakshan stationierte Soldat Abdul Basir zeigte Verständnis für die Entscheidung von einigen seiner Kameraden, nach Tadschikistan zu fliehen. "Sie wollten sich nicht ergeben. Sie hatten um Verstärkung gebeten, aber ihr Ruf wurde ignoriert", sagte er.

Beobachter befürchten, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der NATO-Streitkräfte aus Afghanistan wieder die Macht in dem Land übernehmen könnten. Seit Wochen nimmt die Gewalt in dem Land am Hindukusch massiv zu, die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung kommen nicht voran. Die Lage verschärfte sich zusätzlich, nachdem die USA am Freitag die Übergabe ihres Haupt-Militärstützpunkts Bagram an die afghanische Armee bekanntgegeben hatten.

Im Norden des Landes erzielten die Taliban am Wochenende bedeutende Gebietsgewinne. Die Provinzen Badakshan und Takhar wurden fast vollständig von den Radikalislamisten erobert; nur noch in den Provinzhauptstädten liegt die Kontrolle bei den afghanischen Streitkräften. Berichten zufolge gelang den Taliban zudem die Einnahme von strategisch wichtigen Bezirken außerhalb der südafghanischen Großstadt Kandahar sowie in der Provinz Helmand - beides traditionell Hochburgen der Radikalislamisten.

Die Einnahme weiter Teile von Badakshan und Takhar bedeutet für die afghanischen Streitkräfte eine dramatische Niederlage von hoher symbolischer Bedeutung. Beide Provinzen galten während des blutigen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren als zentrale Bollwerke der gegen die Taliban gerichteten Nordallianz.

Im Westen Afghanistans haben Taliban nach Behördenangaben unterdessen mindestens 16 Soldaten getötet. Die Kämpfer hätten in der Nacht einen Stützpunkt in der Provinz Herat angegriffen, teilten örtliche Ratsmitglieder am Montag mit. Die Extremisten sind dort in vielen Bezirken aktiv und greifen häufiger Sicherheitskräfte an.

Zwar kündigte die afghanische Regierung eine Gegenoffensive an - ein entsprechender Einsatz werde "absolut" vorbereitet, sagte der Sicherheitsberater der Regierung in Kabul, Hamdullah Mohib, der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Der Kabuler Experte Atta Noori warnte unterdessen vor einem Verlust der Kampfmoral bei den afghanischen Soldaten. Mohib ist ein wichtiger Berater des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani.

"In fast jeden Bezirk, den die Taliban einnehmen, schicken sie ein Team aus Dorfältesten, um mit den Soldaten zu sprechen und sie zur Kapitulation zu bewegen", sagte Noori, der von einer "Notsituation für die afghanische Regierung" sprach. Die angekündigte Gegenoffensive müsse "so schnell wie möglich" erfolgen.

Trotz des rapiden Vorpreschens der Taliban hält US-Präsident Joe Biden an seiner Entscheidung fest, bis spätestens zum 11. September alle verbliebenen US-Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Ein Viertel der Bezirke im Land haben die Taliban seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai erobert.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow beklagte in Moskau eine Destabilisierung in Afghanistan wegen des Abzugs der Truppen der USA und ihrer Verbündeten. Zur Frage möglicher zusätzlicher Kontingente für eine Verstärkung der in Tadschikistan stationierten russischen Streitkräfte sagte er, dies müssten das russische Militär und der Grenzschutz entscheiden. Eine Entsendung russischer Truppen nach Afghanistan werde es aber nicht geben, betonte er.

Von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die US-geführten Truppen 2001 hatten die Taliban Afghanistan beherrscht und die Menschenrechte, vor allem die Rechte der Frauen, im Land massiv beschnitten. Die USA intervenierten an der Spitze eines NATO-Bündnisses kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan. Die Taliban-Regierung in Kabul hatte sich geweigert, gegen die Al-Kaida von Osama bin Laden, dem Drahtzieher der Anschläge in den USA, vorzugehen und wurden rasch gestürzt. Allerdings zogen sich ihre Kämpfer unter anderem ins Nachbarland Pakistan zurück und formierten sich neu.

ribbon Zusammenfassung
  • Angesichts der anhaltenden Kämpfe in Afghanistan zwischen Sicherheitskräften und den radikalislamischen Taliban mobilisiert das Nachbarland Tadschikistan 20.000 Militärreservisten zum Schutz der Grenze.
  • Die Taliban hätten "volle Kontrolle" über sechs Bezirke in der Provinz Badakshan im Nordosten Afghanistans erlangt.
  • Im Westen Afghanistans haben Taliban nach Behördenangaben unterdessen mindestens 16 Soldaten getötet.

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