Österreichs Politik erwartet kein rasches Kriegsende

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Ein Jahr nach Kriegsausbruch erwartet Österreichs Politik keinen raschen Friedensschluss in der Ukraine. Dies zeigt eine APA-Umfrage unter den außenpolitischen Sprechern der Nationalratsparteien. Die gemeinsame EU-Antwort auf die russische Aggression unterstützen alle Parteien mit Ausnahme der FPÖ, die sich gegen die Russland-Sanktionen positioniert. Beim Thema Neutralität scheren hingegen NEOS aus, die anders als die anderen Parteien kein klares Bekenntnis zu ihr ablegen.

Ausweichend antworteten die Nationalratsabgeordneten auf die Frage, ob eine Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine realistisch sei. Einzig Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) bekannte sich explizit zu dieser Forderung. Reinhold Lopatka (ÖVP) und Helmut Brandstätter (NEOS) äußerten die Erwartung, dass der Krieg "noch lange dauern" werde. "Es wird noch tausende Tote und die Zerstörung von Infrastruktur in Milliardenhöhe geben", so der frühere ÖVP-Staatssekretär.

Während Axel Kassegger (FPÖ) die Hoffnung äußerte, "dass in nicht allzu ferner Zukunft vielmehr über einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen gesprochen wird als über neue Militäroperationen", sprach sich Ernst-Dziedzic für eine fortgesetzte militärische Unterstützung der Ukraine durch ihre Verbündeten aus. Russland werde nämlich "erst dann in seriöse Friedensverhandlungen eintreten, wenn es militärisch nichts mehr zu gewinnen gibt". Brandstätter und SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagner sehen die Entscheidung über die Bedingungen für ein Kriegsende in der Hand Kiews. "Die Entscheidung darüber, welche Bedingung die Ukraine für ein Ende dieses Krieges stellt, liegt in der Verantwortung der Ukraine", sagte SPÖ-Außenpolitiksprecherin.

ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS stellten sich klar hinter die Russland-Sanktionen. "Die Reaktion war richtig und ist unbedingt notwendig, um die Souveränität der Ukraine wiederherzustellen", betonte Lopatka. "Ich hätte eine schärfere Gangart noch vor der russischen Invasion befürwortet", so Ernst-Dziedzic, die ein Schließen von Schlupflöchern und die Ausweitung von Sanktionen gegen Einzelpersonen forderte. Brandstätter monierte ebenfalls, dass "zu viele Unterstützer der Putin Diktatur (...) noch nicht betroffen" seien. Außerdem seien noch zu viele österreichische Unternehmen in Russland.

Während Rendi-Wagner das Fehlen einer Abfederung der Sanktionsfolgen durch europäische Maßnahmen kritisierte, positionierte sich Kassegger als einziger klar gegen die Sanktionen. Diese hätten nämlich "eine massive Teuerung zum Leidwesen unserer Bürger" verursacht. Österreich hätte seine Neutralität "nicht aufgeben dürfen, dann hätte man als neutraler Staat einen Beitrag zur Konfliktlösung leisten können".

Während Kassegger die Neutralität "wieder herstellen" möchte, legten Rendi-Wagner und Ernst-Dziedzic ein explizites Bekenntnis zu dieser ab. "Österreich ist militärisch neutral und wird es auch bleiben. Sie ist ein wichtiges sicherheitspolitisches Instrument, auch auf Ebene der EU und der internationalen Staatengemeinschaft", betonte die SPÖ-Chefin. "Österreich ist und bleibt militärisch neutral", sagte auch Ernst-Dziedzic. Die Neutralität sei "breiter gesellschaftlicher Konsens".

Lopatka verwies darauf, dass der Krieg in Österreich anders als in Schweden und Finnland nicht zu einer Neutralitätsdebatte geführt habe. "Eine sehr große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher will an der Neutralität festhalten", betonte der ÖVP-Politiker. Hingegen bekräftigte Brandstätter die im Widerspruch zur Neutralität stehende NEOS-Forderung nach einem gemeinsamen europäischen Heer. Weil Österreich mögliche Raketenangriffe Russlands nicht abwehren könne, müsse es sich an einem europäischen Abwehrschirm beteiligen, forderte Brandstätter "eine ehrliche Debatte über unsere Sicherheit".

Die Abgeordneten wurden auch dazu befragt, ob sich ihre ursprünglichen Einschätzungen zum Kriegsverlauf bestätigt haben. "Die Brutalität Russlands gegenüber der ukrainischen Zivilbevölkerung habe ich für nicht möglich gehalten, ebenso habe ich nicht geglaubt, dass die Ukraine so stark Widerstand leisten kann", sagte Lopatka. Ernst-Dziedzic zeigte sich ebenfalls "beeindruckt von der Resilienz der ukrainischen Bevölkerung".

Brandstätter äußerte sein Erschrecken über die "Brutalität" der russischen Angriffe. Bei einem Besuch wenige Wochen vor Kriegsausbruch in Kiew sei ihm aber klar geworden, dass das Land für einen Angriff gerüstet sei. "Dem entsprechend dachte ich am 24. Februar nicht an einen schnellen Sieg Putins." Kassegger sagte, dass die Verfestigung eines Stellungskrieges "eine von mehreren denkbaren Entwicklungen" gewesen sei. Rendi-Wagner ging nicht direkt auf die Frage ein. Sie würdigte die rasche und entschlossene Reaktion der EU und meinte weiter: "Die Einschätzung Russlands, dass dieser Krieg nur kurz dauern würde, war falsch."

ribbon Zusammenfassung
  • Brandstätter und SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagner sehen die Entscheidung über die Bedingungen für ein Kriegsende in der Hand Kiews.
  • "Österreich ist und bleibt militärisch neutral", sagte auch Ernst-Dziedzic.
  • Die Neutralität sei "breiter gesellschaftlicher Konsens".
  • "Eine sehr große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher will an der Neutralität festhalten", betonte der ÖVP-Politiker.
  • Rendi-Wagner ging nicht direkt auf die Frage ein.