Experte: Unterstützung der Palästinenser ist ein "Balance-Akt"
Mehr als zwei Millionen Menschen leben im Gaza-Streifen unter widrigen Lebensbedingungen, es mangelt vor allem an Trinkwasser und Strom. 2007 riss die islamistische Hamas die Macht über das Gebiet gewaltsam an sich, am 7. Oktober griff sie überraschend Israel an. Dieser "babarische Angriff" sei lange geplant geworden, ist sich Steven Höfner, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, im Gaza-Streifen, sicher.
Israel holte zum Gegenschlag aus: Seit Samstag überzieht das Land den Gaza-Streifen mit Luftangriffen auf Straßen und Gebäude und zieht nach der Mobilmachung von 300.000 Reservisten große Truppenverbände an der Grenze zusammen.
Mehrheit unterstützt Hamas nicht
"Ich glaube, wir müssen sehr vorsichtig sein, nicht alle Palästinenser unter Generalverdacht zu stellen", mahnt Höfner im Ö1-Frühjournal. Zwei Drittel der palästinischen Bevölkerung würden die Hamas nicht unterstützen.
Ein Drittel davon würde auch die politische Partei Fatah, die in den palästinensischen Autonomiegebieten herrscht, nicht unterstützen. Diese Menschen würden oft übersehen werden, da sie sich in den "autoritären Systemen der Fatah und der Hamas" nicht organisieren dürften. Auch im Gaza-Streifen selbst unterstütze etwa die Hälfte der Bevölkerung die Hamas nicht, wie Umfragen der Konrad-Adenauer-Stiftung ergaben.
Unterstützung der Zivilbevölkerung schwierig
Im Nahost-Konflikt gehe es jetzt auch um die Frage: "Wie kann man die Zivilbevölkerung vor einer humanitären Katastrophe bewahren, ohne gleichzeitig die de facto Regime zu unterstützten." Es sei ein Balance-Akt, vergleichbar mit der Situation in Afghanistan, wo die radikalen Taliban an der Macht sind.
Aktuell ist die finanzielle Unterstützung von Palästina seitens der EU ein Streitpunkt zwischen den Mitgliedsstaaten. Es gibt keine direkte Finanzierung der Hamas mit EU-Hilfsgeldern, ordnet Höfner im Gespräch mit "Ö1" ein. Es gäbe aber Infrastrukturprojekte im Gaza-Streifen, von denen auch Terrororganisation Hamas indirekt profitiert.
Zivilbevölkerung als "Schutzschilde"
Vor allem die Zivilbevölkerung - vor allem in dem "sehr eng bevölkerten Gebiet" rund um Gaza-Stadt - diene der Hamas als "Schutzschild", sie würde "strategisch und taktisch" genutzt, so Höfner. Auch die verschleppten Geiseln würden das israelische Heer (IDF) vor eine große Herausforderung stellen - etwa in Anbetracht der Bodenoffensive, die Israel gerade vorbereiten dürfte.
"Die Menschen befürchten, dass die Bombardierung des Grenzgebiets eine Taktik war, um verbrannte Erde zu schaffen, bevor die Panzer vorrücken", sagte Jamen Hamad. Er ist Vater von vier Kindern und mit seiner Familie aus Beit Hanun nahe der Nordgrenze des Gaza-Streifens geflohen. Explosionskrater haben dort die Straßen unpassierbar gemacht, in der Umgebung liegen Gebäude in Schutt und Asche.
Mehr als 180.000 Menschen wurden nach Einschätzung der Vereinten Nationen obdachlos.
"Man kann nicht einfach reingehen"
Eine Quelle in israelischen Sicherheitskreisen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Ziel sei es, "die andere Seite aufzuweichen und in diesem Rahmen die Menschen zur Flucht (aus bebauten Gebieten) zu bringen. Es geht auch um den Aufbau von Stärke, Strategie und Überraschung. Man kann nicht einfach reingehen."
Der israelische Militärsprecher Major Amir Dinar ging auf die Frage nach einer Bodeninvasion bisher nicht ein: "Wir greifen die Infrastruktur der Hamas an, und wir werden hart zuschlagen und weiter zuschlagen."
Zusammenfassung
- Nach dem Überraschungsangriff der islamistischen Hamas am Samstag setzte Israel zum Gegenangriff an.
- Seit Tagen wird der von der Hamas regierte Gaza-Streifen mit Luftschlägen bombardiert.
- Die Situation wird für die Zivilbevölkerung immer dramatischer.
- Sie zu schützen, aber gleichzeitig die Hamas zu schwächen, sei ein "Balance-Akt".
- Zwei Drittel der palästinischen Bevölkerung würden die Hamas nicht unterstützen.