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Plakolm rechnet nicht mehr mit großen EU-Erweiterungen

Heute, 12:15 · Lesedauer 4 min

Europaministerin Claudia Plakolm (ÖVP) rechnet nicht mehr mit großen EU-Erweiterungsrunden, sondern mit einer Reihe von Einzelbeitritten. "Die Zeit, in der am 1. Jänner mehrere Länder EU-Mitglieder geworden sind, ist vorbei. Das sehe ich nicht mehr", sagte sie am Mittwoch in einer Diskussion mit Studenten des College d'Europe in der albanischen Hauptstadt Tirana. Während Montenegro einen EU-Beitritt im Jahr 2028 anstrebt, will Albanien 2030 so weit sein.

Tirana ist die vierte Station von Plakolms Westbalkan-Reise, die sie seit Sonntag nach Nordmazedonien, Kosovo und Montenegro geführt hatte. In der albanischen Hauptstadt traf sie neben Vertretern des Europaministeriums auch Regierungschef Edi Rama, der sein Land in den vergangenen Jahren mit Reformen und starker internationaler Präsenz zu einem der Vorreiter im Erweiterungsprozess gemacht hat. Für Aufsehen sorgte etwa die Migrationsvereinbarung mit Italien.

Wie schon in Skopje, Prishtina und Podgorica unterstrich die Europaministerin das Engagement Österreichs für einen raschen EU-Beitritt der sechs Westbalkan-Staaten. "Wir sehen die Zukunft des Westbalkan und die Zukunft der Europäischen Union zusammen. Albanien soll einen Platz am europäischen Tisch haben", sagte sie im Gespräch mit den Studentinnen und Studenten aus insgesamt 21 Staaten, darunter auch eine Österreicherin.

Plakolm bekräftigte weiters, dass jedes der aktuellen zehn Kandidatenländer nach seiner individuellen Leistung beurteilt werden solle. "Wir sollten jedes Kandidatenland gleichwertig und getrennt behandeln." Die von diesen gesetzten Ziele sehe sie nicht als zu ambitioniert an. "Ich sehe Albanien und Montenegro als Vorreiter und ich denke, es wäre ein wichtiges Zeichen für die ganze Region, wenn die ersten Länder hoffentlich rund um das Jahr 2030 Mitglieder der Europäischen Union werden", sagte die Ministerin. "Das würde den Menschen in der Region zeigen, dass sich ihre pro-europäische Arbeit auszahlt."

"Bürger stehen Erweiterung kritisch gegenüber, nicht die Regierung"

Plakolm thematisierte auch die große Erweiterungsskepsis in der österreichischen Bevölkerung. "Die Bürger stehen dem Erweiterungsprozess kritisch gegenüber, nicht aber die Regierung", sagte sie. Um die Bürgerinnen und Bürger stärker für die EU-Erweiterung einzunehmen, will sie auch auf die rund 1.600 Europa-Gemeinderäte auf der lokalen Ebene setzen. "Das ist eine gute Einrichtung, und wir sollten sie im Zusammenhang mit der Erweiterungspolitik stärker nützen, um die noch skeptischen Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen", sagte sie.

Einzelne Gemeinderäte, die sich für Europapolitik interessieren, werden vom Bundeskanzleramt mit exklusiven Informationen über die EU-Politik versorgt und zu Veranstaltungen sowie Informationsreisen nach Brüssel eingeladen. Der Hintergrund dieser Initiative ist, Europapolitik auf der lokalen Ebene stärker präsent zu machen. Laut Plakolm soll es in den österreichischen Gemeinden "zumindest eine Person geben, die für die europäische Kommunikation zuständig ist - und das funktioniert in beide Richtungen".

Diaspora vom Westbalkan "voller Vorzeigebeispiele" im Bereich Integration

Plakolm berichtete weiter über die Überlappungen zwischen ihrer Tätigkeit als Europaministerin und ihren weiteren Zuständigkeiten wie Jugend, Integration, Zivildienst oder Volksgruppen. So betonte sie, dass die tendenziell pro-europäischer denkende Jugend die Aufgabe habe, die ältere Generation von den Vorzügen der EU-Mitgliedschaft zu überzeugen. Im Bereich der Integration sei die Diaspora aus den Westbalkan-Staaten "voller Vorzeigebeispiele". "Mein Fokus in der Integrationspolitik liegt weniger auf der Diaspora aus den Westbalkan-Staaten, sondern auf Drittstaaten, insbesondere von anderen Kontinenten, die während der Migrationskrise zu uns gekommen sind", sagte sie. Hier müsse man insbesondere über Maßnahmen für die Arbeitsmarktintegration nachdenken.

In ihrer Eigenschaft als Volksgruppenministerin betonte Plakolm, dass Minderheitenkonflikte ein wesentlicher Teil der Streitfragen im Erweiterungsprozess sind. "Bilaterale und Volksgruppenfragen sollten vor der Mitgliedschaft in der Europäischen Union gelöst werden", unterstrich sie.

Serbischer Europaminister gibt Abendessen in Novi Sad

Plakolm wollte am Mittwochnachmittag nach Belgrad weiterreisen, wo ihr serbischer Amtskollege Nemanja Starović sie persönlich am Flughafen begrüßen wollte. Starović wollte am Abend in der Festung Petrovaradin in Novi Sad ein Abendessen zu Ehren Plakolms ausrichten. Die nordserbische Stadt steht im Fokus von Anti-Regierungs-Protesten, seit im Vorjahr beim Einsturz eines Bahnhofvordachs dort 16 Menschen ums Leben gekommen waren. Die von Studenten angeführte Protestbewegung macht die Regierung unter Präsident Aleksandar Vučić für die Tragödie verantwortlich und sieht sie als Beleg für die strukturelle Korruption im Land.

Zusammenfassung
  • Europaministerin Claudia Plakolm rechnet nicht mehr mit großen EU-Erweiterungsrunden, sondern erwartet nur noch Einzelbeitritte, wobei Albanien einen Beitritt 2030 und Montenegro 2028 anstreben.
  • Plakolm betont das starke Engagement Österreichs für einen EU-Beitritt der sechs Westbalkan-Staaten und sieht insbesondere Albanien und Montenegro als Vorreiter, wobei jedes der zehn Kandidatenländer individuell beurteilt werden soll.
  • In Österreich gibt es laut Plakolm große Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der EU-Erweiterung, weshalb sie auf die rund 1.600 Europa-Gemeinderäte setzt, um die Bürgerinnen und Bürger besser zu informieren und zu überzeugen.