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Selenskyj in Wien

Van der Bellen: Ukraine "kämpft auch für unsere Freiheit"

Heute, 09:31 · Lesedauer 6 min

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Montag in Wien empfangen worden. Es handelte sich um den ersten Besuch seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022. Es wurden zahlreiche Abkommen unterzeichnet.

Selenskyj wurde von seiner Ehefrau Olena Selenska zu dem offiziellen Besuch nach Wien begleitet. Das Paar wurde von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) vom Flughafen abgeholt und gegen 13.00 Uhr von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seiner Frau Doris Schmidauer begrüßt. 

Danach gab es Arbeitsgespräche mit Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ). 

"Die Ukraine kämpft auch für uns"

In einer gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Staatsoberhäupter unterstrich Van der Bellen, dass die Ukraine "auch für unsere Freiheit" kämpfen würde und appellierte einmal mehr an den Kreml, diesen "illegalen Krieg" zu beenden.

Video: Statement von Selenskyj und Van der Bellen

"Die Ukraine kämpft auch für uns, dafür danke ich Ihnen." Van der Bellen betonte, dass Österreich die Ukraine nicht militärisch, aber politisch und humanitär unterstütze. 

Selenskyj fordert Sanktionen

Selenskyj sprach von einer "sehr warmen und sehr freundlichen Beziehung" zu Österreich und sprach nach dem Amoklauf in Graz sein Mitgefühl aus. "Nirgends soll man Kinder verlieren, nicht mal die Zeit könne diesen Schmerz heilen", sagte er. 

Er bat Hilfe gegen Oligarchen, die sich in Österreich verstecken. Es brauche Sanktionen auf Energieträger und auf Erdöl, um auf Russlands "Gräueltaten" reagieren zu können. 

Bei einem gemeinsamen Statement mit von Stocker und Selenskyj erinnerte der Bundeskanzler: "Tag für Tag werden russische Bomben und Raketen auf ukrainische Zivilisten abgeschossen. Nicht einmal vor Kindern macht Putin und Russland halt". 

Selenskyj betonte, dass er sich eine stärkere Kooperation der österreichischen Behörden bei Auslieferungsbestrebungen in Bezug auf eigene Staatsbürger erwartet. Es gehe dabei um Ukrainer, "die sich jetzt in Österreich verstecken, damit sie sich der Verantwortung entziehen können. Das ist verantwortungslos vor allem in Zeichen des Krieges", sagte er. 

Selenskyj bekräftigte abermals seine Skepsis, was russische Neutralitätsvorschläge für sein Land betrifft. "Im Jahr 2014 war die Ukraine ein blockfreies Land und wir sehen, wie das alles geendet hat. Das hat mit einem Krieg geendet, mit der Okkupation der Halbinsel Krim und eines Teils der östlichen Ukraine", sagte er. 

Die Ukraine sei damals "quasi neutral" gewesen, habe nicht genug Entschlossenheit gehabt und ihre Armee nicht genug Kraft. "Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird, aber nicht nach einem Ultimatum und nicht um den Preis der Unabhängigkeit der Ukraine", sagte er in Richtung Moskau.

Bezüglich der verschleppten Kinder erteilte Selenskyj einer Austauschvereinbarung mit Russland eine Absage. "Wir können Kinder nicht umtauschen, die sind keine Tauschware".

Hilfe bei verschleppten Kindern

Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha und Meinl-Reisinger unterzeichneten davor schon eine Absichtserklärung und ein gemeinsames Kommuniqué. Dabei geht um die politische Zusammenarbeit vor allem im Bereich des Wiederaufbaus sowie um die Unterstützung der Ukraine bei der Rückholung ihrer durch Russland gewaltsam verschleppten Kinder.

Video: Statement von Selenskyj und Stocker

Das Ministerium erklärte, dass sich Österreich dafür einsetze, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Österreich unterstütze die Ukraine mit humanitärer Hilfe, psychosozialer Betreuung, Bildungsprojekten und dem Wiederaufbau sicherer Infrastruktur. "Denn jedes zurückgeholte Kind braucht eine Umgebung, in der es wieder Kind sein darf", hieß es.

