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Spanien legalisiert Aufenthalt Hunderttausender Migranten

Heute, 03:02 · Lesedauer 5 min

Seit Dienstag können Hunderttausende illegal in Spanien lebende Einwanderer auf eine baldige Aufenthaltserlaubnis hoffen. Während Österreich und halb Europa in der Migrationspolitik auf Abschottung und Abschiebung setzen, sind in Spanien neue Einwanderungsbestimmungen in Kraft getreten, welche die Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für illegale Migranten deutlich verkürzen und vereinfachen. Der neue Rechtsrahmen ist vorerst auf drei Jahre festgelegt.

Bis dahin könnten nach Schätzungen Madrids rund 900.000 illegale Einwanderer von den neuen Migrationsbestimmungen profitieren. Spaniens Migrationsministerin Elma Saiz sei sich bewusst, dass die spanische Regierung mit diesen Maßnahmen gegen den Strom der sich verschärfenden Ausländerregelungen in der Europäischen Union schwimme. Sie sei aber bereit, den von Spanien eingeschlagenen Weg in Brüssel zu verteidigen.

Spanien brauche - wie die anderen EU-Länder auch - dringend Arbeitskräfte. Hintergrund dieser Maßnahmen ist neben einer humanitären Reaktion auf die Lebensbedingung der zunehmenden Zahl illegaler Migranten vor allem der hohe Bedarf an billigen Arbeitskräften und der Kampf gegen die Schattenwirtschaft, durch die dem Staat Millionen an Steuergeldern verloren gehen. Gerade in der Gastronomie, Pflege, Landwirtschaft und auf dem Bau werden Arbeitskräfte gesucht, die bereit sind, die Niedriglohnjobs zu akzeptieren.

Mit einer stark alternden Gesellschaft und niedrigen Geburtenraten braucht Spanien zudem mehr ins Sozialversicherungs- und Pensionssystem einzahlende Arbeitnehmer, was derzeit nur durch die Legalisierung Hunderttausender illegaler Migranten möglich ist. Nach Schätzungen leben derzeit bis zu 446.000 Migranten ohne eine legale Aufenthaltsgenehmigung in Spanien.

Neben vielen illegalen Einwanderern aus Lateinamerika nimmt vor allem auf den Kanarischen Inseln die Zahl afrikanischer Bootsflüchtlinge zu, die danach aufs spanische Festland weiterziehen. Allein im vergangenen Jahr erreichten auf der sogenannten "Atlantikroute" von Westafrika kommend 46.000 Flüchtlinge die Kanaren.

Integration statt Abschottung

Die neuen Einwanderungsbestimmungen setzen auf Integration statt auf Abschottung. Dabei sind einige der wichtigsten Neuregelungen der Bürokratieabbau bei den Anträgen für Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen sowie die Ausweitung der Visa-Kategorien. Illegale Einwanderer brauchen auch nicht mehr drei Jahre lang wie bisher, sondern nur noch zwei Jahre in Spanien gelebt haben, um die Anträge stellen zu können. Neben zusätzlichen Schutzregeln vor der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt von Einwanderern ohne Papiere, wurde auch der Familiennachzug erleichtert.

Familiennachzug konträr zu Österreich

Während sich Österreich und Belgien vor kurzem zu teils drastischen und sogar von den Vereinten Nationen kritisierten Einschränkungen beim Familiennachzug entschlossen, erleichtert und verkürzt Spanien für Migranten die Möglichkeit, ihre Familien nachzuholen. Angehörige eingebürgerter Einwanderer können die Verfahren von Familienzusammenführung sogar von Spanien aus durchführen. Betroffene Kinder dürfen bis 26 Jahre alt sein. Zudem erhalten Einwanderer, die ihre Aufenthaltserlaubnis verloren haben, eine zweite Chance, ihren Status wieder zu legalisieren.

Kritik von Flüchtlingsorganisationen

Trotz der Vereinfachungen für den Erhalt von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen sind viele spanische Flüchtlingsorganisationen, aber auch Caritas und die katholische Kirche der Ansicht, dass die neuen Einwanderungsbestimmungen zu kurz greifen. Für Paloma García Varela, Strategiedirektorin der Flüchtlings-NGO Red Acoge, ist die neue Regelung gar "eine verpasste Chance". "Obwohl illegale Einwanderer jetzt früher als vorher ihre Anträge stellen können, sind sie immer noch gezwungen, zwei Jahre illegal in Spanien zu leben und zu arbeiten", so García Varela im Gespräch mit der APA.

