APA/APA (AFP)/FRANCOIS LENOIR

Regierungen lehnten Protokollen zufolge EU-Hilfe ab

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Sitzungsprotokollen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge soll die EU-Kommission den EU-Staaten bereits Ende Jänner, einen Monat bevor die Corona-Krise in Europa eskalierte, Hilfe bei der gemeinsamen Beschaffung von Schutzmasken, Testkits und Beatmungsgeräten angeboten haben. Regierungsvertreter der Gesundheitsministerien sollen dies allerdings bei Sitzungen in Brüssel explizit abgelehnt haben.

Sitzungsprotokollen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge soll die EU-Kommission den EU-Staaten bereits Ende Jänner, einen Monat bevor die Corona-Krise in Europa eskalierte, Hilfe bei der gemeinsamen Beschaffung von Schutzmasken, Testkits und Beatmungsgeräten angeboten haben. Regierungsvertreter der Gesundheitsministerien sollen dies allerdings bei Sitzungen in Brüssel explizit abgelehnt haben.

Nur wenige Wochen später bestand in der EU aufgrund der Corona-Krise ein großer Mangel an medizinischer Ausrüstung, und die EU-Kommission schätzte den Bedarf in den EU-Staaten auf das Zehnfache des Bedarfs normalerweise. Reuters zufolge hätten die Regierungen der EU-Staaten ihre Notlage möglicherweise noch verschlimmert, indem sie ihre Ausstattung überschätzt hätten. Trotzdem sei der Mangel an Ausrüstung auch auf die explodierende weltweite Nachfrage zurückzuführen.

Während in der chinesischen Provinz Hubei zwei Wochen zuvor fast 60 Millionen Menschen isoliert wurden, sagte ein Beamter der EU-Kommission am 5. Februar bei einem Treffen mit Diplomaten aus den Mitgliedsstaaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit: "Die Dinge sind unter Kontrolle". Und weiters wurde nach dem Treffen Reuters zufolge festgehalten: "Die Mitgliedstaaten sind gut vorbereitet, die meisten haben Maßnahmen ergriffen."Das war nur zwei Wochen vor den ersten Coronavirus-Toten in Italien.

Die EU-Regierungen begannen erst im März, den Ernst der Lage zu erkennen. Viele schlossen allerdings zunächst ihre Grenzen, was den Export von medizinischer Ausrüstung in Nachbarländer behinderte, anstatt dass sie sich - wie später von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisiert - auf das Gemeinsame konzentrierten. Auch Österreich handelte zunächst im Alleingang.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte erst kürzlich die EU im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Er nahm Bezug auf das deutsche Exportverbot für Schutzausrüstungen, das von Berlin mittlerweile aufgehoben wurde. Kurz sagte in einem Interview, dass sich die EU nach der Corona-Krise "eine kritische Diskussion und Auseinandersetzung damit gefallen lassen" müsse. "Es kann nicht sein, dass wir zwei Wochen lang komplett auf uns allein gestellt darum kämpfen müssen, dass ein Lkw mit bereits von uns bezahlten und dringend benötigten Schutzmasken an der deutschen Grenze hängt, weiterfahren darf, und gleichzeitig unsere Kontrollen zu Italien kritisiert werden", so Kurz Ende März.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sich am Donnerstag über die schleppende Umsetzung bei den Beschaffungsprogrammen der EU für Schutzkleidung in der Coronakrise beklagt. "In etlichen Gesprächen mit Kommissionsmitgliedern, Appellen, Telefonaten, Schreiben" kämpfe er seit Wochen um eine Verstärkung und Beschleunigung der EU-Beschaffungsprogramme, so Anschober.

Österreich habe im Rahmen des "Joint Procurement Agreement to procure medical countermeasures" (JPA) am 26. Februar etwa hochqualitative Atemschutzmasken für den medizinischen Bereich, Schutzanzüge, Untersuchungshandschuhe und Schutzbrillen bestellt. In einer weiteren Bestellung seien auch Beatmungsgeräte, große Mengen an weiteren Schutzmasken und Schutzkleidungen von Österreich geordert worden.

Mehrfach habe er "Kommissionsmitglieder auf die äußerste schleppende Umsetzung der Bestellungen angesprochen und schließlich in einem Schreiben an die Gesundheitskommissarin heftig um eine Beschleunigung gekämpft", erklärte der Gesundheitsminister. Da könne er die EU-Kommission nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte er.

"Wir müssen dringend aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass die nationalen Regierungen COVID-Hilfe durch die EU-Kommission verhindert haben", sagte unterdessen NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon am Donnerstag. "Die Mitgliedsstaaten haben mit ihren Alleingängen und ihrer Kurzsicht Gesundheit und Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel gesetzt. Auch die österreichische Regierung war in diesen Treffen vertreten. Sebastian Kurz hätte also wissen müssen, dass die EU-Kommission vorausschauend Hilfe angeboten hat."

SPÖ-Europaabgeordneter Günther Sidl kritisierte das Vorgehen als "offenbar bewusst falsches Spiel auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung", insbesondere hinsichtlich der heftigen Kritik an der EU von Regierungschefs wie Bundeskanzler Kurz. "So einfach lässt sich die Schuld der anfänglich zögerlichen Bekämpfung des Coronavirus nicht auf die EU schieben. Dass die Zuständigen in den Gesundheitsministerien diese frühe Hilfe einfach abgelehnt haben, ist unbegreiflich. Von wegen 'alles unter Kontrolle' - nationaler Egoismus und Überheblichkeit zahlen sich schon in normalen Zeiten nicht aus, aber in der Corona-Krise kosten sie Menschenleben", so Sidl, Mitglied im Ausschuss für Umwelt- und Gesundheit im EU-Parlament. Er forderte eine rasche Aufklärung.

ribbon Zusammenfassung
  • Regierungsvertreter der Gesundheitsministerien sollen dies allerdings bei Sitzungen in Brüssel explizit abgelehnt haben.
  • Auch Österreich handelte zunächst im Alleingang.

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