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Selenskyj in Wien - Österreich hält an Nord Stream 2 fest

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Wegen des mutmaßlichen Giftanschlags gegen den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny will Österreich das Pipelineprojekt Nord Stream 2 nicht stoppen. Sie sehen keinen Zusammenhang zwischen dem Anschlag und Nord Stream 2, sagten Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag nach dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Kurz verurteilte den Anschlag. Der Bundeskanzler forderte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj in Wien eine Untersuchung der Vorgänge und dass die Schuldigen bestraft würden. Auch Van der Bellen erklärte, dass der Anschlag nicht "kommentarlos hingenommen werden kann". Dennoch sehe er "persönlich aber keinen Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und Nord Stream 2". Die geplante Gasleitung sei ein kommerzielles Projekt, so Van der Bellen und Kurz.

Nord Stream 2, an deren Finanzierung auch die österreichische OMV beteiligt ist, ist zu 90 Prozent fertiggestellt. Russland will damit noch mehr Gas nach Europa leiten und die bisherige Hauptleitung durch die Ukraine umgehen. Der Ukraine gehen dabei Einnahmen verloren, allerdings sehen Verträge eine Mindestmenge russischen Gases vor, das durch das Land geleitet werden muss.

Nach dem Anschlag auf Nawalny, der nach Ansicht mehrerer Labors mit dem schwer zugänglichen militärischen Nervengift Nowitschok durchgeführt wurde, waren Rufe nach einer Bestrafung Moskaus etwa durch den Stopp von Nord Stream laut geworden. Auch den USA ist das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen ein Dorn im Auge. Van der Bellen betonte mit Blick auf das massive Drängen in dieser Frage, dass "diese Art von wirtschaftspolitischen Fragen immer noch in Europa entschieden wird und nicht in Washington".

Österreich beziehe seit über 50 Jahren russisches Gas und habe "gute Erfahrungen gemacht", verteidigte Van der Bellen Österreichs Beziehungen zu Russland. "Österreich hat die EU-Sanktionen gegenüber Russland nach der Krim-Annexion bzw. der Intervention in der Ostukraine über all die Jahre mitgetragen" und werde dies auch weiter tun. "Gleichzeitig war es immer österreichische Tradition, den Dialog zu suchen". Kurz seinerseits versicherte Selenskyj, dass Österreich "auch weiterhin ein verlässlicher Freund und Partner der Ukraine" sei.

Angesprochen auf die bilateralen Beziehungen zu Österreich nach der Einladung von Russlands Präsident Wladimir Putin zur Hochzeit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl 2018 sagte Selenskyj, er "verfolge nicht alle Hochzeiten, die in Österreich stattfinden". Er wisse "zwar nicht, ob das hilfreich ist". Aber was die historischen Beziehungen zu Österreich angehe, könnten solche "Kleinigkeiten" nicht wirklich stören.

Bei den Gesprächen Selenskyjs in Wien stand der Konflikt in der Ostukraine im Mittelpunkt. Selenskyj erklärte, dass es in den kommenden zehn Tagen ein weiteres Treffen der russischen und ukrainischen Chefverhandler geben solle. So die offenen Fragen gelöst würden, stehe ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Normandie-Format (Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich) bevor. Das Verhältnis zu Russland wollte Selenskyj allerdings nicht als "Beziehung" bezeichnen. "Leider haben wir dieses Wort verloren im Verhältnis zwischen unseren Staaten."

"Früher hatten wir die besten Beziehungen", berichtete der Präsident. "Heute haben wir 14.000 ums Leben gekommene Menschen und es fehlen zwei Territorien der unabhängigen Ukraine." Selenskyj verwies darauf, dass es zwar einen Dialog gebe und dass auch Ende Juli ein Waffenstillstand vereinbart worden sei, der sechs Wochen gehalten habe. Van der Bellen nannte den Konflikt in der Ostukraine eine "klaffende Wunde mitten in Europa".

Selenskyj betonte, er schätze die Position Österreichs in Bezug auf die EU-Sanktionen gegen Russland und die Nichtanerkennung der russischen Annexion der Halbinsel Krim. Er lobte, wie gut Kurz die Ukraine kenne. Bei einem Besuch an der Kontaktlinie zwischen den separatistischen prorussischen Gebieten im Donbass und dem Rest der Ukraine habe Kurz "selbst gesehen, wie schrecklich die Folgen des Krieges sind", erinnerte Selenskyj an die Ukraine-Aktivitäten des damaligen Außenministers und Vorsitzenden der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Jahr 2017.

Kurz seinerseits betonte, dass Österreich sein humanitäres Engagement in der Ukraine ausbauen werde. Österreich habe bisher sieben Millionen Euro Hilfe für den Osten der Ukraine geleistet und werde die Konfliktregion mit einer weiteren Million unterstützen. Die Mittel aus dem Auslandskatastrophenfonds sollen jeweils zur Hälfte dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und zur Hälfte erfahrenen österreichischen Nicht-Regierungsorganisationen zur Linderung der humanitären Notsituation in der Ukraine zur Verfügung gestellt werden. "Wir hoffen sehr auf eine friedliche Lösung des Konflikts", der eine tagtägliche Belastung für die Menschen sei, sagte Kurz. Selenskyj bedankte sich für die humanitäre Hilfe.

Der ukrainische Präsident warb außerdem für weitere österreichische Investitionen in seinem Land. Österreich sei mit knapp 1,5 Mrd. US-Dollar (1,26 Mio. Euro) der sechstgrößte Investor in der Ukraine, erklärte Selenskyj. Er warb in diesem Zusammenhang für Projekte wie etwa den Bau von Brücken, Straßen und Krankenhäusern. Für die Schwarzmeerhäfen würden Konzessionen erteilt, sagte Selenskyj, der auch seine Unterstützung für eine Breitspurbahn zwischen der Ukraine und Wien äußerte.

Nach den politischen Gesprächen Selenskyjs mit Van der Bellen und Kurz stand ein Treffen mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) auf Selenskyjs Programm. Anschließen werden die beiden Staatspräsidenten an einem österreichisch-ukrainischen Wirtschafts-Roundtable teilnehmen. Am Abend war ein gemeinsamer Heurigenbesuch geplant.

ribbon Zusammenfassung
  • Wegen des mutmaßlichen Giftanschlags gegen den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny will Österreich das Pipelineprojekt Nord Stream 2 nicht stoppen.
  • Sie sehen keinen Zusammenhang zwischen dem Anschlag und Nord Stream 2, sagten Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag nach dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
  • Er wisse "zwar nicht, ob das hilfreich ist".

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