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Rumänien: Bekannter Journalist sieht Schicksalswahl

Heute, 03:02 · Lesedauer 5 min

Der rumänische Investigativjournalist Adrian Mihălțianu hat vor der Präsidentschaftsstichwahl am Sonntag zwischen dem Rechtsnationalisten George Simion und dem Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan vor einer "aggressiven, polarisierten und gefährlichen politischen Stimmung" gewarnt. "Wir erleben eine extrem polarisierte Gesellschaft und einen bedrohlichen Mix aus Frustration, Nationalismus und systemischer Korruption," sagte er im APA-Interview und sieht eine "Schicksalswahl."

Der Wahlausgang am Sonntag sei jedenfalls entscheidend - "nicht nur für Rumänien, sondern für ganz Europa", war sich Mihălțianu sicher. "Wenn Simion gewinnt, ist die Ukraine von autoritären sowie russlandfreundlichen Regierungen umgeben - Belarus, Slowakei, Ungarn, Rumänien. Nur Polen bleibt pro-europäisch", warnte der Autor während seines Besuchs beim diesjährigen Journalismusfest Innsbruck und ortete eine "Gefahr für den demokratischen Osten Europas."

Der Herausgeber des investigativen Mediums "PressOne" sah Simion, Chef der nationalistischen Partei AUR, als Favoriten in der Stichwahl: "Simion ist ein aggressiver Machtmensch, der die Positionen des Kremls vertritt und von Trump-Anhängern gefeiert wird", sagte der Journalist. Dieser habe gute Chancen auf einen Wahlsieg, Mihălțianu erwartete aber auch ein knappes Rennen: "Entscheidend ist, wie sich die Unentschlossenen und die Nichtwähler der ersten Runde entscheiden", so der Journalist.

Simion habe es geschafft, große Teile der Bevölkerung mit seinen Positionen zu überzeugen, berichtete Mihălțianu. Die Lage erinnere ihn an jene in den USA mit Trump. Bei einem Wahlsieg Simions drohe jedenfalls eine "ähnliche Politik", die als "autoritär, russlandfreundlich und repressiv gegenüber Medien" bezeichnet werden könne. Sein Gegenkandidat, der parteifreie Dan, sei hingegen "pro-europäisch, pro-NATO" und genieße internationales Vertrauen. Politisch sei er moderater als sein Kontrahent, dennoch habe er bis vor kurzem noch "Schulter an Schulter mit Simion gegen die Sozialdemokraten protestiert". Anders als bei Simion drohe bei ihm jedoch kein Angriff auf Medien, staatliche Institutionen oder die Demokratie, betonte Mihălțianu.

Die Wiederholungswahl am 4. Mai - bei der sich Simion und Dan als Erst- und Zweitplatzierter für die Stichwahl am 18. Mai durchsetzen konnten - hatte für eine Überraschung sowie ein Debakel für die seit Jahrzehnten regierenden und etablierten Parteien, die sozialdemokratische PSD und die liberale PNL, gesorgt. Der Kandidat der proeuropäischen Regierungskoalition zwischen PSD, PNL und UDMR, Crin Antonescu, verpasste nämlich mit Platz drei den Einzug in die Stichwahl. Simion erreichte diese mit rund 41 Prozent, Nicușor Dan mit knapp 21 Prozent der Stimmen.

Bereits der erste Durchgang stand unter besonderen Vorzeichen. Innerhalb kürzester Zeit war in Rumänien - nach dem November 2024 - bereits das zweite Mal eine Präsidentschaftswahl durchgeführt worden. Eine Wiederholung wurde nötig, nachdem die erste Wahlrunde vom Verfassungsgericht wegen illegaler Wahlbeeinflussung durch Russland aufgehoben worden war - ein beispielloser Schritt, den Mihălțianu zwar als "gefährlich sowie nicht demokratisch, aber auch notwendig" bezeichnete. Damals lag überraschend Călin Georgescu auf Platz eins - ein Kandidat mit offenbaren Kontakten zu Putin-nahen Akteuren. Laut einem Bericht des rumänischen Geheimdienstes SRI wurde Georgescus Erfolg durch russische Desinformation und eine orchestrierte TikTok-Kampagne beeinflusst. "Ein direkter Nachweis fehlt zwar - aber sein Umfeld spricht eine klare Sprache", stimmte dem auch Mihălțianu zu.