Auch wurden ihrer Meinung nach zu wenig neue Einreisewege aus den Herkunftsländern geöffnet. Die meisten Maßnahmen beträfen fast nur Migranten, die sich bereits in Spanien befänden. Die negativste Auswirkung der Neuregelung sehe sie aber mit Blick auf Asylbewerber. Laut der neuen Regeln bedeutet die Ablehnung eines Asylantrags für Zehntausende Menschen nicht nur den Verlust der Aufenthaltserlaubnis, sondern auch, dass sie zwei weitere Jahre auf die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis warten müssen, da ihre bisherige Aufenthaltsdauer nicht anerkannt wird.

"Regularisierung" einer halben Million Migranten

Die sozialistische Regierung ist sich bewusst, dass viele Einwanderergruppen keine Vorteile aus den neuen Regelungen ziehen können und ihre illegale Situation nicht gelöst wird. Deshalb bringen die Sozialisten nun im Parlament das von mehreren NGOs wie Caritas und Red Acoge 2023 angeregte Volksbegehren voran. Es geht um ein "außerordentliches Regularisierungsverfahren", mit dem bis Ende des Jahres rund 470.000 illegalen Einwanderern eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilt werden würde. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird derzeit mit den unterschiedlichen Parlamentsfraktionen ausgehandelt, berichtete am Dienstag die Tageszeitung El País.

Dieses "außerordentliches Regularisierungsverfahren" stößt allerdings beim konservativen Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo (PP) und der rechtspopulistischen Vox bisher noch auf Widerstand. Die Konservativen wollen Regularisierungsverfahren auf Einzelfallbasis und keine "Massenregularisierungen", die einen Magneteffekt auf die illegalen Migrationsströme nach Spanien haben könnten.

Flüchtlingswelle provoziert Spannungen in der Bevölkerung

Das Thema Einwanderungen ist wie in Österreich auch in Spanien hochbrisant. Die Initiative der Linksregierung, den Aufenthaltsstatus von fast einer halben Million Einwanderern bis Jahresende zu legalisieren, kommt in einem Moment, in dem Regionen wie die Kanarischen Inseln oder die spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla von einer nie da gewesenen Flüchtlingswelle überrollt werden und die Verteilung Zigtausender minderjähriger unbegleiteter Migranten zu Spannungen zwischen der linken Zentralregierung und den von den Konservativen regierten Regionen führt.

Angeheizt von Spaniens Rechtspopulisten, der drittstärksten Kraft im Parlament, ist die illegale Migration laut jüngster Umfragen eines der größten gesellschaftlichen Probleme der Spanier. Andererseits braucht das Land mit Blick auf die Alterung der Bevölkerung und den Bedarf an Arbeitskräften in Sektoren wie der Landwirtschaft, dem Baugewerbe und der Pflege Einwanderer für die Aufrechterhaltung des Wirtschafts- und Sozialsystems. Verschiedenen Studien zufolge wird Spanien in den kommenden Jahrzehnten mehrere Millionen ausländische Arbeitnehmer aufnehmen müssen, um sein Pensionssystem aufrechterhalten zu können.

(Von Manuel Meyer/APA)

Zusammenfassung
  • Spanien hat neue Einwanderungsbestimmungen beschlossen, die rund 900.000 illegalen Migranten den Zugang zu Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen erleichtern und den Rechtsrahmen für drei Jahre festlegen.
  • Illegale Einwanderer können nun bereits nach zwei statt drei Jahren Aufenthalt einen Antrag stellen, und der Familiennachzug wurde erleichtert, wobei Kinder bis zu 26 Jahre alt sein dürfen.
  • Die Maßnahmen zielen auf die Bekämpfung der Schattenwirtschaft, den dringend benötigten Arbeitskräftebedarf und die Stabilisierung des Sozial- und Pensionssystems ab.
  • Flüchtlingsorganisationen kritisieren, dass die Reform zu kurz greift, insbesondere weil Asylbewerber nach Ablehnung ihres Antrags zwei weitere Jahre auf eine Legalisierung warten müssen.
  • Ein zusätzlich geplantes Regularisierungsverfahren könnte bis Ende des Jahres etwa 470.000 weiteren Migranten eine Aufenthaltserlaubnis verschaffen, stößt aber auf Widerstand der konservativen Opposition.