Spanien und Portugal: Historische EU-Beitritte vor 40 Jahren
Die Erwartungen aktueller EU-Beitrittskandidaten wie Montenegro, Albanien, Nordmazedonien oder Serbien sind nämlich ähnlich wie die damaligen Hoffnungen Spaniens und Portugals. Es geht um die Absicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und nicht selten wie im Fall der Ukraine, Moldau oder Georgien auch um internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie geopolitischen Schutz.
Vor allem aber blicken die EU-Beitrittskandidaten auf den Zugang zu einem Binnenmarkt mit über 440 Millionen Menschen, Struktur- und Kohäsionsfonds sowie ausländischen Direktinvestitionen. Das taten damals natürlich auch Spanien und Portugal. Doch bei diesen beiden Ländern ging es um viel mehr. "Ihr EU-Beitritt bedeutete die endgültige Rückkehr nach Europa - politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich", erklärt der spanische Politikwissenschafter Ignacio Sánchez-Cuenca im Gespräch mit der APA.
Der EG-Beitritt war für Portugal und Spanien kein rein wirtschaftliches Projekt, sondern ein Demokratie- und Stabilitätsanker. Über Jahrzehnte waren beide Länder als Diktaturen vor allem politisch von Europa isoliert. Spaniens faschistischer Langzeit-Diktator Francisco Franco regierte das Land bis zu seinem Tod 1975 mit eiserner Hand. Erst seit 1978 ist Spanien wieder eine Demokratie. Doch der Staatsstreichversuch von Franco-treuen Militärs am 23. Februar 1981 zeigt, wie schwach und gefährdet diese Demokratie noch lange war.
In Portugal war die Lage ähnlich. Erst nach 48 Jahren endete die Salazar-Diktatur 1974 mit der Nelkenrevolution. Spanien und Portugal hatten die längsten Diktaturen Europas im 20. Jahrhundert. "Der Übergang zu Demokratien war langsam und nicht immer einfach. Doch mit ihren Beitritten zur damaligen Europäischen Gemeinschaft wurde der Demokratisierungsprozess endgültig abgeschlossen", sagt Politologe Sánchez Cuenca von der Madrider Juan Carlos III. Universität.
Der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft wirkte wie ein demokratischer Anker: Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Grundrechte wurden nicht nur politisches Ziel, sondern verbindlicher Rahmen. Und natürlich bot Europa den beiden strukturschwachen Ländern die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Aufholprozesses.
"Kaum ein Land profitierte wirtschaftlich derart von europäischen Finanzhilfen wie Spanien", erklärt der spanisch-österreichische Zeithistoriker José Manuel Sáenz Rotko von der Pontificia Comillas Universität in Madrid. Ökonomisch bedeutete der EU-Beitritt für beide Länder einen tiefgreifenden Strukturwandel. Sie öffneten ihre Märkte, modernisierten Industrie und Landwirtschaft und konnten dank der EU-Fördermittel massiv in Infrastruktur investieren.
Tiefgreifender Strukturwandel
Autobahnen, Hochgeschwindigkeitszüge, moderne Häfen und Flughäfen veränderten die Länder sichtbar. Spanien entwickelte sich von einer agrarisch geprägten Volkswirtschaft zu einem diversifizierten Industriestandort mit starken Dienstleistungs-, Tourismus- und Technologiesektoren. Das Pro-Kopf-Einkommen näherte sich schrittweise dem EU-Durchschnitt an - ein Prozess, der ohne die europäische Integration kaum denkbar gewesen wäre. "Auch deshalb gehören Spanier heuer zu den überzeugtesten Europäern überhaupt", meint Sáenz Rotko.
Mittlerweile ist Spanien vom Netto-Empfänger zum Gestalter geworden. Es handelt sich um die viertgrößte Volkswirtschaft im Euro-Raum. 2025 betrug das spanische Wirtschaftswachstum 2,9 Prozent, das portugiesische 1,9. Damit liegen beiden Länder über dem EU-Durchschnitt von 1,1 Prozent. Spanien ist in Europa Vorreiter bei der Energiewende, Klimaschutz und Gleichstellungspolitik. Geschickt nutzt Spanien seine Stellung als Brückenbauer zwischen Lateinamerika und Europa.
Der EG- oder EU-Beitritt Spaniens und Portugal führte viel schneller und stärker zu einem tiefgreifenden Transformationsprozess auf politischer wie wirtschaftlicher Ebene als das heute der Fall ist. Davon können heutige EU-Beitrittskandidaten nur träumen. Doch damals war die Europäische Gemeinschaft noch kleiner, übersichtlicher und politisch homogener. Die Beitrittsperspektiven waren klar und schnell. Damals gab es eine europäische Aufbruchsstimmung, während heuer Eurokrisen, rechtspopulistische Strömungen, Migrationskrisen und geopolitische Blockkonflikte die EU dominieren und spalten. Zudem wollte die damalige EG im Kalten Krieg Südeuropa politisch wie wirtschaftlich stabilisieren.
Auch waren die Anforderungen und die Reformlast für einen Beitritt in das Vereinte Europa bei Spanien und Portugals damals viel geringer. Aber auch die Bevölkerung nahm den EU-Beitritt anders wahr. "Für die Spanier und Portugiesen in der 1980er Jahren bedeutete er ein Ankommen im Westen. Heuer wird Integration in der EU von der Bevölkerung der aktuellen EU-Beitrittskandidaten eher als wirtschaftliche Zweckgemeinschaft und weniger identitätsstiftend wahrgenommen", meint Politologe Ignacio Sánchez-Cuenca.
(Von Manuel Meyer/APA)
Zusammenfassung
- Spanien und Portugal traten am 1. Jänner 1986 der Europäischen Gemeinschaft bei und feierten damit vor 40 Jahren ein historisches Jubiläum.
- Der Beitritt war für beide Länder nach jahrzehntelangen Diktaturen ein entscheidender Schritt zur Absicherung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftlicher Stabilität.
- Dank EU-Fördermitteln konnten Spanien und Portugal massiv in Infrastruktur wie Autobahnen, Hochgeschwindigkeitszüge und Flughäfen investieren, was einen tiefgreifenden Strukturwandel ermöglichte.
- 2025 lag das Wirtschaftswachstum Spaniens bei 2,9 Prozent und das Portugals bei 1,9 Prozent, beide damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 1,1 Prozent.
- Während der EU-Beitritt in den 1980er Jahren als identitätsstiftend empfunden wurde, sehen heutige EU-Beitrittskandidaten die Integration eher als wirtschaftliche Zweckgemeinschaft.