Wobei inzwischen vieles darauf hindeute, dass die rumänischen Sozialdemokraten (PSD) selbst hinter der Georgescu-Kampagne standen, um die aufstrebende USR zu schwächen, berichtete der Investigativjournalist. Die Rechnung sei jedenfalls nicht aufgegangen: Der Kandidat der traditionell mächtigen Partei, Marcel Ciolacu, verpasste im ersten Durchgang mit Platz drei knapp die Stichwahl - ebenso wie jener der neben den Sozialdemokraten in den vergangenen 35 Jahren traditionell einflussreichen Liberalen (PNL) mit Platz fünf. Indes konnte sich neben Georgescu auch Elena Lasconi von der USR zunächst durchsetzen.

Georgescu ausgeschlossen - Politische Krise in Rumänien

Georgescu wurde Anfang des Jahres schließlich von der Wiederholung der Wahl ausgeschlossen. "Er ist offen pro-faschistisch und aggressiv - er hätte sowieso nie kandidieren dürfen", verteidigte Mihălțianu diese Gerichtsentscheidung. Umso brisanter sei, dass Simion nun angekündigt habe, ihn im Falle eines Sieges als Ministerpräsident zu nominieren: "Es ist wie im Zirkus."

Die politischen Entwicklungen hätten sich in Rumänien zuletzt jedenfalls überschlagen. Sowohl bei der annullierten Präsidentenwahl im Spätherbst als auch bei deren Wiederholung vor zwei Wochen stieg die Zahl der Protestwähler gegen Mainstream-Parteien. Beobachter sahen die Wahlergebnisse als Protest gegen Rumäniens Elite. "Obwohl sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Rumäniens in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat und viele Städte wirtschaftlich durchaus florieren, ist in den abgelegenen Regionen des Landes zu wenig angekommen. Diese Menschen rebellieren nun gegen das System", beschrieb Mihălțianu die angespannte Stimmung. Auch die budgetäre Lage sei angespannt - das Defizit liege aktuell "bei rund neun Prozent des BIP - ähnlich hoch wie in Griechenland vor dem Fall", warnte der Journalist.

"Viele Menschen sind also verständlicherweise unzufrieden mit den Entscheidungsträgern und wählen daher Protestparteien", fasste Mihălțianu abschließend zusammen. Vor der richtungsweisenden Stichwahl am Sonntag sind übrigens alle wichtigen Verantwortungsträger - Staatspräsident, Regierungschef, Kabinett sowie die Präsidenten der Parlamentskammern - nur geschäftsführend im Amt.

(Das Gespräch führte Max Hofer/APA)

Zusammenfassung
  • Der rumänische Journalist Adrian Mihălțianu warnt vor der Präsidentschaftsstichwahl am 18. Mai zwischen George Simion und Nicușor Dan vor einer "aggressiven, polarisierten und gefährlichen politischen Stimmung".
  • Mihălțianu sieht die Wahl als Schicksalswahl für Rumänien und ganz Europa, da ein Sieg Simions die Ukraine von russlandfreundlichen Regierungen umgeben würde.
  • Simion, Chef der nationalistischen Partei AUR, gilt mit rund 41 Prozent als Favorit und wird als autoritär, russlandfreundlich und repressiv gegenüber Medien beschrieben.
  • Die etablierten Parteien PSD und PNL erlitten ein Debakel, ihr Kandidat Crin Antonescu schied mit Platz drei aus, während Dan als pro-europäischer, moderater Kandidat mit knapp 21 Prozent ins Rennen geht.
  • Die erste Wahlrunde wurde nach illegaler russischer Einflussnahme annulliert, das Haushaltsdefizit Rumäniens liegt aktuell bei rund neun Prozent des BIP.