Die NEOS-Chefin setzte mit Ex-Manager Wolfgang Anzengruber Ende April außerdem einen Ukraine-Sonderkoordinator ein. Anzengruber soll beim Wiederaufbau unterstützen und koordinieren. Die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine werden auf 500 Milliarden Euro geschätzt. Dabei soll auch die Wirtschaft helfen. Mehr als 200 österreichische Unternehmen sind weiterhin direkt in der Ukraine tätig.

Österreich als Verhandlungsort

Auch Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) traf Selenskyj zu einem Arbeitsgespräch. Dabei bot der SPÖ-Chef ihm Österreich als Standort für zukünftige Friedensverhandlungen an.

"Ich bin sehr froh, dass Österreich entsprechende Signale in Bezug auf eine Vermittlungsmission gibt und wir unterstützen das", sagte der ukrainische Präsident ohne auf weitere Details einzugehen. 

In der Delegation Selenskyjs befanden sich mehrere Minister, neben dem ukrainischen Außenminister Andrij Sibyha auch Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko sowie der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, und der Gouverneur von Odessa Oleh Kiper. 

Mehrere Bilaterale Memoranden of Understanding und Absichtserklärungen wurden unterzeichnet.

First Ladies and Gentlemen Summit 

Selenska ihrerseits nahm an einem Treffen der First Ladies and Gentlemen am Mittwoch in der Hofburg teil. Laut der Tageszeitung "Die Presse" nahmen auch Suzanne Innes-Stubb, Ehefrau des finnischen Präsidenten, Aleš Musar, Ehemann der slowenischen Präsidentin Nataša Pirc Musar, sowie Lucrecia Peinando, die First Lady Guatemalas, teil. 

Gastgeberin war Doris Schmidauer. Der First Ladies and Gentlemen Summit findet seit 2021 auf Initiative von Selenska statt, in Kiew und als Online-Event. Schmidauer übermittelte bei einem derartigen Treffen im September 2014 eine Videobotschaft.

Van der Bellen empfängt Selenskyj in Wien

FPÖ-Kritik an Besuch

Scharfe Kritik an dem Besuch Selenskyjs übte die FPÖ. Die Freiheitlichen brachten im Nationalrat eine Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Stocker ein, weil sich die Visite mit dem Beginn der Budgetdebatte im Nationalrat überschneidet. 

Weil Stocker selbst wegen des Treffens verhindert war, beantwortete stattdessen Staatssekretär Alexander Pröll (ÖVP) die Fragen. Er warnte vor einer Täter-Opfer-Umkehr der Freiheitlichen. Zudem stehe die österreichische Neutralität nicht einer politischen und humanitären Unterstützung der Ukraine entgegen.

Für Aufregung sorgte ein Zwischenruf von FPÖ-Mandatarin Dagmar Belakowitsch. Laut dem vom Zweiten Nationalratspräsidenten Peter Haubner (ÖVP) verlesenen Protokoll kommentierte sie einen Bericht Yannick Shettys (NEOS) über dessen Besuch der Massengräber in Butscha mit den Worten: "Da habt ihr viel Spaß gehabt, gell?" und kassierte dafür einen Ordnungsruf.

Lange bleiben konnte Selenskyj nicht. Sein Büro bestätigte, dass er am G7-Gipfel der größten westlichen Industriestaaten teilnehmen wird. Das Treffen findet von Sonntag bis Dienstag in den kanadischen Rocky Mountains statt.

Österreich war eines der letzten EU-Länder, die Selenskyj noch nicht besucht hat. Nur in Slowenien und auf Zypern war der ukrainische Staatschef seit Kriegsbeginn ebenfalls noch nicht. Nach Slowenien war jedoch Selenska zu einem Arbeitsbesuch gereist. 

Video: Wird Wien zum Verhandlungsort?

Zusammenfassung
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Montag erstmals seit Kriegsbeginn mit militärischen Ehren in Wien empfangen worden, begleitet von seiner Ehefrau Olena und einer hochrangigen Delegation.
  • Österreich und die Ukraine unterzeichneten mehrere Absichtserklärungen, darunter zur politischen Zusammenarbeit und zur Unterstützung bei der Rückholung von durch Russland verschleppten Kindern.
  • Der Besuch ist von hoher politischer Bedeutung, wird von der FPÖ kritisiert und endet mit Selenskyjs Weiterreise zum G7-Gipfel in Kanada.