Sinologin kritisiert "Blindflug" Europas in Sachen China
Daran habe sich bis heute nichts geändert. "Der deutsche Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) befindet sich gerade in China und meint der chinesischen Seite Vorschriften darüber machen zu müssen, wie sie mit seltenen Erden umgehen sollten", sagte Weigelin-Schwiedrzik weiter. Zudem seien europäische Politiker oft nicht über die Teilnahme Chinas am Zweiten Weltkrieg und die damit einhergehenden hohen Verluste informiert, wie Aussagen der EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas jüngst wieder gezeigt hätten. Solche diplomatischen Fehltritte belasten die Beziehung.
"Das passiert in einer Situation, in der chinesische Exporte in die USA extrem nachgelassen haben", erklärte die China-Expertin bei der vom Wissenschaftsministerium veranstalteten Diskussion zu "Wie schaut die Welt auf Europa? Perspektivenwechsel für neue Antworten in einer vernetzten Welt". Strategisch gesehen wäre für China deswegen gerade jetzt ein gutes Verhältnis zu Europa wichtig.
"In der chinesischen Elite gibt es eine prowestliche Gruppe und eine Gruppe, die sehr stark auf eine weitere Zusammenarbeit mit Russland setzt und an deren Spitze ich Präsident Xi Jinping identifiziere", so Weigelin-Schwiedrzik weiter. Wegen der von US-Präsident Donald Trump avisierten möglichen Annäherung von Russland und den USA suche China in der EU nach einem zusätzlichen Partner. Währenddessen gehe es der EU vermutlich darum, keine "zu guten" Beziehungen zu China zu pflegen, um Trump im Hinblick auf seine Zollpolitik zu besänftigen.
Die US-Zollpolitik müsse man im Kontext der dort stattfindenden Revolution in Richtung eines "postliberalen" Systems verstehen, ergänzte der Politikwissenschafter Reinhard Heinisch von der Universität Salzburg. In der EU richte sie großen Schaden an, weil die USA der wichtigste Handelspartner außerhalb des europäischen Binnenmarktes sind.
Auch Heinisch kam zu dem Befund, dass China aktuell "deutliche Avancen" in Richtung der EU macht. "Gleichzeitig sieht China sie nicht als eigenständigen Akteur - sie meinen eher, am Ende des Tages werde man immer zu den USA zurückkriechen", sagte er.
Freihandelsabkommen mit der EU gefragt
Abseits der USA gebe es eine relativ große Gruppe an Volkswirtschaften, die den europäischen Ländern strukturell ähneln, also liberale Demokratien mit marktwirtschaftlichen ökonomischen Systemen sind. "Viele davon werden noch viel härter von der US-Zollpolitik getroffen als wir", merkte Harald Oberhofer von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) an. Deswegen sei das Interesse an Freihandelsabkommen mit der EU aktuell groß.
Ein Beispiel dafür ist Kanada. "Aber: Wir haben mit Kanada das CETA-Abkommen verhandelt. Das ist jetzt seit acht Jahren nur vorläufig in Kraft. Wir haben es in Europa nicht geschafft, ein Abkommen mit Kanada zu ratifizieren - dem Land, das Europa wahrscheinlich volkswirtschaftlich und gesellschaftlich am nächsten steht", so Oberhofer. Mit den Mercosur-Staaten verhandle man hingegen seit 20 Jahren an einem Handelsabkommen. Ob dieses im Dezember unterzeichnet wird, sei immer noch unklar.
"Sind wir dann wirklich attraktiv? Ich glaube nicht. Weil wir institutionell nicht in der Lage sind, schnell und konstruktiv mit der Situation umzugehen", sagte Oberhofer. "Wenn wir hingegen das Mercosur-Abkommen beschließen, könnten wir ungefähr einen Drittel des Schadens der US-Zollpolitik relativ schnell kompensieren."
Zusammenfassung
- Europa gewinnt als Handelspartner für China an Bedeutung, doch Experten kritisieren eine uninformierte und oft unvorbereitete Haltung europäischer Politiker gegenüber China.
- Freihandelsabkommen mit der EU sind weltweit gefragt, doch das CETA-Abkommen mit Kanada ist seit acht Jahren nur vorläufig in Kraft und das Abkommen mit den Mercosur-Staaten wird seit 20 Jahren verhandelt.
- Laut Wirtschaftsexperten könnte die EU durch ein Mercosur-Abkommen rund ein Drittel der durch die US-Zollpolitik verursachten Schäden schnell kompensieren.
